15. Jahrgang | Nummer 8 | 16. April 2012

Was auch gesagt werden musste

von Wolfgang Schwarz

Was in der wieder einmal von reflexartiger Israel-Apologetik und -Gefolgschaft dominierten öffentlichen Debatte hierzulande um eine an der Politik der israelischen Regierung geübte Kritik – in diesem Fall brach die Welle der Anwürfe über Günter Grass herein – auch gesagt werden musste, hat Jacob Augstein, der Herausgeber des Freitag, getan: „[…] die knappen Zeilen, die Günter Grass unter der Überschrift ‚Was gesagt werden muss‘ veröffentlicht hat, werden einmal zu seinen wirkmächtigsten Worten zählen. Sie bezeichnen eine Zäsur. Es ist dieser eine Satz, hinter den wir künftig nicht mehr zurückkommen: ‚Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.‘ Dieser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Weil er richtig ist. Und weil ein Deutscher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein Nobelpreisträger, weil Günter Grass ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Dafür muss man Grass danken. Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen.“
Dazu gehört – und auch das hat Grass zu erwähnen nicht vergessen: Deutschland liefert Tel Aviv Mittel dafür, dass die illegale Atommacht Israel den Weltfrieden bedrohen kann. Gerade erst ist ein drittes U-Boot der so genannten Dolphin-Klasse übergeben worden, aus dessen Torpedorohren nukleare Cruise Missiles gestartet werden können. Noch drei weitere potenzielle Kernwaffenträger sollen folgen. Es zeigt das ganze Ausmaß dümmlicher proisraelischer Nibelungentreue, die in der deutschen Politik, in den Medien und in anderen gesellschaftlichen Bereichen immer umso höher schwappt, je zutreffender eine Kritik an der Politik Israels ausfällt, wenn selbst diese Lieferungen in einem Leitmedium wie dem Spiegel verharmlosend damit gerechtfertigt werden, dass „die U-Boote […] in erster Linie der nuklearen Zweitschlag-Kapazität“ dienten. „Damit wäre die israelische Armee auch nach einem Atombombenangriff Irans zu einem Gegenschlag fähig.“ Das ist dieselbe Logik, nach der die Bush-Administration in den Irak einmarschierte, weil das dortige Regime Massenvernichtungsmittel besaß, von denen sich hernach keine Spur fand. Mit dieser Logik ließe sich auch ein präventiver Angriff gegen den Iran rechtfertigen – letztlich selbst ein nuklearer, denn über die Mittel zu einem Erfolg versprechenden konventionellen Schlag verfügt Israel derzeit nach Auffassung von Experten (noch) nicht (siehe den Beitrag von Lutz Unterseher in dieser Ausgabe) –, diente der im Falle des Falles doch lediglich dazu, „einem Atombombenangriff Irans“ zuvorzukommen. Ernstlich verwundern kann diese Logik in einem Lande allerdings kaum, dessen Regierungschefin die Sicherheit Israels zum Bestandteil deutscher Staatsräson erklärt hat. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt nannte dies übrigens eine „törichte Auffassung, die sehr ernsthafte Konsequenzen haben könnte“, denn wenn es beispielsweise zum Krieg zwischen Israel und Iran käme, „dann hätten nach dieser Auffassung die deutschen Soldaten mitzukämpfen“.
Jakob Augstein machte in seiner Meinungsäußerung zugleich auf folgendes aufmerksam: Tel Aviv wolle „gar nicht beweisen, dass Iran eine Bombe hat. Es will nicht einmal beweisen, dass Iran eine Bombe baut. Die israelische Doktrin lautet einfach, dass Teheran die ‚Zone der Immunität‘ nicht erreichen dürfe. Israel droht darum mit einem Angriff, bevor die Iraner ihre Atomanlagen so tief im Granit versenken können, dass auch die größten bunkerbrechenden Bomben der Amerikaner sie nicht mehr erreichen.“ Zweifel daran, dass israelische Regierungen sich grundsätzlich das Recht zubilligen, nach eigenem Gusto gegen Nachbarstaaten loszuschlagen, sind unangebracht. Ein Kernreaktor im Irak (1981) und eine vorgebliche Atomanlage in Syrien (2007) wurden schließlich durch israelische Kampfbomber bereits zerstört – unter Rückgriff auf ähnliche „Argumente“, wie sie jetzt gegen Iran im Schwange sind.
So bleibt im Interesse des Weltfriedens nur zu hoffen, dass Israel die militärischen Mittel zu einem Alleingang gegen den Iran tatsächlich fehlen und dass Iran endlich die internationalen Zweifel am Charakter seines Atomprogramms aus der Welt schafft.

P.S.: Was im Übrigen die Antisemitismusvorwürfe an die Adresse von Günter Grass anbetrifft, so hat dazu U. Gellermann in einer sehr lesenswerten, „späten“ Besprechung von des Dichters Erstling (Die Blechtrommel) Stellung bezogen – www.rationalgalerie.de/archiv/index_1_578.html.