von Frank-Rainer Schurich
Am 4. April 1836, vor über 175 Jahren, starb die Geheimrätin Sophie Charlotte Elisabeth Ursinus. Sie zählt zu den rätselhaftesten Erscheinungen der deutschen Kriminalchronik des 19. Jahrhunderts.
Ihr Ehemann, der Geheime Justizrat und Regierungsdirektor Ursinus, verschied am 11. September 1800, als sie 40 Jahre alt war. Sein Ableben war plötzlich und unerwartet, denn er hatte einen Tag zuvor noch seinen Geburtstag ganz vergnüglich bei körperlichem Wohlergehen gefeiert.
Nun wusste die wohlhabende Witwe zu feiern und sich mit Männer und Frauen ihres Standes zu umgeben, wies aber alle Ansinnen der Witwenschleicher stets mit Entschiedenheit von sich. Umso größer war das Aufsehen, als die Geheimrätin am 5. März 1803 unter Verdacht des versuchten Giftmordes in ihrer Wohnung in Charlottenburg bei Berlin verhaftet wurde.
Der Bedienstete Benjamin Klein hatte Verdacht geschöpft, als er von seiner Herrin eine Tasse Fleischbrühe und später noch einige Rosinen gereicht bekam und ihm daraufhin sehr unwohl wurde. Tatsächlich fand er im Spind ein in Papier gewickeltes weißes Pulver mit der Aufschrift „Arsenik“. Als er noch Pflaumen von der Geheimrätin erhielt, nahm er das Geschenk nur mit geheuchelter Dankbarkeit an. Das Corpus Delicti gelangte auf Umwegen zum Apotheker Flittner, der darin tatsächlich Arsenik fand.
In der feinen Gesellschaft kochten Gerüchte hoch. Es hieß, dass Sophie Ursinus noch einen Liebhaber, ihren Ehemann und ihre sehr vermögende Tante vergiftet habe. Eine Person der höheren Stände unter der Anklage des vierfachen Mordes – das war die Sensation in Charlottenburg und Berlin, wo sonst nur Verbrecher aus der unteren Volksklasse zum Schafott geführt wurden.
Das Urteil des Kriminalsenats des Königlichen Kammergerichts vom 12. September 1803, das auch in der zweiten Instanz und dann vom König bestätigt wurde, sprach die Geheimrätin von der Anklage der Vergiftung ihres Liebhabers und ihres Ehemanns zwar völlig frei; wegen der Vergiftung ihrer Tante und der wiederholt versuchten Vergiftung ihres Dieners verurteilte der Senat sie aber zu lebenslanger Haft auf der Festung Glatz (Niederschlesien, heute Kłodzko in Polen).
Sophie Ursinus, eine gebildete und ästhetische Frau, hatte für den Mord an ihrer Tante kein Geständnis abgelegt. Zwar räumte sie ein, in geistiger Verwirrung oder Selbstmordabsicht der Tante versehentlich Arsenik gegeben zu haben, bestritt aber vehement jeglichen Vorsatz. Im Falle ihres Dieners gestand sie, in Tötungsabsicht gehandelt zu haben. Allerdings ließ sie das Gericht über ihre Motive im Unklaren; man vermutet, dass er als Kenner ihrer geheimen Heiratspläne ausgeschaltet werden sollte.
Taterschwerend in den drei letzten Fällen kam hinzu, dass sie nachweislich Arsenik erworben hatte, angeblich zur Rattenbekämpfung, obwohl in ihrem Hause gar keine Plage herrschte.
Sowohl die Leiche ihres Ehemanns als auch ihrer Tante wurden exhumiert und auch vom berühmten Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743-1817) untersucht. Arsen konnte er nicht nachweisen, da ihm kein feines toxikologisches Verfahren zur Verfügung stand. Aber pathologische Veränderungen in Magen und Darm sowie der gute Erhaltungszustand der Leichen wiesen auf eine Vergiftung mit Arsen hin, das das Gewebe ausgezeichnet konserviert. Auch der bekannte Arzt Ernst Ludwig Heim (1747-1834) spielte in diesem Stück mit. Vor Gericht äußerte er sich gutachterlich zur Persönlichkeit der Ursinus und bezeichnete sie als eine Frau mit großer Verstellungskraft.
Die Indizien sprechen dafür, dass sie auch ihren Geliebten und ihren Ehemann eiskalt mit Arsenik (weißes Arsenoxid, ein geruchs- und geschmackloses Pulver) vergiftete. Der „Erfolg“ der Arsenvergiftung beruhte damals darauf, dass die Symptome der „Erkrankung“ der Opfer anderen Krankheitsbildern zum Verwechseln ähnelten und sensible Nachweisverfahren, um geringe Mengen des Gifts aufspüren zu können (tödliche Dosis circa 0,13 g Arsen), nicht zur Verfügung standen.
Sophie Ursinus wurde nach 30-jähriger Haft 1833 begnadigt, durfte aber die Festungsstadt nicht verlassen. Als sie am 4. April 1836 in Glatz starb, war sie bereits wieder Mitglied der besseren Gesellschaft geworden und hinterließ ein beträchtliches Vermögen (40.000 Taler). Sie vermachte dem Hauswart der Berliner Hausvogtei 500 Taler, weil er sie als Gefangene schonend behandelt hatte, und weitere 500 Taler gingen an den Verein für die Besserung der Strafgefangenen mit dem testamentarischen Zusatz, dass sie 25 Jahre lang Gelegenheit hatte zu sehen, wie nützlich und nötig so ein Verein sei, „um wenigstens die einzelnen mehr verirrten als verdorbenen Individuen zu retten“.
Arsenik war in der Spätantike das mit Abstand am meisten verwendete Mordgift. In Frankreich nannte man es später sinnigerweise „Erbschaftspulver“. Ironie der Kriminalgeschichte: Im Jahr, in dem die geheimnisumwobene Geheimrätin starb, entwickelte der englische Chemiker James Marsh (1794-1846) eine Methode zum Nachweis von Arsen, so dass dieses Morden allmählich abnahm.
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