von Thomas Behlert
Mittlerweile wird die DDR an vielen Fronten verteufelt und alles in diesem kleinen Staat jemals Geschaffene ignoriert oder verlacht. Jeder, der keine Repressalien vorweisen kann, war bei der Staatssicherheit, die Kinder zwang man im Kindergarten aufs Töpfchen und neben den Puhdys und Karat lief nichts im gleichgeschalteten Radio.
Viel Bleibendes wurde im Rock und Pop Bereich wirklich nicht geschaffen. Unvergessen sind dagegen die klassischen Aufnahmen vom rührigen Label Eterna, die leider gleich nach der Wende an die Schallplattenfirma Edel verramscht wurden. Was kaufte die Westverwandtschaft während ihres Besuches im Osten? Preiswerte Fachbücher und eben Schallplatten mit klassischer Musik.
Zwar versucht man nun mit dem Waschzettel zu suggerieren, dass viele Künstler aufgrund von Reisebeschränkungen in den alten Bundesländern noch nicht bekannt sind, aber Kurt Masur, Ludwig Güttler, die Staatskapelle Berlin, Peter Schreier, Gisela May und viele mehr, die es jetzt wieder zu entdecken gilt, könnten anderes berichten. Sie zeigten der Welt, dass die Musikausbildung in der DDR großartig war und man immer mit phänomenalen Künstlern rechnen konnte. Wo DDR drauf stand, da waren Leidenschaft, Perfektionismus, Liebe zur Musik und unerreichte Klassikaufnahmen drin.
Da lagen nach der Wende also herrliche Aufnahmen mit unschlagbaren Dresdner und Leipziger Klangkörpern, einmaligen Chören, wunderbar spielenden Solisten und ebenso agierenden Dirigenten in den Archiven der Hamburger Firma und fanden nur als Billigprodukte den Weg in die Supermärkte. Mitte der neunzehnhundertneunziger Jahre gab es den ersten Versuch, die originalen Aufnahmen mit den dazugehörigen Covern unters Volk zu bringen. Werbung wurde leider kaum gemacht und auch die Presseberichte fielen kläglich und nichts sagend aus, da mittlerweile abgehalfterte westdeutsche Journalisten die Chefsessel der regionalen Zeitungen besetzten und als „Klassik“ nur den gerade mit Strauß-Melodien für Furore sorgenden Andre Rieu akzeptierten. Nun also versucht man es noch einmal und holte sich ein immer schlechter werdendes Nachrichtenmagazin ins Boot. Wir freuen uns trotzdem, dass es die schönen und interessanten Aufnahmen von Eterna endlich wieder gibt.
Neben den bekannten Sinfonien von Adolf Bruckner (Sinfonie Nr. 4), Franz Schubert („Unvollendete“), Joseph Haydn (Sinfonie Nr. 93, Nr.94) und Beethoven (Sinfonie Nr. 9) gibt es die unerhörte und einzigartige Aufnahme von Smetanas „Mein Vaterland“. Hier spielte das Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung von Vàclav Neumann mit Leichtigkeit und Freude. Man will den Fluss hören und spüren, die Tränen laufen heiß, es wird wieder ein wunderbarer Tag. Dies ist eine LP, die bis heute in vielen ostdeutschen Haushalten auf den Plattenteller kommt. Auch Carl Orffs „Carmina burana“, interpretiert vom Rundfunkchor, dem Rundfunkkinderchor Leipzig und dem Sinfonie-Orchester Leipzig, ist unerreicht und voller Schönheit und Intelligenz. Natürlich waren die Klassik spielenden Künstler der DDR auch deswegen berühmt, weil sie sich an selten gespielte Musikstücke wagten und sich nicht an Verkaufszahlen halten mussten. So gibt es endlich wieder rein und unverfälscht die Orchesterwerke von Paul Dessau und die „Deutsche Sinfonie“ von Hanns Eisler. Man vernimmt immer noch den Kampf von Eisler um Anerkennung, gerade dieser Sinfonie. Der Satz „Kämpfer in den Konzentrationslagern“ wurde vom Rundfunk-Orchester Berlin sehr hart und intensiv eingespielt. Man spürt als Herzschlag das Klopfmotiv, erkennt in weiter Ferne das B-A-C-H Motiv und findet das Zusammenziehen von Tradition und Avantgarde immer noch ungewöhnlich und berauschend. Während die „Arbeiterkantate“, das Kernstück der Sinfonie, aus den Lautsprechern dringt, denkt der Hörer sofort an die jahrhundertelange Unterdrückung und Ausbeutung, spürt im letzten Teil den Kampf um Selbstbestimmung und möchte schließlich im stürmischen Schlusssatz (Allegro für Orchester) mitjubeln. So atemberaubend und realitätsnah kam Eisler nie wieder auf ein Album. Weiterhin gibt es die Sinfonie „Das Lied von der Erde“ (Gustav Mahler), eingespielt vom Berliner Sinfonie-Orchester und gesungen von Peter Schreier und Birgit Finnilä. Das Trinkerlied „Jammer der Erde“ sticht heraus und ist dabei ganz hervorragend gelungen. Die großen Flöten weinen, die Klarinette, die Hörner, Trompeten und Posaunen lassen uns das ganze Elend spüren.
Auch die weltbekannten Interpreten wurden in dieser Reihe nicht vergessen. So gibt es die Zusammenstellung von Peter Schreier: „Die schöne Müllerin“. Der Tenor präsentiert dabei ein weit gefächertes Repertoire. Von Oper, Operette (Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“) bis hin zum klassischen Lied sang der Dresdner Künstler, der 2005 seine Gesangkarriere beendete, alles perfekt und aufregend. Unbedingt wieder anhören, sollte jeder das Album mit der Sopranistin Hanne-Lore Kuhse, die nahezu alle Partien im dramatischen Fach singen konnte und besonders als Marie in der Oper „Wozzeck“ von Alan Berg brillierte. Opernfreunde in Budapest, Bukarest, London, Nizza, Prag und Sofia schwärmen noch heute von ihren Konzerten.
Sogar die Einspielung „Bilder einer Ausstellung“ vom Pianisten Peter Rösel ist wieder zu haben, der übrigens am Tschaikowski-Konservatorium Moskau studieren durfte. Der heutige Professor für Klavier an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ Dresden strich mit leichten Gesten über die Tasten, spielte höchst erfrischend und stilistisch perfekt. Die Klarheit seines perlenden Spiels überrascht noch heute. Neben vielen weiteren aufregenden Einspielungen, hier sollte man unbedingt die „Psalmen Davids“ (Heinrich Schütz) vom Dresdner Kreuzchor und die „Opernszenen“ mit Theo Adam hören, begeistert vor allem die Schauspielerin und Diseuse Gisela May. Bis heute ist sie als die Brechtinterpretin bekannt. Mit dem Berliner Ensemble gab sie lange die „Mutter Courage“ und sang 1972 das vorliegende Album „Brecht-Songs“ ein. Endlich gibt es Weill, Dessau und Eisler geballt, voller Energie und unvergleichlich schön. Gisela Mays Stimme ist erregend und erzeugt reichlich Gänsehaut. Für ihre künstlerische Arbeit bekam die May zu Recht den Kunstpreis der DDR, die Clara-Zetkin Medaille, viele Auszeichnungen – unter anderem in Paris, Mailand und Moskau – und den „Vaterländischen Verdienstorden“ der DDR.
Diese Edition, die 30 CDs umfasst, zeigt ein hohes Maß an Musikalität und klanglicher Qualität. Es ist schlicht und einfach ein faszinierender Überblick über drei Jahrzehnte Kunst in der DDR.
Eterna-Edition „Über Grenzen hinaus“, Edel, 9,99 Euro je CD
Schlagwörter: Eterna, Klassik, Musik, Thomas Behlert