15. Jahrgang | Nummer 8 | 16. April 2012

Der liebe Gott und das liebe Geld

von Axel Fair-Schulz, Potsdam, N.Y.

Zur Zeit ist es am wahrscheinlichsten, dass Barack Obama die US-Präsidentschaftswahl im November gewinnt und ab Januar nächsten Jahres für vier weitere Jahre im Weissen Haus residiert. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass Mitt Romney am Ende doch die Nominierung der Republikaner ergattert. Seine erzkonservativen Konkurrenten Santorum (inzwischen aus dem Rennen ausgeschieden) und Gingrich repräsentieren solch rechts-extreme Positionen, dass sie fur die amerikanische Mehrheit nicht akzeptabel sind.
Romney war diese letzten beiden Herausforderer – einmal abgesehen vom völlig chancenlosen Ron Paul – lange nicht los geworden, weil diese sich als die eigentlichen Konservativen inszenierten und Romney als moderates Weichei darstellten. So völlig ungelegen kommt diese Charakterisierung Romney allerdings nicht, denn der schwerreiche Geschäftsmann sieht sich – wenngleich nicht als Weichei – als ein von gesundem Menschenverstand, Augenmass und Führungskompetenz geprägter Politiker, der allein es schaffen könnte, die Novemberwahl für die Republikaner zu gewinnen. Die in den republikanischen Vorwahlen dominierenden rechten Extremisten werden die Präsidentenwahl nicht entscheiden, sondern ein sich politisch mehrheitlich in der Mitte befindliches Wahlvolk. Romney hat also allen Grund, sein Image als Mann der Mitte zu pflegen.
Zu fragen ist nun allerdings, ob dieses Image als moderater Konservativer mit der Realität übereinstimmt oder hauptsächlich  taktischen Erwägungen entspringt. Für die Authentizität von Romneys Selbstbild spricht zum einen seine Zeit als Governor von Massachusetts sowie seine politisch-ideologische Selbstverortung als Eisenhower-Republikaner. Gemessen an heutigen Standards war Dwight D. Eisenhower ein Pragmatiker, der den Kapitalismus zwar gundsätzlich bejahte, aber in ihm kein Allheilmittel sah. Zwischen Republikanern wie „Ike“ und selbst Richard Nixon auf der einen und Reagan sowie dessen Gefolgschaft auf der anderen Seite liegen ideologische Welten. Folgerichtig charakterisierte übrigens der markt-fundamentalistische Wirtschaftschefideologe Milton Friedman Nixon als Sozialisten, dessen Wirtschaftspolitik dann zum Glück Reagan und Thatcher revidierten. Eisenhower warnte am Ende seiner Amtszeit vor der die amerikanische Demokratie unterminierenden wachsenden Macht des militärisch-industriellen Komplexes und unterstrich damit seine grundsätzliche moderat-pragmatische Grundposition. Heute würde er wegen solcher Äusserungen vielleicht vom Verfassungsschutz wegen Linksextremismus beobachtet.
Romney bezog sich besonders auf Eisenhowers massives Investitionsprogramm in die amerikanische Infrastruktur, als das einflussreiche Atlantic Magazin ihn 2005 nach seinen Vorbildern befragte. Nun ist die Forderung nach staatlichen Investitionen jedweder Art Blasphemie am Evangelium der Markt-Fundemantalisten, die alles dem Privatsektor uberlassen wollen. Die von extremistischen Milliardären wie den Koch-Gebrüdern David und Charles finanzierte faschistoide Tea Party versucht schon seit vielen Jahren, moderate Republikaner zu neutralisieren. Daher attackierten diese Demagogen und ihre wirrköpfige Gefolgschaft Romney auch für seine Amtszeit als Governor von Massachusetts, da Romney dort eine Umgestaltung des Krankenversicherungssystemes erlaubte, das zwar nach wie vor keine universelle Krankenversicherung darstellt, aber wesentlich mehr Menschen versichert als vorher. Die Tea Party und ihre schwerreichen Strippenzieher (besonders in der privaten Krankenversicherungsbranche)  beschuldigten prompt Romney als „Sozialisten“, der mit dem „Kommunisten“ Obama dabei ist, eine totalitäre Gesellschaft auzubauen – Stichwort „Romney- Care“ als Anspielung auf „Obama-Care“. Einmal abgesehen von der aberwitzigen Charakterisierung des Erzkapitalisten Romney als Sozialisten muss auch hinzugefügt werden, dass sich Romney zuerst gegen diese Verbesserungen besonders für die unteren Einkommensschichten sträubte und acht Provisionen mit seinem Veto versah. So versuchte Romney beispielsweise zahnärztliche Betreung für Geringverdiener sowie medizinische Behandlung für Rentner und Behinderte aus dem Vericherungspaket herauszunehmen. Am Ende wurde er aber von einer Mehrheit der Abgeordneten überstimmt und sein Veto annuliert.
Romneys sorgsam gepflegtes Image als moderater Konservativer kollidiert auch mit seinen alarmierend freundlichen Kommentaren zu Cleon Skoussen. Der 2006 verstorbene Skoussen war ein ultra-konservativer Verschwörungsneurotiker und radikaler Anti-Kommunist, der die zweifelhafte rhetorische Leistung erbrachte, ultra-rechte und stalinistische Denkfiguren zusammenzubringen. Ja, auch diese Extreme berühren sich. Skoussen, zeitweilig Theologie-Professor an der mormonischen Brigham Young University, ist seit Jahrzehnten eine Gallionsfigur im ultrarechts-konservativen Umfeld und erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance durch den ebenso extremistischen rechts-konservativen Fernseh- und Radioprogandisten Glenn Beck. Beck, Mormone wie Skoussen und Romney, ist eines der schillernsten und gefährlichsten Schlachtrosse der faschistoiden Tea Party.
Sicherlich nimmt Romney die meisten der doch sehr abenteuerlichen Behauptungen Skoussens nicht ernst. Doch wenn von rechtslastigen Kreisen im Dunstkreis der Tea Party nach Skoussen angesprochen, distanziert sich Romney nicht nur nicht von diesem Relikt des Kalten Krieges, sondern äussert sich im Gegenteil bewundernd. Auch hier fischt Mitt Romney in sehr trüben Gewässern.
In seinem tiefsten Inneren ist Romney wohl ein von theologisch-kulturellem Vulgärkalvinismus und wirtschaftspolitischen Sozialdarwinismus geprägter Geschäftsmann. Sein mormonischer Glaube bestätigt ihm, daß sein weltlich-geschäftlicher Erfolg Gottes Wohlwollen ausdrückt, er also de facto  zu den zum finanziellen Erfolg auserwählten Menschen gehört. Für Romney ist in erster und letzter Instanz ständige Effizienzsteigerung Maßstab dieses Erfolges, denn Effizienzsteigerung der Unternehmen bedeutet Proftmaximierung. In seinem Weltbild konkurrieren Konzerne in einem der Evolutionsbiologie entlehnten Ausleseverfahren und in diesem Überlebenskampf gibt es Gewinner und Verlierer. In diesem Zusammenhang bemüht Romney gern das von Joseph Schumpeter popularisierte Prinzip der „kreativen Zerstörung“, in welchem er DEN Motor unternehmerischer Innovation sieht. Diese ständige „kreative Zerstörung“ praktiziert die von Romney gegründete und über Jahrzehnte von ihm geführte Bain Capital –Unternehmensberatungsfirma. 1984 kontrollierte Bain Capital 37 Millionen Dollar. 1994 waren es schon um die 500 Millionen und heute sind es mehr als 66 Milliarden. Ein gewaltiger Erfolg, ohne Frage – doch für wen? Die für diese Profitmaximierung notwendige „kreative Zerstörung“ ist nicht nur die Basis für das riesige Privatvermögen von Romney, sondern auch ein Grund für die immer schlimmere Verarmung der amerikanischen Mittelklasse. Das von Bain Capital und ihresgleichen betriebene gnadenlose Ausplündern von Unternehmen kümmert sich nicht um die Opfer dieses Raubtier-Kapitalismus. Daher kommt auch Romneys instinktive Feindschaft gegenüber Gewerkschaften und basisdemokratischen Bewegungen. Diese verteidigen eine solidarische Wirtschaftsordnung, die in Romneys Blickwinkel von einseitiger Effizienzsteigerung zur Profitmaximierung keinen Platz hat. Man kann nur hoffen, dass im November die große Mehrheit der Amerikaner Romney und seinem Raubtierkapitalismus eine deutliche Absage erteilt und nicht auf sein Selbstbild als moderater Konservativer und neutraler Wirtschaftsexperte hereinfällt.