von Heerke Hummel
Die Mitteilung, die Chefs der BRICS-Staaten hätten auf ihrem Treffen Ende März in Neu-Delhi die Gründung einer gemeinsamen Entwicklungsbank als Gegenpol zur Weltbank ins Auge gefasst, erregte nur sehr kurze Zeit die Aufmerksamkeit der hiesigen Öffentlichkeit. Dann ließ man sich von Kommentaren beruhigen, welche die Bedeutung dieses Beschlusses mit der Bemerkung herunterspielten, er sei die bisher einzige kreative Idee dieser gerade mal drei Jahre kooperierenden Staatengruppierung gewesen. Beruhigen mochte in heutiger, schnelllebiger Zeit auch der Hinweis, dass die betreffenden Finanzminister den Vorstoß zu prüfen und sich beim nächsten Gipfel dazu zu äußern haben, man von einem solchen Finanzinstitut also noch weit entfernt sei. Außerdem glaubte man feststellen zu können, dass es sich bei Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika um Länder mit konkurrierenden politischen Systemen und entgegengesetzten geostrategischen Interessen handele, ohne historischen Zusammenhalt. BRICS ein Chaosklub statt ernstzunehmender Alternative zur westlichen Globalisierungsstrategie? Diese Frage aus dem ARD-Hörfunkstudio Südasien konnte auch Hoffnungen derjenigen ausdrücken, die den Bestrebungen der bisher Benachteiligten dieser Welt mit Argwohn begegnen.
Immerhin repräsentieren die fünf Nationen aus vier Kontinenten 43 Prozent der Weltbevölkerung und ein Viertel der Weltwirtschaft. Unter dem Motto „Eine BRICS-Partnerschaft für globale Stabilität, Sicherheit und globalen Wohlstand“ haben ihre Repräsentanten beschlossen, „untereinander und mit dem Rest der Welt an nachhaltigen und echten Lösungen von regionalen und globalen Problemen zu arbeiten“, wie von Seiten des indischen Außenministeriums formuliert wurde. Schon dieser eine Satz lässt eine ganz andere Denkweise erkennen, als sie in der westlichen Hemisphäre üblich ist und in der Frage eines Kommentators zum Ausdruck kommt: „Muss sich der Westen in Acht nehmen?“ Wieso eigentlich? Ausdrücklich wird doch von der Zusammenarbeit mit der übrigen Welt gesprochen. Aber es soll um echte Lösungen regionaler und globaler Probleme gehen, nicht um Fiktionen von Oligarchen in den Finanzzentren der Welt. Echte Lösungen betreffen die sachlichen Probleme der Produktion und des Austauschs sowie des Schutzes der Umwelt im Interesse des Wohlstands von Milliarden Menschen. Sie betreffen die Überwindung von Not und Elend und die Sicherung des sozialen Friedens in der Welt, die Bewirtschaftung unseres Planeten im Interesse aller. Nur wer dies nicht will, müsste sich in Acht nehmen.
Wer immer im Westen das Sagen hat, sollte ernst nehmen, was sich da am anderen Ende der Welt neu zu entwickeln beginnt, und mit der Bereitschaft verfolgen, sich an dem Prozess der Erneuerung dieser Welt und ihres sozialen Gefüges kooperativ zu beteiligen. Die Europäische Union wäre dank ihrer Traditionen im Denken, insbesondere im Verständnis von Wirtschaft und Wirtschaften, berufen, dabei eine Vorreiterrolle zu spielen. Denn Veränderungen im Handeln der Menschen müssen notwendigerweise durch den Kopf der Menschen, setzen verändertes Denken voraus. Und ein Umdenken wird auch hier schon seit geraumer Zeit von verschiedenster Seite gefordert.
Der Glaube, unterschiedliche politische Systeme müssten eine ökonomisch gestaltende Zusammenarbeit der Staaten erschweren oder unmöglich machen, ist Folge eines Egozentrismus, der das Eigene für den Nabel der Welt hält und nicht zu verstehen vermag, dass andere – vor allem historische und ökonomische – Bedingungen andere politische Systeme hervorbringen und weitgehend notwendig machen. Die westliche Welt leidet unter solcher Arroganz seit dem Siegeszug ihres Kapitalismus. Sie könnte von den Chinesen lernen, die unter der geistigen Führerschaft von Deng Xiao Ping in wenigen Jahrzehnten einen beispiellosen ökonomischen und sozialen Wandel ihres Landes zu vollbringen vermochten, weil sie im Denken beweglich waren und sich von Dogmen lösten. Zwischen Form und Inhalt politischer und ökonomischer Verhältnisse unterscheidend konzentrierten sie sich auf das Wesentliche und praktisch Nötige in der Realität: Sie verzichteten auf „sozialistische“ und „kapitalistische“ Worthülsen und öffneten der Eigeninitiative und Verantwortung von Unternehmern im Rahmen einer (scheinbar kapitalistischen) Marktwirtschaft Entfaltungs- und Wirkungsräume. Gleichzeitig sicherten sie aber das Primat der Politik einer Zentralmacht zur Steuerung der bedeutenden sachlichen Prozesse (und daraus abgeleitet gewiss auch finanzieller) im nationalen Interesse Chinas auf lange Sicht. Wie immer man zur chinesischen Politik stehen mag – der Markt steuert,wenn man das überhaupt so nennen kann, nur kurzfristig und einseitig gewinnorientiert im Interesse der ökonomisch Stärkeren. Sozial zu denken und zielgerichtet auszugleichen vermag er nicht. Damit steht er, auf sich allein gestellt, einer echten Lösung der globalen Probleme der Gegenwart im Wege. Er verschärft sie sogar, gefährdet den Frieden und bedarf seiner Unterordnung unter einen zielgebenden politischen Willen.
In Europa ist man von entideologisiertem Denken und Handeln noch weit entfernt. Hier wird der Blick gebannt auf eine illusionäre und desaströse, scheinbar kapitalistische Finanzvermehrung um jeden Preis und ohne reale sachliche Bezüge gerichtet. Einerseits – und andererseits auf die nicht weniger wirklichkeitsfremde Angst oder Hoffnung den Sozialismus betreffend. Beide „Systeme“, Kapitalismus wie Sozialismus, beherrschen mit allen davon betroffenen positiven wie negativen Erwartungen das Denken und setzen ihm seit über hundert Jahren Schranken. Dabei geht es längst nicht mehr um diese Gespenster, sondern um die Wiederherstellung des Primats der Politik, damit die Wirtschaft in ihren sachlichen Bezügen zum Wohl der Menschen nicht nur Deutschlands und Europas, sondern letztlich der Welt, reguliert werden kann.
Die jüngsten Absprachen der fünf Staatsmänner von vier Kontinenten dürften in hohem Maße auf chinesische sowie indische Denkanstöße zurückgehen, die aus der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften und der Observer Research Foundation in Delhi kommen. Dort glaubt man, „dass das globale Nachdenken über Entwicklung bisher durch westlich dominierte Institutionen wie die Weltbank oder die großen amerikanischen Universitäten ungut vereinfacht wurde“. Während der Westen unter ökonomischer Entwicklung Wirtschaftswachstum im Sinne maximaler Kapitalvermehrung (und stelle diese sich auch in noch so illusionären Wertgrößen dar!) versteht, soll die BRICS-Bank sachliche „Entwicklungskonzepte zum Beispiel aus China oder Indien nach Indonesien oder Nigeria exportieren – als Alternative zu den Rezepten der Weltbank“. Dabei soll die Bank nur noch mit Krediten in den Währungen der BRICS-Länder handeln. Und auf Grund eines Börsenabkommens „soll jeder Chinese in seiner Währung Aktien in den übrigen vier Brics-Staaten kaufen können, ohne Umtausch in eine westliche Weltwährung. Das gilt dann umgekehrt genauso für Inder, Russen, Brasilianer und Südafrikaner“.
Auch das notwendige Geld wird zu einem Großteil aus China kommen. Im Gespräch sind (umgerechnet) 150 Milliarden Dollar, für Indien und Brasilien je weitere 50 Milliarden. Einzelheiten die Währungsrelationen und Umtauschmodalitäten betreffend wurden bisher nicht bekannt. Doch auf Grund bisheriger internationaler Erfahrungen dürfte man mit fest vereinbarten Umrechnungskursen rechnen können.
Was die sachlichen Auswirkungen der Absprachen von Neu-Delhi betrifft, so dürften sie die Wirtschaft und ihre Entwicklung in den BRICS-Ländern stabilisieren und weniger abhängig vom Westen machen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Milliarden Menschen. Zu erwarten ist, dass sich der innerregionale Austausch von Gütern und Leistungen in diesem Teil der Welt wesentlich beschleunigt. Eine Gefahr für den Westen ist daraus nicht ableitbar. Es sei denn, man betrachtet den Abbau neokolonialer Ausbeutung durch imperialistische Finanzbeziehungen als Desaster für Europa und die USA.
Schlagwörter: BRICS, China, Entwicklungsbank, Heerke Hummel, ökonomische Zusammenarbeit