von Sandra Beyer
Als die ersten Japaner das „westliche“ Festland betraten, wurden sie zum Spektakel. Menschenmassen versammelten sich in San Francisco, New York, Marseille, Paris, London, um die fremden Besucher unverhohlen anzustarren und ihnen laut zuzujubeln. Schnell gewöhnten sich diese an die Wirkung, die sie auf die seltsamen Menschen hatten, aber der Westen kam den japanischen Diplomaten von edler kriegerischer Herkunft albern und barbarisch vor. Die Damen, die als Ehefrauen zu den Empfängen eingeladen waren, waren den Japanern suspekt, und sie fragten sich, welche diplomatischen Sitten in jenen Ländern herrschten, dass sie Weibsvolk in wundersamer, offenherziger Kleidung zu offiziellen Anlässen hereinließen. Zum Glück für alle Beteiligten mangelte es den Japanern an den nötigen Sprachkenntnissen und besaßen sie Zurückhaltung, um direkt zu fragen, welchem Zweck die Frauen dienten. Das hätte sonst in den jungen diplomatischen Beziehungen zu großen Zerwürfnissen führen können.
Die Missionen der Shogunatsregierung nach der erzwungenen Öffnung 1853 führten die Männer auch nach Europa. Die Diplomaten trugen japanische Oberbekleidung, den Hakama, und auf dem halbgeschorenen Kopf ihren Zopf. Der Reformator Fukuzawa Yukichi (1835-1902), der als Übersetzer mitreiste, kommentierte in seiner Autobiografie, wie lächerlich ihm seine eigenen Landsleute vorkamen, die sich gegenseitig auf die Toilette begleiteten und dem höheren Samurai bei offener Tür das Schwert hielten. Nicht minder stolz waren diese Herren auf andere Traditionen, indem sie auf ihrer langen Reise hunderte Paare von Reissandalen mitführten, da sie Lederschuhe als lächerlich erachteten. Zum Hakama passten sie wirklich nicht, wie Bilder der offiziellen Iwakura-Mission (1871-73) der neuen Regierung zeigen sollten. Vor allem der europäische Journalismus wollte es sich nicht nehmen lassen, sich über Japaner mit nunmehr Schnurrbart und Melone bei traditioneller Kleidung lustig zu machen. Erst nachdem Kaiser Meiji, der 1867 in die neue Hauptstadt Tokyo umsiedelte, eine für das neue Japan erfundene Uniform anzog, um damit die Richtung für das moderne Japan des 19. Jahrhunderts vorzugeben, begannen auch seine Untertanen Stock und Hut zu nehmen. Bei vielen Reformern dieser Zeit kam das Gesangbuch noch hinzu.
Kaiserin Meiji, mit bürgerlichem Namen Haruko, legte 1886 den Kimono ab, um bis zu ihrem Lebensende das Korsett zu tragen. Das Dekolletee fehlte jedoch in Japan, da die erotische Schönheit einer Frau nach japanischer Auffassung in ihrem Nacken liegt. Das neue Gewand verwirrte nicht nur japanische Männer, sondern westliche gleichermaßen. Während der Reifrock und das Korsett die Büste betonten und damit Japanerinnen für westliche Augen zugänglich machten, führte sie den japanischen Blick vom Nacken hin zu anderen Gegenden. Im 19. Jahrhundert folgten jedoch vorwiegend adlige Frauen ihrer Kaiserin, während der Kimono bis in die neunzehnhundertzwanziger Jahre das Bild der Japanerin im Inland prägen sollte. Im Ausland tut er das noch heute. Zwar versuchten erst die Shogunatsregierung und dann die Oligarchie in Tokyo, das Bild ihres Landes im Westen zu beeinflussen, doch ihre eigene Kleidung stand ihnen immer wieder im Weg. 1867 sandte das Shogunat drei Geishas aus einem der großen Vergnügungsviertel Edos nach Paris, um dort den japanische Pavillon bei der Weltausstellung mit einem Teehaus zu betreuen. Damit war der Siegeszug der Geisha, der japanischen Frau schlechthin, nicht mehr aufzuhalten. Der Beruf mag heute ein ganz anderer sein. Nur noch wenige Frauen finden sich, die sich das harte Training zur Künstlerin überhaupt noch zumuten wollen, aber ihre Figur im Kimono ist für immer in unserem kulturellen Gedächtnis eingefroren.
Einen Skandal um ein Kleidungsstück hätte fast die Poetin und spätere Gründerin der Frauenhochschule Jissen University, Shimoda Utako (1845-1936) ausgelöst, als sie 1893 im Auftrag des Kaisers nach England reiste. Die Witwe war Erzieherin der kaiserlichen Prinzessinnen gewesen und sollte sich nun einen Blick in die höhere Töchterbildung verschaffen. Denn die Töchter des Kaiser Meiji wollten sich auf dem internationalen Parkett angemessen bewegen können. 1894 wurde Shimoda eine Audienz bei Queen Victoria erlaubt, und diese eigensinnige Japanerin wollte ihr Land in einem für adlige Damen passenden Festkimono repräsentieren. Die Botschaft stand Kopf und bestellte Shimoda ein. Die Herren Diplomaten hatten den Chinesisch-Japanischen Krieg (1894/95) vorzubereiten, welcher vor allem das Britische Imperium mit seinen Kolonien in Ostasien verzögern würde. Das diamentene Thronjubiläum der Königin stand drei Jahre später ebenfalls an. Während sich Japan 1887 als unwichtig behandelt und übergangen gefühlt hatte, wollte es diesmal als imperiale Großmacht wahrgenommen werden. Ein Auftritt in einer Kleidung, die dem feudalen und damit alten Japan zugerechnet wurde, war das letzte, was das Außenministerium jetzt brauchte. Die Botschaft übte also Druck auf Shimoda aus, ihr Land nicht als barbarisch und rückständig zu präsentieren. Doch die fast Vierzigjährige ließ sich nicht einschüchtern, und so wurde ihre Teilnahme an der Audienz von der Botschaft abgesagt. Shimoda wandte sich daraufhin direkt an den Kaiser, um ein weiteres Jahr in England bleiben zu dürfen. 1894 reiste sie durch die Universitäten und Privatschulen für Mädchen, um sich von der Wichtigkeit höherer Frauenbildung zu überzeugen. Hier kam sie zu der Überzeugung, dass nur die Bildung des Geistes zur moralischen Schönheit führen könnte. Damit wurde sie zur Begründerin der konservativen Ausrichtung auf die „gute Ehefrau und kluge Mutter“. Um 1900 war diese Wertschätzung der Japanerin als wichtige Stütze für Familie und Staat ein emanzipatorischer Gedanke, der Frauen aus der intellektuellen und rechtlichen Unmündigkeit hätte führen können. Am 8. Mai 1895 durfte die kämpferische Frau schlussendlich in ihrem Festkimono vor Queen Victoria treten, die wohl die einzige war, die sich dazu noch äußerte. Am 17. April war der Vertrag von Shimonoseki unterzeichnet worden, und die Botschaft hatte mit dem Sieg über China und dem Aufstieg zur imperialen Großmacht genug zu tun. Der London Times war die Japanerin auch nur eine kurze Notiz wert, in der sie deren Namen auch noch falsch schrieb.
Für kurze Zeit war der Kimono noch einmal zum Politikum geworden. Mit dem eigenen Aufstieg in die Reihen der Kolonialmächte besann sich Japan so sehr zurück auf die Dinge, die es für die eigenen Traditionen hielt, dass Frauen ihn mit geschwellter Brust tragen konnten. Als gute Bürgerinnen des erstarkenden und stolzen Staates versuchten sie so, die eigene Stellung zu festigen. Bis zur Nachkriegsverfassung würde es noch Versuche geben, Frauen als Bürgerinnen einer imperialen Großmacht zu bestätigen, ohne sie jedoch als rechtliche und politische Subjekte anzuerkennen. Nach dem ersten Weltkrieg stand Japan als Siegermacht in Versailles und wollte Deutschlands Kolonien in China. Die Haare und Röcke wurden kürzer, doch das allgemeine Wahlrecht ging 1925 nur an erwachsene Männer. Mit den Nylonstrümpfen der Amerikaner erkämpften sich 1946 Japanerinnen ihre Sichtbarkeit auch im Parlament. Dort tragen sie noch heute Kostüm und Hosenanzug. Denn der Kimono gehört in den familiären und damit privaten Bereich. Künstlerinnen treten in ihm auf, wenn sie Tradition betonen wollen. Offiziell trägt auch die Kaiserin ihn noch, ansonsten ist er ein Kleidungsstück für besondere Tage oder der Abhebung von der Masse geworden. Und es sind die Frauen, die diese Tradition am Körper tragen. Seither prägen sie damit unser Bild vom weiblichen, ungefährlichen Japan, die uns nicht wie der anzugtragende uniforme Samurai mit seiner Aktentasche als Schwert (wirtschaftlich) Unbehagen bereiten kann.
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