von Renate Hoffmann
Der Anfang begann am Ende. Auf dem Alten Garnisonfriedhof in Berlin. Eine stille Insel inmitten der Stadt. In der Nachbarschaft eines Generals der Kavallerie und des Hauptmanns a. D. von Puttkamer, „Special-Director der Berlin-Potsdamer Eisenbahn“, steht sein schlichtes Grabdenkmal – eine Stele aus Sandstein mit palmettenverziertem Aufsatz und gusseisernem Kreuz für Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843). Dichter, Erzähler, Dramatiker; „Major und Ritter“, wie er, dekoriert mit dem Johanniter-Orden, unterschrieb. Fouqué erhielt ein Ehrengrab, und nicht nur der militärischen Meriten wegen. Es ist sein 235. Jubeljahr, guter Grund auch, sich des Fabulierers zu erinnern.
Bei einem großväterlichen General, hugenottischer Abkunft, der mit Friedrich II. Briefwechsel pflegte, versteht man des Enkels Hang und Drang, ritterliche Dramen und Romane zu schreiben, deren er unzählige vorlegte. Ihre Titel verraten den heroischen Inhalt: „Historie vom edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin von Bretagne“ oder „Die Fahrten des Thiodulfs, des Isländers“. Tapferkeit und Tugend siegen, wilde Abenteuer reizen die Sinne. Und zwischen all dem Heldengewimmel, den Almanachen, Erzählungen, Biografien, die der unermüdlich Schreibende schuf, blüht ein Märchen, welches seinen Glanz bis auf unsere Tag nicht verlor.
Heinrich Heine, obwohl ein kritischer Betrachter der Fouquéschen Werke, urteilte enthusiastisch: „Dieses Gedicht ist selbst ein Kuß; der Genius der Poesie küßte den schlafenden Frühling und dieser schlug lächelnd die Augen auf, und alle Rosen dufteten, und alle Nachtigallen sangen, das hat unser vortrefflicher Fouqué in Worte gekleidet und er nannte es ‚Undine’.“ Ein Wesen von überirdischer Schönheit, launisch, quirlig, verführerisch – doch ohne Seele. Es webt und schwebt in Wasserfällen, Waldseen und Bächen und tanzt im Reigen der kleinen Meerjungfrauen und Melusinen und Rusalken. Fouqués Undine teilt das Schicksal ihrer Schwestern. Sie findet ihren Prinzen, gewinnt durch ihn eine Seele. Und verliert sie wieder, als eine andere Frau dazwischen tritt.
Der Dichter schmückt die Geschichte mit romantischen Naturbildern, lässt Traum und Wirklichkeit verschmelzen. In dieser feinfühligen, von Wehmut durchzogenen Erzählung schlagen Heines Nachtigallen, duften die Rosen.
Man sagt, es sei Fouqués Jugendliebe gewesen, die in späteren Jahren Eingang in das Märchen fand. War es die Begegnung des 18jährigen Kornetts mit dem Mädchen Elisabeth von Breitenbauch? Sein Regiment stand damals in Minden. War’s im Monat Mai (die Nachtigallen … )? „Meine Seele empfand in leisen innigen Schauern: Hier war ihr etwas für das Leben Unvergeßliches erschienen.“ Die Verbindung endete mit einer Enttäuschung für den jungen Mann. Seine Undine ging.
Es nimmt nicht Wunder, dass die Geschichte über die Zeiten hinweg Komponisten, Literaten und Bildende Künstler anregte. E.T.A. Hoffmann, mit dem Dichter befreundet, komponierte eine Oper in drei Akten. Uraufführung: 3. August 1816 im Königlichen Schauspielhaus, Berlin; Libretto: Fouqué; Bühnenbild: Karl Friedrich Schinkel; Sängerin: Johanna Eunicke; Dirigent: Romberg (Gerhard Heinrich?). Albert Lortzing folgte 1845 ebenfalls mit einer Oper. Und Hans Werner Henze schrieb die Musik für das Ballett „Undine“ (1956). Unüberhörbar schwingen Töne in diesem Märchen, die danach verlangen, zum Klingen gebracht zu werden.
So empfindsam seine Dichterseele auf jegliches reagierte, so standhaft diente Fouqué in der preußischen Armee (der generalische Großvater!). Stets ein kränkelnder Mann, nahm er erst auf ärztliches Anraten den Abschied. Fand sich jedoch 1813, als der Aufruf zur Bildung von Freiwilligen-Verbänden gegen die französische Besatzung erging, umgehend wieder ein. Bis zur Völkerschlacht bei Leipzig verblieb er in militärischer Mission.
1803 hatte Friedrich Heinrich Carl de la Motte Fouqué Caroline Philippine verwitwete von Rochow, geborene von Briest, geheiratet. Den Briests gehörten Gut und Besitzung Nennhausen. Aus dem Gut entstand inzwischen ein ansehnliches Schloss. Und der Park ringsherum – der hinter die sieben Berge führt – lud ein zum Verweilen, Nachsinnen, Entspannen, Lustwandeln, Schäkern; zum Gedankenaustausch mit Freunden. Fouqué blieb 30 Jahre in Nennhausen. Die Nähe zu Berlin erweiterte den Freundeskreis. Man traf sich in der Stadt und auf dem Lande. Der Musenhof im Havelland lockte die Gäste. Karl August Varnhagen von Ense, Publizist, Erzähler, notierte nach einem Besuch: „In Nennhausen fehlten die Mittel höherer Bildung nicht; ausgezeichnete Gesellschaft, Sprachkenntnisse, Bücher, literarischer Trieb, alles fand sich dort vereinigt.“
Es kamen Joseph von Eichendorff und Adelbert von Chamisso, der seine Idee zur Gestalt des Peter Schlemihl in Nennhausen gefunden haben soll (vielleicht bei einem Parkspaziergang mit Fouqué?). E.T.A. Hoffmann kehrte in den Sommermonaten häufig ein. Die Brüder August und Friedrich Schlegel zählten zu den vielen Gästen. Auch fehlten die Humboldts nicht.
Wilhelm von H.: „Bei Fouqué wurde ich mit Freude und Güte empfangen […] Das Haus hat ganz seinen alten Eindruck wieder auf mich gemacht. Von außen nicht. Aber innerlich hat es alles, was man von einem alten, bequemen und vornehmen Landsitz erwarten kann […] Ich fand im Salon große Gesellschaft, in die ich mich mit unglaublicher Mühe gefunden habe […]“ Humboldt blieb über Nacht, „aber in einer durchaus kalten Stube; das war eine harte Prüfung, doch das Bett war sehr gut“.
Wer nicht mehr erschien, obwohl mehrmals eingeladen, war Heinrich von Kleist. Er schrieb am 25. April 1811: „Mein liebster Fouqué, Ihre liebe, freundliche Einladung, nach Nennhausen hinaus zu kommen und daselbst den Lenz aufblühen zu sehen, reizt mich mehr, als ich sagen kann […]“ Aber es ist ihm „unmöglich, Berlin in diesem Zeitpunkt zu verlassen […] davon ein Mehreres, wenn ich bei Ihnen bin […]“ Doch dann kam jener 21. November 1811, an dem Kleist seinem Lebensweg ein Ende setzte.
Unweit von Rathenow findet man Amt und Gemeinde Nennhausen. Der Musenhof mit Schloss und Englischem Park war es wert, nach verschiedenen Nutzungen und Verfall, wiederzuerstehen. Es geschah. Die Lustwandelei im Grünen unter Platanen, Eichen, Rotbuchen weitetet nun, wie eh und je, die Seele. Das von Zinnen und Türmchen bekrönte Schloss – jetzt in Privatbesitz – posiert in gelber Stattlichkeit. Weist ab, wenn man im Innern nach den Bequemlichkeiten eines vornehmen Landsitzes suchen wollte. Öffnet aber der Neugier zu Veranstaltungen bereitwillig die Pforten. Ich eile.
Im Saal treffe ich, wie der Staatsmann und Philosoph H., „große Gesellschaft“, musikhungrig und schaulustig. Der „mächtige Kamin […] mit dem Briestschen Wappen“, den Humboldt nicht vergaß, zu erwähnen, beherrscht nach wie vor den Raum. Das Stimmengewoge legt sich und im Rahmen der Havelländischen Musikfestspiele beginnt das Konzert zu Ehren König Friedrichs II. Es musizieren Armin Thalheim (Spinett), Ingo Renner (Querflöte); und Gotthard Erler liest und erzählt. – Verständlicherweise überstrahlt Friedrichs 300. Geburtstag derzeit alle Nebenjubilare. Doch Fouqué, mit 235 Jahren, darf getrost mitjubeln. Zumal der große Friedrich für den kleinen Friedrich bei dessen Taufe die Patenschaft übernahm.
Wegen der Eventualität einer „durchaus kalten Stube“, blieb ich nicht in Nennhausen und fuhr wieder in die große Stadt zurück.
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