von Axel Fair-Schulz, Potsdam, N.Y.
Jeder halbwegs informierte Mensch weiß inzwischen, dass Barack Obama ein brillanter und eloquenter Redner ist. Wohltuend unterscheidet sich der jetzige Präsident schon diesbezüglich von seinem texanischen Amtsvorgänger, dem Stil und Grammatik der englischen Sprache weitgehend verschlossen geblieben sind. Bei Obama hapert es also nicht an der Rhetorik, wohl aber bei dem, was seine Administration tut oder eben unterlässt.
Der seit Jahrzehnten aktive Bürgerrechtler Ralph Nader brachte diesen Sachverhalt mit der Beobachtung auf den Punkt, dass Obama in seiner letzten State of the Union-Rede vom Januar dieses Jahres zwar nun endlich zumindest in der Innenpolitik das Richtige sage, es allerdings noch längst nicht tue. Nader erinnerte diesbezüglich daran, dass Obama zwar seit über drei Jahren in Amt und Würden sei und sich demnach durchaus für die von ihm im Wahlkampf 2008 so wortreich und hoffnungsvoll vertretenen strukturellen demokratischen Reformen des amerikanischen Wirtschafts- und Sozialsystems hätte einsetzen können. Natürlich dürfe nicht ignoriert werden, dass die (noch stärker als Obamas Demokratische Partei) von der Wall Street finanzierten und kontrollierten oppositionellen Republikaner heftigen Gegenwind produzierten und jedwede, auch noch so zaghaften Verbesserungsvorschläge unterminierten. Erkläre und entschuldige diese Obstruktion der Republikaner allerdings, so fragt Nader, alle von Obamas Unterlassungssünden?
Bezüglich eben jener Unterlassungssünden steht an vorderer Stelle, dass die Obama-Administration weder den Folterern, Menschenschändern, überführten Lügnern und Kriegstreibern der Bush-Administration noch den Wall Street-Schwindlern juristisch auf den Pelz rückt. Die gesetzlichen Möglichkeiten sind zwar da, doch fehlt es am Willen.
Ralph Nader formuliert seine sowohl beißende wie durchaus gerechtfertigte Kritik an der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei Obama nicht nur in zahlreichen Interviews in alternativen Medien wie Democracy Now, sondern auch in seinen Büchern. Sein neuestes Werk, Getting Steamed to Overcome Corporatism, illustriert an Hand von zahlreichen Beispielen, wie die marktbeherrschenden Konzerne nach wie vor alles tun, um sich auf Kosten der Bevölkerung zu bereichern, den amerikanischen Staat ausplündern und demokratische Prozesse aushöhlen. Leute wie Nader prangern diese Sachverhalte schon seit Jahren an. Neu ist inzwischen allerdings, dass selbst ein Parteigänger des amerikanischen Kapitalismus wie der durch seine These vom Ende der Geschichte 1989 weltberühmt und ebenso für seinen prokapitalistischen Triumphalismus berüchtigt gewordene Francis Fukuyama heute Ähnliches sagt. Vor kurzem erklärte Fukuyama in einem Spiegel-Interview, dass der gegenwärtige Kapitalismus nicht nur die Mittelklasse dezimiere, sondern vor allem auch die Demokratie bedrohe. Die immer dichtere Konzentration von Macht und Einfluss in den Chefetagen der Konzerne und deren Verflechtungen mit der Politik unterminierten die demokratische Legitimation der Gesellschaft. Soweit Fukuyama, der jedoch zugleich betont, dass es zurzeit keine durchsetzbare Alternative zum kapitalistischen System gäbe. Da kann man sicher geteilter Meinung sein. Unbestreitbar ist aber, dass der Kapitalismus seit dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Systemalternative immer undemokratischer, zerstörerischer und barbarischer geworden und kein Ende dieser Tendenzen abzusehen ist. Dem sollte kein sich um die Demokratie sorgender Mensch tatenlos zusehen, wenn wir nicht die schrecklichen Erfahrungen des 20 Jahrhunderts wiederholen wollen.
Auch der spätestens seit seiner Kampagne für das Einführen von gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsgurten in der amerikanischen Autoindustrie sehr pragmatisch denkende Nader fokussiert in seiner Kritik Obamas nicht auf irgendwelche wagen, utopischen Gesellschaftsentwürfe. Hier und heute müsse sich Obama vielmehr daran messen lassen, wie er sein eigenes Programm von 2008 umsetze. Kein vernünftiger Mensch erwarte ein perfektes Überseinstimmen von Wort und Wirklichkeit, doch die Kluft dürfe auch nicht zu groß werden.
So versprach Obama 2008, sich für eine Anhebung des Mindestlohnes von 7,25 Dollar pro Stunde auf 9,50 Dollar einzusetzen. Bis heute hat Obama dies weder erreicht, noch hat er sich dafür auch nur wirklich stark gemacht. Dies ist umso beschämender, da ein Mindeststundenlohn von 9,50 Dollar im Jahre 2012 nach Berücksichtigung der Inflation noch unter dem Mindeststundenlohnniveau von 1968 liegt. Zusätzlich ist zu bedenken, wie immens die Produktivität und damit die Profite der Konzerne seit 1968 gewachsen sind.
Neben Obamas noblen und hohlen Worten zum Mindestlohn lenkt Nader die Aufmerksamkeit darüber hinaus auch auf Obamas Wahlkampfrhetorik bezüglich des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA). Obama erkannte 2008, dass NAFTA die großen international agierenden Unternehmen, einschließlich der Agrar-Konzerne, wettbewerbsverzerrend bevorteilt, während kleinere Unternehmen in Industrie und Landwirtschaft den Kürzeren ziehen. Von den lohnabhängigen Menschen in den USA, Mexiko und Kanada ganz zu schweigen. Obama versprach, sich für eine grundsätzliche Revision des NAFTA-Vertrages einzusetzen, und hat bisher weder etwas erreicht noch dies auch nur versucht.
Darüber hinaus sind nicht zuletzt alle guten und richtigen Worte Obamas in punkto einer besseren Strafverfolgung im Bereich Wirtschaftskriminalität wenig mehr als hohle Phrasen. Obama spricht zwar von einer neu zu schaffenden Sonderabteilung, die dem Finanzsektor auf die Finger schauen soll, doch auch hier folgen keine Taten.
Dieser längst nicht vollständigen, gleichwohl sehr ernüchternden Bilanz auf innenpolitischer Ebene gesellt sich eine noch deprimierendere außenpolitische Bilanz hinzu. Obama hat sich als treuer Statthalter des amerikanischen Imperiums erwiesen. Ralph Nader spricht in diesem Zusammenhang von „gesetzlosem Militarismus“, der dem von George W. Bush immer mehr ähnele. Besonders angewidert war Nader von Obamas dreistem Versuch, den verbrecherischen Irak-Krieg doch noch in eine Erfolgsgeschichte umzudeuten. Angesichts von bis zu einer Million ermordeten Irakern, einer noch immer weitgehend zerstörten Infrastruktur und nach wie vor bürgerkriegsartigen Zuständen kann dies nur als infam bezeichnet werden. Und die Situation in Afghanistan ist nicht viel besser. Selbst in Libyen scheint eine Diktatur nur durch ein anderes undemokratisches Regime abgelöst worden zu sein.
Obama bangt um seine Macht. Die Occupy-Bewegung hat ihn, der nun im Wahlkampf steht, durch Demokratie von unten, zivilen Ungehorsam und organisierten Gegendruck zu verbalen Zugeständnissen gezwungen. Dieser Gegendruck muss intensiviert werden, damit den Versprechungen endlich Taten folgen.
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