15. Jahrgang | Nummer 4 | 20. Februar 2012

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Ralph Giordano, Publizist – In einem Leserbrief zu einem kürzlich im Spiegel erschienen Beitrag, der die allgemeine Durchseuchung des Staatsapparates der Bundesrepublik mit Funktionsträgern des Dritten Reiches, darunter Kriegsverbrechern, von der Nachkriegszeit bis weit in die 60er Jahre zum Gegenstand hatten, äußerten Sie: „Ich habe diesen Geburtsfehler der alten Bundesrepublik in meinem Buch 1987 ‚die zweite Schuld’ genannt, ein Wort, das vielfach übernommen worden ist. Jetzt bestätigen Sie, dass wir in einem Land leben, wo dem größten geschichtsbekannten Verbrechen mit Millionen Opfern, die wohlbemerkt hinter den Fronten umgebracht worden sind, wie Insekten, das größte Wiedereingliederungswerk für die Täter gefolgt ist, das es je gegeben hat. Von Ausnahmen abgesehen sind sie nicht nur straffrei davongekommen, sie konnten ihre Karrieren auch unbeschadet fortsetzen. Ihre späte Demaskierung tut ihnen nichts mehr – welch eine Ermutigung für die Täter von heute und morgen.“ Man kann demzufolge, wie ein weiterer Leserbriefschreiber (Ümit Demirmenci) zu der Schlussfolgerung kommen: „Die auf jeder Ebene fortgesetzte Nazi-Ideologie hat die Bundesrepublik geprägt und ist einer der Gründe dafür, dass das Gedankengut der Nazis noch heute allerorts auf fruchtbaren Boden fällt.“

Mely Kiyak, Gastkolumnistin der Frankfurter Rundschau – Sie fragten sich jüngst: „Habe ich gerade die Religionen mit den Parteien in einen Topf geworfen? Obwohl – gibt’s Unterschiede?“ und empfahlen: „Die FDP sollte sich als Religionsgemeinschaft anerkennen lassen, um wenigstens ihren Glauben zu retten. So lange bis ein neuer Messias kommt und die Gemeinde erneut aufbaut.“ Da hoffen wir allerdings, dass der so lange auf sich warten lässt wie im Falle der Christenheit.
Des Weiteren vermerkten Sie: „Auch der Verfassungsschutz verhält sich wie eine Gruppe orthodoxer Ideologen. Alles was ihr gutes altes Deutschland (das ohne Ossis und Linkspartei) gefährdet, wird verfolgt. Wer aber wie die Nazis die Verfassung bedroht, wird bloß beobachtet. So verhält sich kein auf Vernunft basierendes politisches Organ, sondern eine fundamentalistische Weltanschauung. Deshalb auch an sie der Vorschlag: Gründet eine Kirche!“ Die Links-Partei brauchte sich allerdings auch in diesem Falle nicht ängstigen, denn im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts wartet selbst die katholische Kirche gegenüber Ketzern nicht mehr mit Autodafés auf.

Washingtoner Flottenabkommen vom 6. Februar 1922 – In einer noch zu schreibenden Geschichte der Abrüstung wäre dieses Abkommen die erste multilaterale Rüstungsbegrenzungsvereinbarung der Neuzeit. Das Abkommen leitete allerdings keine Trendwende im Gegeneinanderrüsten der damaligen Großmächte ein, sondern war eher von den wirtschaftlichen Zwängen der Zeit nach dem ersten Weltkrieg und von Bestrebungen der Teilnehmer geprägt, Verschiebungen von Kräfteverhältnissen zu eigenen Ungunsten durch Verhandlungsdeals entgegenzuwirken. Schon bald nach Abschluss des Abkommens setzte unterhalb der vereinbarten Limits für Großkampfschiffe ein neues Wettrüsten unter den Teilnehmern ein. Eine dieser Entwicklung gewidmete Nachfolgekonferenz in Genf 1927 endete ergebnislos. Blättchen dokumentiert eine zeitnahe Wertung der Washingtoner Konferenz in der Rubrik Vor 90 Jahren.

Harald Schmidt, Late-Night-Talker und Nicht-mehr-Schauspieler – Seit der Spielzeit 2008 gehörten Sie dem Ensemble des Staatstheaters Stuttgart an. Jetzt haben Sie dem Intendanten gesagt: „Ich höre auf, ich kann es nicht.“ Worauf der Ihnen geantwortet habe, das gelte für viele, aber die machten trotzdem weiter.“ Dem Spiegel verrieten Sie, dass Sie sich die Latte höher legen: „Ich war extrem erfolgreich, war ständig ausverkauft. Aber das war natürlich ein PR-Effekt, und meinen Ansprüchen genügte ich nicht.“ Das sei im Übrigen keine Krise, sondern „eine Befreiung, wirklich. Ich bin ein Jugendtrauma los. Ich bin zur ungeschönten Selbsterkenntnis gekommen, dass es vielleicht noch für den ‚Jedermann’ in Salzburg reichen würde, aber zu mehr nicht.“ Unter diesen Bedingungen bedauern wir, Sie nicht doch einmal auf der Stuttgarter Bühne gesehen zu haben, ehrlich.

Prinz William, Nummer Drei in der britischen Thronfolge – Ebenso wie Ihr Bruder Harry soll es sich bei Ihnen, wie man lesen kann, um einen mittlerweile exzellenten Hubschrauberpiloten handeln. Dass Sie diese Fähigkeit derzeit auf den Falklandinseln demonstrieren, darf allerdings wohl als symbolisches Signal Londons gedeutet werden, es 30 Jahre, nachdem Maggie Thatcher rund 1.000 junge Briten und Argentinier dort in den Tod für die „Verteidigung britischen Bodens“ geschickt hat, gegebenenfalls ein weiteres Mal darauf ankommen zu lassen. Rule, Britannia! Britannia, rule the waves!: „Dir gehört die Herrschaft über das Land, Deine Städte sollen im Glanze des Handels strahlen, Ganz dein soll das unterworfene Meer sein, und dein jedes Gestade, das es umschließt.“ Und das um die Falklands vermutete Erdöl natürlich auch.

General Motors (sprich: schännl mouhders) – Aus Ihrem Hause folgten dieser Tage zwei Nachrichten direkt aufeinander: 1. General Motors, auch Mutter der deutschen Marke Opel, hat die Krise weit hinter sich gelassen – ein furioses Comeback nach der Pleite. Laut Wall Street Journal haben Sie 2011 einen Gewinn von rund acht Milliarden Dollar gemacht, was ein Rekordergebnis wäre, und peilen nun die Zehn-Milliarden-Dollar-Marke an. Und 2.: Auch laut Wall Street Journal verlieren Sie die Geduld mit ihrer deutschen Tochter Opel und verlagen, um die Verluste zu verringern, von den Gewerkschaften tiefe Einschnitte. Anderenfalls könnte das Werk in Bochum geschlossen werden. – No comment.

Ulf Hahn, Sozialpfiffikus Als Chef einer Potsdamer Wohnungsgenossenschaft und des dortigen Vermieter-Arbeitskreises „Stadtspuren“ hielten Sie die öffentliche Verlautbarung eines „Gedankenspiels“ darüber für angebracht, wie sich das Wohnungsproblem in der Brandenburgischen Landeshauptstadt entschärfen ließe. „Was wäre, wenn man alle Potsdamer Hartz-IV-Empfänger nach Brandenburg/Havel umsiedelt?“, haben Sie gefragt und dabei selbstlos an den solcherart zu verhindernden Abriss von dort leer stehenden Plattenbauten gedacht. „Bei uns würden Wohnungen frei. Und die Umsiedler wären mit dem Zug in einer halben Stunde in Potsdam.“ Das sei natürlich absurd, haben Sie der Märkischen Allgemeinen zwar konzediert, aber was ist schon heute noch so absurd, dass es morgen nicht Realität werden könnte?

Bradley Manning, ehrenwerter Verräter des Verrates – Ihnen, dem 24 Jahre alten Obergefreiten der US-Army wird der größte Geheimnisverrat in der US-Geschichte vorgeworfen und vor dem Kriegsgericht der Prozess gemacht. Zu den 22 Anklagepunkten gegen Sie gehört auch die Unterstützung des Feindes. Ein Generalmajor Linnington als Kommandeur des Militärbezirks Washington beschuldig Sie, mehr als 700.000 geheime US-Dokumente und der Geheimhaltung unterliegende Videoaufnahmen von Kampfeinsätzen an die Internet-Plattform Wikileaks weitergegeben zu haben. (Das Video zum Beispiel, durch das die mörderisch-tödliche Hatz einer Helikopter-Besatzung auf irakische Zivilisten visuell und akustisch um die Welt ging – siehe auch Blättchen 8/2010 –, ist uns durchaus in schlimmer Erinnerung.) Sie also sind nun der Verräter und Verbrecher und haben doch nichts anderes verraten als den Verrat an Humanismus, Menschenwürde und all den anderen westlichen Werten, die gelegentlich gar als „unantastbar“ gelten. Es hilft nichts – Tucholsky hatte schon recht: Soldaten sind Mörder. Und wo sie es nicht sein wollen, werden sie zu Verrätern gestempelt, weggesperrt oder gar als Deserteure erst erschossen und dann, wie in der Bundesrepublik, 60 Jahre lang nicht rehabilitiert.

Philipp Rösler, politischer Messdiener – Mit einem Dauerkonfirmanden wie Ihnen könnte man eigentlich nachsichtig sein, sind Sie doch lediglich stellvertretender Regierungschef unseres schönen Gemeinwesens. Dass Sie, wie herzlich oft bewiesen, von vielerlei Tuten und Blasen keine rechte Ahnung haben, gehört vielleicht zum Profil dieses Jobs. Nun also haben Sie tapfer erklärt, „Wachstum brauche keine Entschuldigung.“ In Anbetracht der Tatsache, dass sich das seit der Club-of-Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums“ (1972 veröffentlicht, da waren Sie grade mal ein Jahr alt) dergestalt simpel kaum noch jemand zu verlautbaren wagt, stellt sich zumindest die Frage, wie oft Sie im BWL-Unterricht gefehlt haben. Immerhin erklären solchen Schwachsinn derzeit fast nur noch die Tea-Party-Gänger in den USA (siehe auch in Bemerkungen „Gingrich Alaaf“). Und mit denen möchte, jedenfalls außerhalb der USA, eigentlich keiner in Verbindung gebracht werden, der sich für einen ernsthaften Politiker hält.

Olaf Schubert, Kabarettist – Sie haben den entscheidenden Hinweis zum demographischen Wandel im Lande sowie zu der Frage „Wollen die Deutschen wirklich aussterben?“ und damit hoffentlich auch den finalen Anstoß zur Lösung des Problems gegeben: „Wenn wir keine Kinder zeugen, dann trägt deine Bahre – ein Bulgare!“ Die Blättchen-Redaktion bedauert aufrichtig, aus Altersgründen hierbei nicht mittun zu können.