15. Jahrgang | Nummer 3 | 6. Februar 2012

Ansichten und Einsichten des Panzergrenadiers Kazupke

von Thomas Parschik

Ich bin bisher nicht viel rumgekommen. Das Geld hat dazu nicht gereicht. Einmal traf ich einen Freund bei der Arge, und während wir so warteten, sagte er, dass er zum letzten Mal hier ist, weil er zum Bund geht, und fragte mich, ob ich nicht auch ferne Länder sehen, Abenteuer und echte Kameradschaft erleben und nebenbei noch ordentliche Penunse kassieren möchte. Und so habe ich mich gemeldet. In der Enge des Panzerwagens eröffnete sich mir die große weite Welt. Und die afghanische Steppe ist wirklich sehr weit. Man kann stundenlang unterwegs sein, ohne einen Menschen zu sehen, und wenn man doch einen sieht, weiß man nicht, ob Freund oder Feind. Das Verhältnis zu den Afghanen ist eigentlich keins. Wir bekamen vor unserer Abreise ein blaues Büchlein vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in die Hand gedrückt, um uns mit der einheimischen Kultur und so vertraut zu machen. Es sind ein paar Bilder drin, aber es ist doch arg textlastig. Man steckt das Buch ein – man kann es ja später ungebraucht bei Ebay verscheuern.
Nach ermüdenden Patrouillien hält man in einem kleinen Städtchen im Schatten einer Moschee, steckt den Kopf aus der heißen Blechwanne, zündet sich einen schwarzen Afghanen an (man, der hat es echt in sich) und beobachtet, wie die Einheimischen zum Gebet strömen. Die dürfen derzeit nicht rauchen, weil gerade Fastenmonat ist, die armen Schweine. Sie denken, ihr Allah sieht alles, wie im Fernsehen: Big Brother is wotsching you, ha ha! Einmal kam unser Verteidigungsminister zu Besuch, aber bis zu uns ist er nicht gekommen, nur ins Hauptquartier. Wer Ausgang hatte, konnte hinfahren und ihn sich anschauen.
Wenn gerade kein als Taliban verkleideter Minister kommt, ist man hier ganz schön weit ab vom Schuss. Man vertreibt sich die Zeit mit Fotoseschens in alten Gräbern und spielt ein bisschen mit Fundmunition herum. Besonders spaßig ist es, an den Straßenrand zu pinkeln, wenn gerade eine verschleierte Frau vorbeikommt. Erschrocken trippelt sie davon. Aber da treten ihre fünf Brüder auf den Plan und ihr Vater und ihr Ehemann noch dazu. Was sind das für humorlose Gesellen! Schimpfend kommen sie angelaufen und schütteln mit den Fäusten. Hier braut sich ein unerwartetes Bedrohungspotenzial zusammen. Also schnell in den Panzerwagen gekrabbelt und davongebraust.
Unser Feldwebel sagt, dass die Taliban, wenn sie im Kampf gegen uns sterben, im Himmel siebenundsiebzig Ehefrauen bekommen. Ich denke, das ist keine Belohnung, sondern eine Strafe. In unserem Etappenpuff gibt es nur fünf Frauen, und von denen möchte ich keine geschenkt haben. Einmal haben wir mit unserem Panzerwagen in einem kleinen Dorf eine Ziege überfahren. Unser Feldwebel stieg aus und wollte das Viech bezahlen. Aber es war kein Mensch auf der Straße, und je lauter unser Feldwebel rief, desto niemand kam. Na der Ziegenbraten am Abend hat jedenfalls gut geschmeckt. Ansonsten ernähren wir uns nur aus Asietten und Dosen. Mit einheimischen Sachen muss man nämlich vorsichtig sein, man bekommt ganz schnell Bin Ladens Rache davon.
Einmal kam ein Reporter und wollte unser freundschaftliches Verhältnis mit den Einheimischen dokumentieren, und zwar sollten wir afghanischen Kindern Schokolade schenken. Wir haben eine halbe Stunde lang gesucht, bis wir endlich einen kleinen Jungen gefunden hatten. Aber wir hatten keine Schokolade. Zum Glück weiß unser Feldwebel aus allen Krisen einen Ausweg. Er hat dem Jungen eine leere Zigarettenpackung gegeben, und der Journalist hat davon ein Bild gemacht und dann später darunter geschrieben, es wäre Schokolade.
Meine Dienstzeit ist bald um, und zu Hause erwartet mich nur meine soziale Hängematte. Ob ich mich noch mal melde? Man kann ja auch im Kosovo eingesetzt werden. Das ist im ehemaligen Jugoslawien. Ich habe mal ein jugoslawisches Fertiggericht gegessen. Es hieß Tschebabitschi oder so und war mit viel Reis. Am Horn von Afrika tuckern auch unsere Kanonenboote herum, aber da kommt ja nur die Marine hin.