15. Jahrgang | Nummer 2 | 23. Januar 2012

Ein Klamotten-König und ein Übermensch

von Reinhard Wengierek

Theater I: Zum Geburtstag klein gehackt – der Große Friedrich in Potsdam

Ein Glück, dass die Elektroanlagen von Sanssouci extrem desolat sind. Im Potsdamer Hans-Otto-Theater besteht das Schloss bloß aus einem Klettergerüst, wurde jedoch von Alexander Wolf dekoriert mit zahllosen Lampen, Kabelsträngen, Verteilerkästen und einer – aha! – bordellgemäßen Neonreklame „Sans Souci“ in Lila. Das schuf für Regisseur Tobias Wellemeyer reichlich Gelegenheit, es ordentlich krachen, blitzen, bumsen zu lassen in Uwe Wilhelms „Theaterspiel für den König von Preußen“. Die lila Anzüglichkeiten sowie pyrotechnischen Feuerwerke aus lauter Kurzschlüssen sollen einstimmen auf den zu feiernden 300. Geburtstag Friedrichs II. am 24. Januar. Doch den nötigen Zunder können sie der uraufgeführten Bühnengeschwätzigkeit auch nicht geben.
„Fritz!“, so der imperative Titel dieses Auftragswerks, ist ein mit lauter Ausrufungszeichen aus der Gegenwart skizziertes historisch-fiktives Vexierspiel. In dessen Kern steckt erstens das Drama des verarmten Hofschreibers Henri de Catt, der vom königlichen Komponisten Fritz den Auftrag erhält, das Libretto zu dessen autobiographischer Oper zu schreiben; zugleich aber wird er vom Thronfolger Willi (Friedrich Wilhelm) erpresst, den mürrischen alten Flöten- und Kartoffelkönig zu vergiften. Das Dilemma eines Dieners zweier Herren. Das Drama Nummer zwei ist das von Fritz zwo, der als schwul-schöngeistiges Weichei vom Vater gewaltsam zum Brutalo-Machtmensch verformt wird.
Dieser eigentlich knackige Kern, doch nur notdürftig verleimt aus einem Doppel-Drama, wird nun in ein arg verwirrendes Anekdoten-Gespinst verpackt. Der Autor wollte die hoch bedeutsame Vielschichtigkeit. Und er wollte „den deutschen Helden“ Fritz vom Denkmalssockel schubsen. Dabei verlor er sich in einem Gewirr aus Künstler- und Ehedrama (Catt und Gattin Ulrike / Raphael Rubini, Patrizia Carlucci als bloß fades Paar), aus surrealer Tragödie (Fritzens vertrackte Seelenlage), Sex-Klamotte (mit einer Flöte als Dildo) und Intrigen-Kabarett mit einem kreischenden Mätressentrio. Aus History-Show (mit Fritz-Vater Friedrich Wilhelm I. als preußischem Adler im knallroter Latex-Haut), aus Polit-Farce (Gröfaz) und Clownerie in Naziklamotten. Bisschen viel auf einmal. Und vor allem Klamotte. Und obendrein offene Türen einrennend: Denn die Entdämonisierung Friedrichs ist längst Allgemeingut.
Also schon mal kein Sturz vom Sockel, höchstens einer in den Pott randvoll mit kaltem Kaffee. Doch immerhin: In der Flut der Szenchen und Bildchen sonderlich im zweiten Teil einige starke Momente, die vornehmlich aufs Konto von Rita Feldmeier gehen: Im Abendkleid gibt sie den Großen Friedrich als schwarze, sarkastisch zynische Domina mit fein verruchter Gesangsstimme. Ein so glamouröser wie geistesstarker Eis- und Höllenengel. Eine moderne Figur, aasig auf- und abgeklärt. Der Glanz- und Fixpunkt dieser ansonsten chaotisch zerfransten Friedrich-Beschau, die von der notorisch auf Haudruff erpichten Regie dummerweise nicht beschnitten wird.
Also Action auf Fritze und Catt, Mätressen und Domestiken komm raus. Blind feuerwerkelnde Effekthascherei; gelegentlich bierkneipenwitzig, meist jedoch unsäglich platt. Alles in allem ein rummsiges Hohenzollern-Stadel, das den allbekannten historischen Forschungsstand vage streift. Und in dem seine Majestät selbst zum Finale und zur allgemeinen Erinnerung die gigantischen Zahlen seiner Schlachtfeld-Toten ins kaum animierte Publikum brüllt. Belesene Leute aber wissen, dass Fritz längst nicht mehr als Erzbösewicht der deutschen Geschichte gilt. Während seiner Regentschaft hielt Preußen länger Frieden „als jede andere große europäische Macht“, so die Recherche des berühmten Deutschland-Historikers Christopher Clark.
„Ich muss zurück in meine Gruft“, legt Autor Uwe Wilhelm, Mitte fünfzig und Drehbuchschreiber zahlreicher Fernsehfilm-Erfolge, seinem „Fritze“ in den Mund (immerzu diese anbiedernde Volkstümlichkeit). Und verblüffender weise auch noch diesen Schluss-Satz: „Was immer man von mir erzählt, es sind die Lügen derer, die sie singen und derer, die sie hören!“ Das letzte Ausrufezeichen des „Fritz“-Dichters über sein seltsam sorgloses Werk – sympathisch selbstironisch. Und selbstvernichtend. Die drauflos polternde Regie hat auch das nicht beeindruckt.

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Theater II: Natürlich mit Peitsche – Nietzsches „Zarathustra“ in Berlin

Keine Volkshochschule ist schöner als die von Patrick Wengenroth im Studio der Schaubühne. Dabei geht es um komplexe Themen wie die Theatertheorien von Schiller und Brecht. Oder jetzt, brandneu, um Friedrich Nietzsches poetisch-philosophische Beschwörung des Übermenschen „Also sprach Zarathustra“. An der Uni verschlingt das ganze Semester.
Wengenroth, der raffinierte Kompressor, schafft es an einem kurzen Abend. Verpackt in viel Musik bringt er ganze Denkgebäude auf die Knackpunkte. Konzentriert werden wir informiert, nicht ohne Witz belehrt und mit nachwirkenden Fragen versorgt. Die Schauspieler – diesmal Christoph Gawenda, Ulrich Hoppe, Sebastian Nakajew und Felix Römer – sind komödiantische Sprechkünstler und tolle Sänger. Wird doch die Nietzsche-Rhethorik kontrapunktiert mit philosophisch durchwirkten Popsongs von der sentimentalen oder rockigen Art. Also „Zarathustra“-Entertainment. Aber so, dass es dem sächsischen Großdenker keinen Abbruch tut. Er hätte dazu gegrinst. Und sich verlegen am buschig schönen Schnauzer gezupft.
Schulmeister Wengenroth ist schlau, aber auch ehrfürchtig genug, mit seiner „Übermensch-Revue“ nicht an diesem Monument der Philosophie herumzukritteln und schon gleich gar nicht es anzupinkeln. Aber er spielt gekonnt humorig mit ihm und sorgt mit seiner Show für ein ordentliches Quantum an Lebens- wie Menschenerkenntnis. Das ist allerhand in 100 Minuten. Auch wenn zum Schluss TV-Philosoph Sloterdijk („Du musst dein Leben ändern“) zitiert wird: „Es gibt kein Menschenrecht auf Nicht-Überforderung.“
Worum geht es Zarathustra-Nietzsche? Um Lebensveränderung, Überforderung und einen Auftrag: Der Mensch müsse einen Typ hervorbringen, der geistig und biologisch höher entwickelt ist als er selbst: eben den Übermenschen, den Schöpfer neuer Werte gegen die alten (den von Gott, Religion, Moral fixierten), die vom Nihilismus längst zerstört sind (Gott ist tot). Es geht also um die Freiheit zur Menschenverbesserung.
Der Mensch sei ein Seil, das über einem Abgrund geknüpft ist zwischen Tier und Übermensch, so Nietzsches berühmtes Sinnbild, das ein gefährliches Unterwegs imaginiert. Eine Entwicklung vorwärts zum Höheren oder rückwärts. Oder Absturz. Deshalb die „Also-sprach“-Reden im Affenkostüm oder nackt oder im Gegenwarts-Dress. Und auf der leeren Bühne ein Felsen: Zum Hochklettern, Herumrutschen, Herunterfallen. Der Mensch zwischen „Du sollst!“ und „Ich will!“ Dazu wird geträllert: „Die Welt ist ein Ort, wo der Mensch niemals Schonzeit hat.“ Dazu Fragen um Eigen- und Nächstenliebe, um Freunde, Feinde, Elternschaft, ob das Böse in uns wohne („Ja!“), was der Mann sei („Ich will!“) und was das Weib („Er will!“). Und was das brauche: Natürlich die Peitsche. Eine spannende Vorlesung: Zum Staunen, Schweigen, Kopfschütteln und Kichern. Am Ende macht W. den Über-Regisseur im Domina-Kostüm der Nietzsche-Liebe Salomé mit Peitsche, wähnt sich swingend als „klasse Hengst der Theaterregie“ und träumt von der Teilnahme am nächsten Theatertreffen. Bravo!