von Frank Ufen
Im Englischen heißt der Lebensmittelhändler „grocer“. Dieses Wort geht auf das „Gros“ zurück – der alten Maßeinheit, die zwölf Dutzend entspricht. Warum hat man diese merkwürdige Maßeinheit verwendet und tut es nach wie vor? Und warum besteht ein englischer Fuß ausgerechnet aus zwölf Zoll? Das – behauptet der britische Journalist und Mathematiker Alex Bellos – ist leicht zu erklären. Die 12 eignet sich nämlich wegen ihrer vielfältigen Teilbarkeit weit besser als Basiszahl als die 10 – was Händlern und Handwerkern bei ihrem alltäglichen Umgang mit Zahlen entgegenkommt. Beispielsweise kann ein Obst- und Gemüsehändler zwölf Äpfel in zwei Beuteln mit je sechs Stück oder in drei Beuteln mit je vier Stück oder in vier Beuteln mit je drei Stück oder in sechs Beuteln mit je zwei Stück stecken.
Ein Zahlensystem mit der Basis 12 hat darüber hinaus den Vorteil, dass es bei Divisionen längst nicht so oft zu Brüchen kommt, und es macht es erheblich leichter, sich Multiplikationstabellen einzuprägen.
Ostasiatische Kinder im Vorschulalter sind in der Regel ihren Altersgenossen aus Europa und den USA im Rechnen deutlich überlegen. Dieses Leistungsgefälle ist in Bellos Augen in erster Linie auf einen Umstand zurückzuführen: Die Zahlwörter in den europäischen Sprachen erschweren das Rechnen, wohingegen das für die Zahlwörter im Japanischen, Chinesischen und Koreanischen nicht gilt.
In den meisten europäischen Sprachen sind die Wörter, mit denen die Zahlen bezeichnet werden, in hohem Maße unregelmäßig gebildet. So heißt es im Englischen zwar twenty-one, twenty-two, twenty-three, doch statt tenty-one, tenty-two, tenty-three sagt man eleven, twelve, thirteen; eleven und twelve sind sowieso anders gebaut als die übrigen englischen Zahlwörter, und bei thirteen steht das Wort für 3 vor demjenigen für 10, wohingegen es sich mit twenty-three genau umgekehrt verhält.
Im Japanischen, Chinesischen und Koreanischen hingegen gibt es eine nahezu vollkommene Ordnung. So wird 11 schlicht als zehn-eins, 12 als zehn-zwei ausgesprochen, 21 als zwei-zehn-eins und 99 als neun-zehn-neun… Das heißt jede Zahl wird exakt so gesprochen, wie sie als Folge von Ziffern auf dem Papier erscheint. Hinzu kommt, dass die Zahlwörter in den ostasiatischen Sprachen derart kurz sind, dass sie in viel höherem Tempo von der Zunge gehen als die entsprechenden Wörter in den europäischen Sprachen. Das ist ein großer Vorteil, wenn es darum geht, Zahlen im Gedächtnis zu behalten und Rechenoperationen im Kopf durchzuführen.
Kann man selbst diejenigen für Mathematik begeistern, die auf sie allergisch reagieren oder die sie als ein unergründliches Mysterium empfinden? Alex Bellos hat es tatsächlich geschafft, dieses Kunststück zustande zu bringen.
Bellos beschäftigt sich in Form von Reportagen und Geschichten mit Fibonacci-Folgen ebenso wie mit euklidischer und nichteuklidischer Geometrie oder irrationalen Zahlen. Er schreibt über Sudokus, Spielautomaten, dem Goldenen Schnitt oder Origami – der japanischen Kunst des Papierfaltens, die mittlerweile bei der Konstruktion von Airbags, Sonnensegeln und Robotern zur Anwendung kommt. Und Bellos verrät zum Schluss, wie man durch mathematische Erkenntnisse reich werden kann. Man braucht dazu bloß dem rumänischen Mathematiker Stefan Mandel nachzueifern. Mandel hat solche Lotterien ausfindig gemacht, bei denen der Jackpot derart angewachsen war, dass die Gewinnsumme höher war als die Kosten für die Tippscheine mit sämtlichen möglichen Zahlenkombinationen. Mandel ist es so insgesamt dreizehn Mal gelungen, den Jackpot zu knacken.
Eines der besten populärwissenschaftlichen Bücher über Mathematik überhaupt.
Alex Bellos: Alex im Wunderland der Zahlen. Eine Reise durch die aufregende Welt der Mathematik, Berlin Verlag, Berlin 2011, 480 Seiten, 24 Euro
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