von Margit van Ham
Arbeiter geben ihrem Aufstand Ziele. Sie formulieren „Die Mansfelder Artikel“ von den gleichen Rechten aller. Sie fordern unter anderem, die Arbeit gerecht zu verteilen, unter allen, die Anspruch haben; nicht den Gewinn zu maximieren, sondern den Sinn. Grundeigentum bleibe Volkseigentum. Das eigene Leben müsse angeeignet werden, Arbeitszeitverkürzung statt Kurzarbeit und schließlich die Verfügungsgewalt über gesellschaftliche Grundentscheidungen. Das könnte aktuelleres Aktionsprogramm nicht sein. Den Aufstand hat Volker Braun erfunden – und ihm diese Thesen mitgegeben.
Volker Braun las am 2. Dezember in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin aus seiner Erzählung „Die hellen Haufen“. Er führte die Erinnerung zurück zu den Nachwendewirren, zur unseligen Privatisierungspolitik der Treuhand und den zersplitterten Protesten der Arbeiter gegen die Schließung der Betriebe. Aufmerken ließen damals die Bischofferöder Kumpel mit Hungerstreik und Protestmarsch nach Berlin, denen sich die Massen dennoch nicht anschlossen. Volker Braun gestaltet diese Zeit, die Landschaft des Bergbaus („die unterhöhlte Mitte Deutschlands“) und denkt den Widerstand. Was geschehen hätte können: ein Arbeiteraufstand, eine Rebellion gegen die Volksenteignung. Die Erzählung „Helle Haufen“ (ein Bezug zu den „Haufen“ des Bauernkrieges) beginnt mit der Feststellung: „Der Aufstand, von dem hier berichtet wird, hat nicht stattgefunden. Er war auch mehr ein Krieg, der nur von einer Seite geführt wurde, und die andere hat stillgehalten.“ Die hellen Haufen sind nicht losgezogen. Aber auch die erfundenen kämpfenden Haufen verlieren die Schlacht…
Die Erzählung zeigt den Dichter, stark verdichtet erzwingt sie ein Lesen wie bei einem Gedicht, langsam, mehrmals. Sie brilliert mit Wortwitz, mit Ironie und Dialektik. Der Witz der Sprache wird zum Witz auch der Sache, formulierte Friedrich Schorlemmer, der die anschließende Podiumsdiskussion mit Daniela Dahn, Volker Braun und Michael Schneider moderierte. Schnell stand die Frage des Eigentums im Mittelpunkt. Friedrich Schorlemmer stellte fest, dass die Umverteilung des Besitzes von Ost nach West, die Enteignung der ostdeutschen Bevölkerung in ihrer Größe nur zu vergleichen sei mit der Umverteilung des Besitzes durch den Dreißigjährigen Krieg. Ein Raunen im vollbesetzten Saal ließ durchaus geteilte Meinungen und Sozialisation der Teilnehmer der Veranstaltung zu dieser These vermuten. Es wiederholte sich, als der (westdeutsche) Soziologe Schneider diese These untermauerte und Daniela Dahn zur Frage von Volkseigentum oder Staatseigentum Stellung nahm. Der Staat DDR hatte nämlich keine volle Verfügungsgewalt über das Eigentum, er konnte „Volkseigentum“ nicht veräußern, nicht verpfänden… Die einfache Umschreibung „Staatseigentum“ für „Volkseigentum“ funktioniere so also nicht. Eine offene Frage, durchaus nicht rein akademischer Natur. Die Verfügungsgewalt der Produzenten sei DAS Thema auch in der heutigen Welt, so Volker Braun. Friedrich Schorlemmer erinnerte an Wolfgang Ullmann, der um Anteilsscheine für die Bürger gekämpft hatte, mit denen sie ihre Betriebe gemeinsam hätten kaufen können. In der Realität der Nachwendezeit und in der Erzählung Brauns ist er nicht verstanden worden.
Vor der Schlacht hocken die Arbeiter bei Braun auf einem riesigen Abraumberg, dem Beleg für ihre Maloche. „Sie hockten auf dem finsteren Exkrement, dem giftigen Schutt, dem Rest ihres Daseins, das nicht zu verteidigen war. Einem Besitz, den sie nicht besessen hatten; einem Leben, für das man das eigene nicht in die Schanze schlägt. Sie selber der Abraum, ausgeworfen, abgetan, ein Menschenmüll, schieferfarben…“ Zorn sei sein Antrieb, sagte Volker Braun.
„Was wir nicht zustande gebracht haben, müssen wir überliefern“ – Ernst Blochs Worte sind der Erzählung vorangestellt und waren auch der Konsens der Diskussion. Friedrich Schorlemmer fügte diesem Satz abschließend ein „noch“ hinzu.
Volker Braun, Die hellen Haufen, Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 97 Seiten, 14,60 Euro.
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