von Angelika Leitzke
Alle Jahre wieder, noch eher der Förstersmann zerlegt und die Gans tranchiert ist, welche die Heiligste aller Nächte krönen soll, gelüstet es den Konsumenten nach Dekoration und die Konsumindustrie dito, was erneut die Frage aufwirft: War zuerst die Henne da oder das Ei?
Bereits Ende September schleichen sich niedliche Klein-Nikoläuse in die Regale der Supermärkte ein, geformt aus Schoko-Osterhasen verjährter Saison, gefolgt von größeren Knechten Rupprechts, nun aus Edelkakao, von Marzipan-Nüssen, Zuckerengeln, Rentieren aus Sahnekrokant, mit Rumpunsch, Eierlikör und Champagner gefüllten Fläschchen in silbrig-grünem Glitterpapier, von weißpudrigen Rosinenstollen und dickbäuchigen Weihnachtsmännern in rotem Gewand und prall mit Schleckereien gefülltem Sack, von Pralinen, die mutiert sind zu Schneeflöckchen, Hufeisen oder anschmiegsamen Tannenzapfen. Die Drogerie- und Bastelmärkte ziehen alsbald nach und warten auf mit Glitzerkugeln, Kunstschnee, Kerzen aller Couleur und Größe, Lichterketten, schwebenden Engeln, Kleinkrippen, aufblasbaren Adventskränzen, Sonne, Mond und Sternen, lila Lametta, Gold-Girlanden, Filzpantoffeln en miniature, niedlich bedrucktem Geschenkpapier, Glöckchen und Grußkarten mit verschneiten Tannenwäldern, durch die einsam ein großer goldener Schlitten mit arschbäckigen Putti unter einem leuchtenden Sternenhimmel zieht.
Kurzum, man gibt sich redlich Mühe, der dunklen dunklen Jahreszeit ein Schnippchen zu schlagen, falls es einem nicht gelingt, auf die Balearen zu entfliehen. Die vierwöchige Adventszeit wird zum Crash-Test, wie dunkelheits- und frustrationstauglich man ist und wie man selbige Frustration am lichtvollsten überwindet und ob man noch, auch glühweinbesoffen, bis Vier zählen kann.
Die Dekorations- und Helligkeitseuphorie eskaliert in dem Maße, wie der 24. näher rückt. Jede Kommune, die es bis dahin nicht geschafft hat, ihren Hauptboulevard und Vorzeigeplatz nach Einbruch der Dämmerung in strahlenden Glühbirnen-Glanz und deren Besucher in seligen Punschrausch zu versetzen, wird ebenso der Hartz-IV-Mitgliedschaft verdächtigt wie der Wohnungsbesitzer, der seine Balkontanne nicht früh genug mit Kunstlicht illuminiert, auf dass – wie schon letztes Jahr – der Wettstreit unter den Nachbarn ausbricht: Wer hat die beste Weihnachtsbeleuchtung?
Am 24. ist es dann endlich soweit, dass der Bundesweihnachtsmann uns zu unserem Durchhaltevermögen gratuliert und, bei all seiner Warnung vor möglichen Terrorangriffen jeglicher Art und schwierigen Euro-Zeiten, wieder einmal vergisst, einen Gesetzesvorschlag bezüglich der Eindämmung der alljährlich ausbrechenden Seuche „Weihnachten“, einzubringen – inklusive eines Verbots von Handy-Gespächen im öffentlichen Nahverkehr, die Wochen vor dem Fest aller Feste um die brennende Frage kreisen: „Und was machst Du am Heiligen Abend?“
Zwar rief schon der alte Goethe auf dem Sterbebett nach mehr Licht, und obgleich dieser Satz historisch nicht eindeutig belegt und ein Versprecher oder ein Goeth’scher Werbegag zugunsten der eigenen Unsterblichkeit nicht auszuschließen ist, schreien die Dunkelheitshasser, die Dekorations- und Weihnachtsfanatiker: „Mehr Licht!“
Da nützt es nichts, vor steigenden Strompreisen, vor Müllüberflutung, Dickleibigkeit, Diabetes und Depressionen zu warnen oder mit fallender Konjunktur zu drohen. Seitdem die Energiesparlampe zur Illumination liebgewordener Riten, der Stollen aus Diätzucker, der Kinderglühwein oder die Tageslichtlampe im Tannennadellook nebst allem Trash zur Überwindung der finstersten aller Jahreszeiten erfunden wurden, die Kirche mit schwindenden Mitgliederzahlen kämpfen muss und die Hoffnung „Ex oriente lux“ sich seit der Euro-Krise in Schall und Rauch verwandelt hat, ist der Mensch der westlichen Hemisphäre dem Weihnachtsrausch verfallen und wird sich hüten, seinen Baum wie einst Joachim Ringelnatz lediglich mit blechernen „Löffeln, Gabeln und Trichtern und anderem blanken Gerät“ zu schmücken.
Nur die echt Erleuchteten wissen sich hier zu helfen: sie schalten das Licht einfach ganz ab.
Schlagwörter: Angelika Leitzke, Seuche, Weihnachten, Weihnachtsrausch