14. Jahrgang | Nummer 23 | 14. November 2011

Antworten

Michael Sommer, Obergewerkschafter – Da hat man Sie also zum Jagen getragen, denn nur dank des Protestes in Ihren gewerkschaftlichen Reihen verzichten Sie nun darauf, beratendes Mitglied im SPD-Parteivorstand zu werden. Nicht, dass die Sozis gewerkschaftlichen Einfluss nicht gebrauchen könnten, bewahre. Aber wollten sie mehr davon, könnten sie ihn auch von außerhalb des Parteigefüges in sich aufnehmen. Dass an dem, der in den Kreidekreis hineintritt zumindest von zwei Seiten herumgezerrt wird, um ihn sich zu Besitz und Untertan machen, hätten Sie bei Ihrer politischen Erfahrung eigentlich auch ohne das Zurückpfeifen durch Ihre Mitglieder begriffen haben können. Oder können auch Sie nicht genug bekommen von Macht und Bedeutung?

Harald Jähner, Demokratie-Engagierter „ Die Occupy-Bewegung (…) kämpft dafür, den Kapitalismus vor dem Kapital zu retten. Damit wäre der Demokratie sehr geholfen“, schreiben Sie in einem engagierten Text mit der Konklusion, dass die Demokratie im Kampf der Politik mit der Wirtschaft noch nicht am Ende ist. Abgesehen davon, dass wir diese Hoffnung teilen – wenn möglicherweise auch mit weniger Optimismus als Sie – versuchen wir uns nun per Analogie vorzustellen, wie es gehen soll, das Fernsehen vor seinen Sendern zu retten …

Robert Harris, britischer Buchautor (Enigma) – Die Beschäftigung mit Ihrem neuen Buch „Angst“, dessen Thema die Börsenwelt ist, hat Sie unglaublich wütend gemacht auf jene Finanzmanager, die noch dann Profit maximieren, wenn Sie den Weltuntergang dafür in Kauf nehmen müssten. Ihre Zustandsbeschreibung: „Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig. Seit der Sozialismus zusammenbrach, wird der Kapitalismus extrem, mit all der Gier und Übertreibung, und steuert auf sein Ende zu. Die Geschichte bestraft Hybris.“  Wenn sie es doch nur täte.

Rotfuchs, Zeitschrift des Bundes der Selbstgerechten – Auf Sie hinzuweisen lohnt sich eigentlich nur, wenn man den Feinden allen Links-Seins Nahrung und Argumente geben möchte; schon deshalb verzichten wir üblicherweise darauf. Auf eine Selbstdarstellung in Ihrer jüngsten Ausgabe, in der Sie erklären, wer Sie zu sein meinen, müssen wir denn doch eingehen: „Der RF atmet den Geist der ‚Roten Fahne‘ Luxemburgs, Liebknechts und Thälmanns, läßt sich von Lenins ‚Iskra‘ inspirieren, sucht den Esprit der ‚Weltbühne‘ Tucholskys und Ossietzkys zu erfassen und greift auch mal auf Erfahrungen der in DDR Tagen populären außenpolitischen Wochenzeitung ‚horizont‘ zurück“, ist dort zu lesen. Wir stellen anheim, wie ein trotz parteipolitischer Bindung linker Freigeist wie Rosa Luxemburg auf eine solche Vereinnahmung reagieren würde, könnte er es denn.
Was die Bezugnahme auf den „Esprit“ der Weltbühne betrifft, so haben wir allerdings herzlich gelacht. Wiewohl auch wir uns nicht anmaßen, deren Statthalter auf Erden zu sein, sehen wir uns aber denn doch bemüßigt, Ossietzky und mehr noch Tucholsky vor solcherart feindlicher Übernahme in Schutz zu nehmen. „Athenäum“ hat einen kompletten Reprint der legendären Zeitschrift herausgegeben, der es möglich macht, die Weltbühne original und gegebenenfalls komplett zu studieren – ihren Ton und eben ihr „Esprit“ inklusive. Darin zu lesen, ist schon der vielen, vielen Ausgaben wegen gewiss mühsam – vor Verlautbarungen wie der Ihren hätten Sie sich dieser Mühe aber denn doch unterziehen sollen.

Galina Wischnewskaja, Operndiva – wer wie Sie, die „sowjetische Callas“, 85 Jahre alt ist, hat Anspruch darauf, bezüglich seiner Altersweisheit ernst genommen zu werden. „Wir leben heute in einem freien Land. Wir Russen aber verstehen Freiheit als „wolja“, als Freibrief, alles tun dürfen. Wir sind ein Volk der Extreme“, haben Sie uns in einem Interview wissen lassen samt Ihrer Schlussfolgerung: „Wir brauchen einen Zar.“ Da sollten Sie mit der avisierten Rückkehr Putins auf den Thron des Präsidenten doch eigentlich schon mal sehr zufrieden sein. Ein Schritt in die richtige Richtung wird dessen präsidiale Reaktivierung doch allemal sein.

Rüdiger von Nitzsch, Wirtschaftsprofessor in Aachen – „Die Finanzmärkte stellen keine eigenen Subjekte dar, zeigen aber im Grunde ähnliche Verhaltensweisen wie ein Mensch, dem erlaubt wird, anonym zu handeln“, kommentieren Sie das teilweise schon irrationale Auf und Ab an den Börsen als Reaktion auf politische Unwägbarkeiten. Studien würden zeigen, dass sich Menschen zwar rücksichtsvoll und fair verhielten, wenn ihr Verhalten beobachtet werde. Hingegen würde sich das bis ins Gegenteil ändern, wenn das Verhalten nicht beobachtet werde. Die Finanzmärkte seien extrem anonym und deshalb werde auch so augenscheinlich, was die sich dort Tummelnden antreibt: „Rücksichtslosigkeit und das Fehlen eines Bewusstseins für eine gesellschaftliche Verantwortung oder Fairness.“

Angela Merkel, Wahrnehmungsgestörte – Vor wenigen Wochen erst haben Sie in der Generaldebatte des Bundestags ein großes Wort gelassen, nein, eher triumphal, ausgesprochen: „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor.“ Nun wissen wir nicht, inwiefern bei Ihnen erbliche Wahrnehmungsdefizite nachwirken, wie sie diese bei der Betrachtung der Gesellschaftsrealitäten im Realsozialismus erlebt haben. Wir hoffen allerdings, dass Ihre Pressemappe auch den jüngstenBericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) enthalten hat. Dieser belegt nämlich, dass „lediglich die obersten zwei Zehntel der Beschäftigten ein leichtes Plus bei den realen Bruttomonatslöhnen verzeichnen. Im Durchschnitt gingen diese im vergangenen Jahrzehnt (Hervorhg. Die Red.) um 4,2 Prozent zurück. Das heißt: Im Schnitt hatten die Deutschen pro Monat 93 Euro weniger in der Tasche.“ Wir können nur hoffen, dass es uns – bei Ihrer Betrachtungsweise – künftig nicht noch besser gehen wird.

Leon Panetta, US-Verteidigungsminister – Sie werden in den Medien mit der Aussage zitiert: „Jedes Arschloch kann eine Scheune abbrennen; es bedarf der Führung, eine aufzubauen.“ lhre Wortwahl ist erfrischend, Ihre Botschaft nicht minder klar. Allerdings wurde uns nicht überliefert, an wen sie gerichtet ist. Lassen Sie uns raten: Sind Sie USA-kritisch? Denn der Zustand, in dem die US-Truppen den Irak – nach über achtjähriger Invasion – jüngst verlassen haben, ist mit dem Bild einer „abgebrannten Scheune“ zwar nur äußerst unzulänglich, aber vom Grundsatz her treffend beschrieben …

Siegfried Jacobsohn, Gründer und Herausgeber der Schaubühne und der Weltbühne – Datierend auf den 17. Juli 1922 äußerten Sie in einem Schreiben an Kurt Tucholsky im Hinblick auf die Weltbühne eine Frage und eine Mutmaßung: „Haben wir durch Aktualität schon jemals der res publica genützt? So werden wir ihr auch durch Unaktualität nicht schaden.“ Wir haben dies zum Anlass genommen, in uns zu gehen, und müssen im Ergebnis feststellen: Die Frage steht unverändert. Aber ob wir das auch von der Mutmaßung hoffen dürfen?