14. Jahrgang | Nummer 22 | 31. Oktober 2011

Was tun, wenn nichts geht? – Drei Wege, die zugleich gegangen werden müssen

von Judith Dellheim

Der Titel entspringt einer Mischung aus Ohnmacht, Selbstironie und dem Willen, als Sozialistin verantwortungsvoll zu handeln. „Was tun“ ist nicht vor allem eine ideelle Anlehnung an Lenin, sondern Ausdruck einer verzweifelten Suche nach Auswegen aus einem dramatischen Zustand, in „dem nichts geht“: Nicht „nur“, dass die Vision einer Gesellschaft der Freien und Gleichen unerreichbar scheint. Das Tragische ist, dass mehr als eine Milliarde Menschen vegetieren, dass für die größeren Teile der Weltbevölkerung Armut, soziale Ausgrenzung, Gewalt und Fremdbestimmung Alltag sind. Vielen Millionen ist beziehungsweise wird ihre natürliche Lebensgrundlage genommen. Dass diese Zerstörung so gewaltig ist, liegt daran, dass die gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse so sind, wie sie sind, dass die Linken weiterhin in der gesellschaftspolitischen Defensive verharren, dass auch sie so sind wie sie sind…, dass es keine oder nur schwache Massenbewegungen gegen jene Verhältnisse gibt, die sie, ihn und mich nötigen, an gesellschaftlicher Ausgrenzung, Gewalt gegen Andere und Naturzerstörung zu partizipieren. Die heutige Verfasstheit der Gesellschaft, ihre sozialen Ungleichheiten, die mit diesen verquickten Produktions-, Wirtschafts- und Konsumtionsstrukturen erschweren selbstbestimmtes, solidarisches, ökologisch verantwortungsvolles Handeln, machen es scheinbar unmöglich, machen es so enorm schwer.
Was also tun, wenn das Klagen über das katastrophale Jetzt und „die drohende Katastrophe“ genauso wenig hilft wie das Reden, was MAN müsste, was DER STAAT tun muss oder was DIE LINKEN tun sollen… Zumindest zweierlei ist möglich: zu suchen, ob nicht Menschen auch unter diesen Bedingungen konkret über Alternativen reden, an konkreten Alternativen arbeiten, wider soziale und ökologische Zerstörung handeln. Es wäre prüfen, wie diese Menschen unterstützt werden können und es wäre einfach zu tun. Ich möchte daher über Erfahrungen aus Forschungsprojekten zu emanzipativer widerständischer Politik sprechen, wo andere und wir eingreifend analysiert haben, wie Menschen versuchen, selbstbestimmt zu handeln und dagegen zu opponieren, dass „es so weiter geht“ (Walter Benjamin).
In all diesen Ansätzen sind es immer drei Fragen, um die die Auseinandersetzungen kreisen:
Erstens geht es um Geld, um die öffentlichen Finanzen, um die sozialen Sicherungssysteme und öffentlichen Dienstleistungen, um Entwicklungshilfe, die Haushaltssanierung und Schulden-Tilgung, um Steuern und ökologiefeindliche Subventionen, um die Regulierung von Finanzmärkten, aber auch um partizipative Haushalte.
Zweitens geht es gegen konkrete Herrschaftsprojekte, die entweder bereits realisiert sind, nicht abgewendet werden konnten wie die Arbeitsmarktreformgesetze, die EU-Dienstleistungsrichtlinie, die Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, Lateinamerika und in der Pazifik. Oder es geht darum, all die vielen Zerstörung forcierenden Versuche, Vorhaben der Herrschenden und Regierenden, von konkreten Konzernen zu verhindern. Diese Proteste richten sich gegen Kürzungen von Renten, gegen Privatisierung und Megaprojekte, gegen „Sicherheits“- und Rüstungspläne, gegen den Einsatz von Gen- und anderen Risikotechnologien in der Kommune oder Region…
Drittens sind es Kämpfe gegen Armut und soziale Ausgrenzung, gegen Diskriminierung und Repression, für soziale, demokratische und ökologische (Mindest)Standards.
All diese Kämpfe werden – das scheint trivial zu sein – immer an und ausgehend von konkreten Orten geführt. Und immer steht die Frage, wie gemeinsame Interessen erkannt und politikwirksam werden können – wie zunächst vereinzelte, voneinander isolierte Menschen, vielfach in unterschiedlichen sozialen Milieus besondere Probleme lösen und zugleich Machtverhältnisse so verändern, dass die Ursachen und Verursacher sozialer und globaler Zerstörung bekämpft werden. Ein Beispiel zur Illustration: Bildungspolitik ist ein Schwerpunkt für besondere Kapitalfraktionen/Kapitaloligarchien, weil sie neue Chancen für die Mehrung ihrer Macht und Profite sehen: durch die Kommerzialisierung und Privatisierung. Eine solche Politik der Kapitalverwertung steht jedoch im Widerspruch zur immer wieder beschworenen Erhöhung der Qualität des „Humankapitals“ und dem breitem Interesse daran. Kommerzialisierung und Privatisierung machen es letztendlich schwerer, gute Bildung zu erlangen, und für viele in den „bildungsfernen“ Schichten wird das völlig unmöglich. Umgekehrt haben sowohl Unternehmer und Manager ein Interesse an Bildung, Kreativität, Teamfähigkeit/sozialer Kompetenz – wenngleich meist bezogen auf „ihre“ Arbeitskräfte, „ihre“ Unternehmenstätigkeit und „ihren“ Lebensmittelpunkt.
Bei den „Bildungskämpfen“ kommt es deshalb zu einer gewissen Übereinstimmung von Unternehmern, Arbeitskräften, Lehrenden, Eltern und Kindern, in zumindest einer gemeinsamen Auffassung, nämlich für gute Bildung und GEGEN sie bedrohende Kommerzialisierung und Privatisierung zu sein: An Bildung, Kreativität, Teamfähigkeit und sozialer Kompetenz sind Arbeitskräfte interessiert – um „mithalten und erfolgreich sein“ zu können. An Bildung, Kreativität, Teamfähigkeit und sozialer Kompetenz sind Bürgerinnen und Bürger interessiert, um eigenes und vielfach auch gesellschaftliches Leben gestalten zu können. Bildung, Kreativität, Teamfähigkeit und soziale Kompetenz sind auch jenen Linken wichtig, die die Gesellschaft und die Menschheit so verändern und in die Natur einbetten wollen, dass jede und jeder sich frei entfalten können.
Sie meinen nicht Bildung, Kreativität, Teamfähigkeit oder soziale Kompetenz „an sich“ oder zwecks Gewinn an globaler Konkurrenzfähigkeit. Sie meinen die Teilhabe und Förderung von allen, die Befähigung der Menschen zu sozial und ökologisch nachhaltigen solidarischen Problemlösungen und damit die schrittweise zu erreichende „barrierefreie“ sozial gleiche Teilhabe. Es geht ihnen also um bestimmte zu erkämpfende Standards, wofür Gesamtschule, Klassenstärken, Lehrstunden, Pluralismus der Wirtschaftswissenschaften, Bildung für sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung nur einige Stichworten sind.
Eine Grundbedingung dafür dass, Menschen ungeachtet ihrer sozialen und ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts und ihrer individuellen Verfasstheit so an Bildung und Förderung partizipieren zu können, dass sie sich entsprechend ihrer Fähigkeiten und Neigungen in den gesellschaftlichen Arbeitsprozess und in die Gestaltung des gesellschaftliches Lebens einbringen zu können, liegt auf der Hand: der Erhalt, die qualitative Verbesserung und Demokratisierung des öffentlichen Bildungswesens und dessen erforderliche finanzielle Ausstattung. „Qualitative Verbesserung und Demokratisierung“ zeigen sich wiederum darin, inwiefern konkrete Standards realisiert werden – wie die Mitsprache bei Entscheidungen zu Bildungsinhalten und Bildungsprozessen.
Damit sind zugleich demokratische Standards zur Teilhabe an Entscheidungen über öffentliche Finanzen thematisiert. Das betrifft zum einen ihren zielgerichteten Einsatz – um Bildung für sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Das betrifft zum anderen ihre Entstehung: Das Steueraufkommen, die Grundsätze und Prinzipien, nach denen Steuern erhoben werden. Die öffentliche Diskussion und politische Auseinandersetzung, die Interessenkämpfe zu den kurz erwähnten Zusammenhängen, insbesondere zu den Bildungsstandards, den demokratischen Standards und den öffentlichen Finanzen finden auf verschiedenen Ebenen statt. Da geht es zunächst zum Beispiel um die Erreichbarkeit und die bauliche Verfasstheit einer konkreten Schule, den Unterricht und weitere Bildungsangebote an einer besonderen Bildungseinrichtung,militärische Forschung an einer Universität, Bildungsausgaben in partizipativen Haushalten; die Beteiligung von Bildungseinrichtungen an „Runden Tischen gegen rechts“ und an Netzwerken von Unternehmen, Organisationen, Abgeordneten, Verwaltungen und weiteren Akteuren für soziale und ökologische Regionalentwicklung.
In derartigen Auseinandersetzungen kommen die Menschen erst zusammen, um sich darüber zu verständigen und zu streiten, welche Bildung und Bildungsfinanzierung gebraucht und gewünscht werden, wie sie ihre Handlungsmöglichkeiten jetzt ausnutzen und zugleich auf ihre Erweiterung hinwirken können. Nur die lokal, kommunal und regional gestützte Vernetzung von Akteuren kann erwirken, dass auf der Landes-, Bundes-, EU- und globalen Ebene jene Standards und jene Finanzierung politisch erkämpft werden, die mit der Bildungspolitik auch die Gesellschaftspolitik positiv verändern. Damit würden die Richtung und die Art und Weise, in der gesellschaftliche Entwicklung verläuft, so verändert, dass Probleme solidarisch und gerecht gelöst werden.
Damit sind an Hand der Bildungsproblematik die drei Wege kurz vorgestellt, die gleichzeitig zu gehen wären: Das Ringen um soziale, ökologische und demokratische Standards; die Auseinandersetzung um öffentliche Finanzen; die Lokal- und Regionalentwicklung. Diese Schlussfolgerung bzw. Aufforderung wird durch weitere Erfahrungen aus unseren Forschungsprojekten zu emanzipativer solidarischer Politik gestützt.
Ich möchte kurz fünf Lehren aus unseren Untersuchungen nennen. Selbstverständlich fokussieren sie wiederum auf die miteinander verwobenen drei Wege, die „magische Troika“.
Eine Lehre ist: Die Verteidigung des Öffentlichen, wozu ja nicht „nur“ öffentliche Bildung gehört, seine partizipatorische und demokratische Gestaltung, seine qualitative Entwicklung und nachhaltige Finanzierung sind ein wesentlicher Bereich, wo punktuelle Interessenübereinstimmung von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus hergestellt werden kann.
Eine zweite Lehre ist: Die Kämpfe um gesellschaftliche Standards trennen das Erlaubte vom Verbotenen, das Gerechte vom Ungerechten, das Demokratische vom Undemokratischen, das Ökologische vom Ökologiefeindlichen, den Frieden vom Krieg. „Standards setzen und erkämpfen“ ist seit über 200 Jahren Praxis emanzipativer Bewegungen, wofür die Begriffe Acht-Stunden-Tag und Frauen-Wahlrecht, Mindestlohn, Asbest-Verbot, Obergrenzen für Energieverbrauch und Schadstoffemissionen, Quoren für BürgerInnenentscheide nur einige Beispiele sind. Die politisch gesetzten bzw. erkämpften Standards bestimmen die Gesetze, staatlichen beziehungsweise öffentlichen Interventionen in „die Wirtschaft“ beziehungsweise „in die Märkte“ und insbesondere in die Finanzmärkte. Sie bestimmen notwendige öffentliche Ausgaben wie eben für Bildung und Gesundheit, für Klimaschutz und Erhalt der Biodiversität oder für wirkliche Entwicklungshilfe. Sie bestimmen das dafür notwendige Steueraufkommen.
Die dritte Lehre besagt: Widerstand gegen die herrschende Politik ist nur dann links, ist nur dann wirkliche Emanzipation und Solidarität, wenn die Interessen der sozial Schwächsten, hier in Deutschland, in Europa und global ein zentraler Bezugspunkt sind. Dies unterscheidet sozialistischen Widerstand von allem anderen, vor allem von dem rechten. Das Wirken der sozialistischen Kräfte in den vielen Bewegungen misst sich vorrangig daran, inwieweit es ihnen gelingt, zu erwirken, dass sich die Bürgerinnen und Bürger, ihre Organisationen und Wahlparteien die Probleme und Interessen der sozial und global Schwächsten zu eigen machen. Aber erst wenn diese Interessen mit denen von relevanten gesellschaftlichen Gruppen beziehungsweise gesellschaftlichen Mehrheiten und zugunsten demokratischer sozial und ökologisch nachhaltiger Entwicklungspolitik wirksam verbunden werden, kann von „Erfolg“ gesprochen werden. Wo aber können Erfolg und Bündnispolitik „erlernt“ werden und beginnen?
Dies führt zu einer vierten Lehre: Die entscheidende Grundlage aller Erfolge sind lokal und regional vernetzte Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern, von konkreten Akteuren an konkreten Orten. Das, was vielleicht als „Flucht in das Klein-Klein“ anmutet, ist der lebendige Raum, in dem Solidarität praktiziert wird, Menschen und Organisationen sich so verändern, dass sie individuell, kollektiv und organisiert Weitreichenderes praktisch ins Auge fassen können.
Für die besondere Betonung der Lokal- und Regionalentwicklung als strategisches Handlungsfeld beziehungsweise „dritten Weg“ gibt es zumindest drei weitere Argumente: Sie ist die Kehrseite der Globalisierung. Kommunen und Regionen entwickeln sich wesentlich in Abhängigkeit von ihrem Stellenwert für die Akteure der kapitaldominierten Globalisierung. Die hier Lebenden und Agierenden können sich wehren. Die Arbeitskräfte beziehungsweise die Bürgerinnen und Bürger sind nicht so mobil wie das Kapital. Sie können und wollen nur bedingt den Kapitalbedürfnissen entsprechen. Sie verlassen nicht „so einfach“ ihre Kommune oder Region. Gerade hier können sie Organisationsfähigkeit und Gestaltungswillen erlangen und beweisen. Für das gesellschaftliche Leben in der Kommune und Region sind die sozialen, demokratischen und ökologischen Standards und die Entscheidungen zu den öffentlichen Finanzen von hochgradiger Wichtigkeit. Die Kommunen und Regionen leiden vielfach unter unzulänglicher Finanzausstattung. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner können das artikulieren. Sie können auch mit Anderen in anderen Regionen solidarisch sein.
Die fünfte Lehre betrifft die Orientierung auf Gleichzeitigkeit: Das Ringen um soziale, ökologische und demokratische Standards, um Einflussnahme auf die öffentlichen Finanzen, um problemlösungsorientierte Lokal- und Regionalentwicklung muss gleichzeitig und im Zusammenhang und koordiniert auf allen politischen Handlungsebenen erfolgen. Hier darf es keine Rangfolge geben, die notwendige politische Bündnisse erschwert oder gefährdet: Wenn zum Beispiel Menschen um partizipative Haushalte ringen, aber nicht um eine andere Steuer-, Haushalts- und Gesellschaftspolitik, wächst die Gefahr, dass sie nur zu einer qualifizierteren Verwaltung der Konkurrenzgesellschaft beitragen. Wenn Menschen ihre Region lebenswerter machen wollen, aber „lebenswerter“ nicht zugleich als solidarischer nach innen und nach außen fassen, wachsen in unserer globalisierten Gesellschaft soziale Ausgrenzung, Repressionen gegen ihre Verlierer/innen und (Standort-)Konkurrenz, eine „Sicherheitspolitik“, die sicher mehr Unsicherheit schafft. Nur in der Gleichzeitigkeit beziehungsweise in der „magischen Troika“ und daher in der solidarischen Verbindung von Kämpfen gegen die Konkurrenzzwänge, bestehen Chancen und  Aussichten auf nachhaltige Veränderungen.
Ganz irdisch sieht das zum Beispiel so aus: Ausgehend von französischen Erfahrungen haben Ende 2004 sechs Unternehmen den Kooperationsverbund Arbeitgeberzusammenschluss Spreewald und die SpreewaldForum GmbH gegründet. Sie haben im April 2005 acht Mitarbeiter/innen zu sozial geschützten Arbeitsbedingungen eingestellt. 2009 waren es über 40 Unternehmen, Einrichtungen und Organisationen, die gemeinsam für über 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sinnvolle existenzsichernde Arbeitsplätze geschaffen haben. Zwecks gemeinsamer Ausbildung haben die Unternehmen 2008 eine Genossenschaft gegründet. So werden in der Region zumindest ansatzweise soziale Ausgrenzung bekämpft und Machtverhältnisse verändert. Zugleich werden regionale Schranken für Akteure neoliberaler Globalisierung aufgestellt.
Das nutzt auch der Agrargenossenschaft Radensdorf im nordwestlichen Teil des Oberspreewaldes. Ihre Nutzflächen liegen zu großen Teilen im Biosphärenreservat. Die Genossenschaft wirtschaftet seit über zehn Jahren nach den Regeln des ökologischen Landbaus. Sie betreibt nicht nur Ökolandbau, Viehzucht und Milchproduktion, sondern auch Naturschutz. Allerdings hängen die Ergebnisse der Genossenschaft wiederum von den Rahmenbedingungen ab – insbesondere von den Eigentümer- und Nutzungsrechten sowie den Bedingungen für öffentliche Förderung – somit wiederum von konkreten Standards und von öffentlicher Finanzpolitik. Und damit steht die Frage nach der Teilnahme der Genossenschaftsmitglieder an den Bündnissen für konkrete politische Auseinandersetzungen. Die erlangen schnell eine EU-Dimension, weil die Agrarpolitik eine Europäische Gemeinschaftspolitik ist. Da sind die Genossenschaftsmitglieder in Sachen Wirtschaftsförderung auch mit der Frage konfrontiert, ob und inwiefern sie mit den lokalen Lebensmittelproduzentinnen in den armen Ländern solidarisch sein wollen, was ihnen Ernährungssouveränität armer Länder und ihrer Bewohner/innen bedeutet.
Damit sind wir erneut in einem Geflecht komplizierter Problemzusammenhänge, weil die gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse so sind wie sie sind. Daher resümierend: Was also tun, wenn scheinbar nichts geht? – Suchen, wer was tut, was daher gehen kann und selbst intervenieren.
Es geht darum, in konkreten Projekten fünf Dinge zu erlernen: die unterschiedlichen Interessen und Kulturen jener, die sich widersetzen, zu verbinden; konkrete Standards als zu erkämpfende Schritte in eine gerechte, eine ökologische, eine demokratische, eine friedliche Welt zu entwickeln und zum Gegenstand von tatsächlichen Kämpfen zu machen; die Interessen der sozial, europäisch und global der Schwächsten in die Kämpfe einzubringen und diese Kämpfe um das Öffentliche, insbesondere im Bereich der öffentlichen Finanzen führen; die lokalen, kommunalen und regionalen Möglichkeiten politischer Gestaltung von Prozessen auszuschöpfen; in Widersprüchen, insbesondere in Interessenwidersprüchen Handlungsmöglichkeiten aufzuspüren und zu nutzen, anderen keine falschen Rangfolgen von Wichtigkeit „aufdrücken“ wollen. Das spricht nicht gegen politische Prioritäten im Kampf gegen soziale und ökologische Zerstörung: Kampf gegen Armut, soziale Ausgrenzung und Gewalt gegen Menschen, gegen globale Erwärmung und schwindende Biodiversität.
Angesichts der erdrückenden Probleme scheint all dies nicht viel. Aber genau dies geht, wenn sonst nichts geht. Und es schafft die Voraussetzungen für ein wirkliches zukünftiges Mehr an Transformation. Es sind wichtige Elemente einer radikalen Realpolitik unter den heutigen Bedingungen.
Für dieses Vorgehen, für das optimistische Szenario bedarf es nicht „nur“ lern- und kooperationsfähiger Demokratinnen und Demokraten, sondern auch lern- und kooperationsfähiger demokratischer Zusammenhänge, Netzwerke und Organisationen wie politische Parteien, die ihrerseits auf kommunikative, solidarische und selbstbestimmt handelnde Mitglieder orientieren. Veränderungsfähige kollektive Akteure entstehen in beziehungsweise über genau solche Projekte oder sie entstehen nicht.
Damit ende ich optimistisch und pessimistisch zugleich.

(Vortrag, gehalten am 14. Oktober 2011 auf der 1. Internationale Transformationskonferenz des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Transformation im Kapitalismus und darüber hinaus“ in Berlin)