14. Jahrgang | Nummer 22 | 31. Oktober 2011

Was darf Satire?

von Frank Burkhard

„Jetzt darf die deutsche Mannschaft nicht mal mehr über die rechte Seite angreifen, ohne dass ein Nazi-Vergleich kommt. Guter Journalismus sieht anders aus. Ironie ist was anderes. Humor geht anders. Witzig ist anders. Gute Satire geht anders. Das ist purer türkischer Hass, der als Satire getarnt ist. Die Deutschen müssen verlieren, allein schon wegen Deniz Yücel. Serbien gewann, der Türke Deniz, als getarnter deutscher Sport-Journalist, hat fehlgeschlagen. Das hat die taz davon, ehemalige Rütli-Schüler zu beschäftigen. Linke können eben kein Fußball! Der hat doch keine Ahnung von Fußball! Sogar Hitler hatte mehr Ahnung von Fußball!“ So fasste Deniz Yücel, Kolumnist der taz, einen Teil der Reaktionen auf seine WM-Kolumne „Vuvuzela“ zusammen, die im Frühsommer 2010 erschien. Die Texte waren bewusst provokant, krawallig, den Bild-Stil (falls Stil für Bild keine Beleidigung ist) persiflierend. Schon eine Auswahl von Überschriften belegt das: „Wo Serben, da Scherben“, „Meine Damen und Herren! Sorry, liebe Neger!“, „Schämt euch, ihr Gurken!“ Die taz-Leserschaft war gespalten. Das gleiche wiederholte sich bei Yücels Kolumne „Trikottausch“ zur Frauenfußball-WM in diesem Jahr. Aber die steht hier nicht zur Debatte, denn die Provokanz von „Vuvuzela“ beeindruckte die deutsch-britisch-französische Jury so, dass Deniz Yücel in Berlin der diesjährige Kurt Tucholsky-Preis verliehen wurde. „Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird“, hob die Jury mit Tucholskys Worten hervor. Der Autor, überraschenderweise kein türkischer Rabauke sondern ein kluger und feinsinniger Mann von Ende 30, zeigte sich stolz, nun in einer Reihe mit Konstantin Wecker, Erich Kuby und Heribert Prantl zu stehen.
Dass Yücel ein Autor ist, der Sprachspiele liebt, war ein guter Schlusspunkt zu der vorangegangenen Jahrestagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft (KTG). Unter dem Motto „Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf!“ (Peter Panter) war sie verschiedenen Aspekten der Sprachbehandlung bei und seit Tucholsky gewidmet. Darauf, dass Sprache durchaus eine sehr politische Kategorie sein kann, wies der alte und neue Vorsitzende der KTG, der britische Germanist Dr. Ian King in seiner Eröffnungsansprache hin und nannte Beispiele für Kriege, die als „humanitäre Interventionen“, Tote, die als „Kollateralschäden“ bezeichnet werden. Prof. Sven Hanuschek, der Vorsitzende der mitveranstaltenden Heinar-Kipphardt-Gesellschaft, zitierte Tucholskys Satz „Der Zeichner kann sich etwas ausdenken – der Fotograf nicht.“ Tucholsky arbeitete – teilweise zusammen mit dem Collagisten John Heartfield – häufig nach dem Montageprinzip, wonach Wort und Bild in ihrer Gesamtheit eine neue Aussage schaffen.
Chefredakteur Paul-Josef Raue von der Thüringer Allgemeinen aus Erfurt zitierte Tucholsky mit dem Satz „Die meisten Zeitungsartikel gleichen gestopften Würsten“ und referierte über die Änderungen des Zeitungsdeutsch in den Jahrzehnten nach Tucholsky. Er erwies sich als Anhänger Victor Klemperers, und Joachim Herrmann bekam sein Fett ab. Die Gleichsetzung zweier deutscher Diktaturen gefiel allerdings nicht allen Tagungsteilnehmern. Sympathisch war, dass nach Raue Schüler der oberen Klassen der Kurt-Tucholsky-Schule aus Berlin-Pankow ihre erfrischenden Gedanken zu ihrem Namenspatron vortrugen. Auch zwei szenische Beiträge junger Leute zum Thema, unter anderem mit dem Theater an der Promenade aus Berlin-Marzahn boten willkommene Auflockerung.
Der Schriftsteller Jan Eik sprach über den Berliner Dialekt bei Tucholsky und polemisierte mit Gerhard Zwerenz, der gesagt hatte: „Wenn Tucholsky ins Berlinische ausweicht, geht ihm meistens etwas sehr nahe.“ Das sei kein Ausweichen, sondern Tucholskys bewusstes Gestaltungsmittel und gab als Beispiel einen Panter-Text von 1927: „So wie ick hier spreche – ach wat, Dialekt! Dialekt! Ick spreche keen Dialekt – ich spreche Deutsch, vastehn Se mir? So wie ick spreche: mir vastehn ja die Nejer.“ Womit wir wieder bei Deniz Yücel wären.