von Ulrich Scharfenorth
Vorerst darf in Nordrhein-Westfalen nicht nach unkonventionellem Gas gebohrt werden – auch nicht für Erkundungszwecke. Ein Erfolg der Gegner des Fracking (ein Verfahren, bei dem kleine Gasvorkommen von außen aufgesprengt werden. Nachfolgend gelangt das frei werdende Erdgas problemlos zum Bohrloch; siehe auch Das Blättchen 07/2011). Exxon & Co. werben dagegen mit spektakulären Meldungen – unter anderem mit der, dass man unter Nordrhein-Westfahlen etwa 2.200 Kubikkilometer des wichtigen Rohstoffes vermute. Und den – so meinen die Lobbyisten – müsse man angesichts des vereinbarten Atomausstiegs unbedingt nutzen. Diese Rechnung aber geht nicht auf – auch dann nicht, wenn die Befürworter die komplette Bedarfsdeckung Deutschlands für 18 Jahre versprechen. Denn zum einen wird der förderbare Anteil von Experten auf nur drei bis fünf Prozent geschätzt. Zum anderen glaubt niemand daran, dass in wenigen Monaten eine technisch sichere und verantwortbare Exploration auf den Weg gebracht werden kann. Bei der derzeit geschätzten Vorbereitungszeit von circa zehn Jahren kommt dieses Gas als Brücke zu den alternativen Energien wohl zu spät.
Zudem nehmen die Vorbehalte gegenüber dem Fracking weiter zu. Befeuert wurden sie, weil die Medien neben enthusiastischen Vorrats-Phantasien mit neuen Horrormeldungen – vor allem aus den Vereinigten Staaten – aufwarten. So berichtete die New York Times im März 2011, dass in Colorado, Ohio, Pennsylvania, Texas und West Virginia durch Fracking freigesetztes Gas in unterirdische Trinkwasservorräte eingebrochen sei. Mehrere US-Studien hätten zudem ergeben, dass im Umkreis von drei Kilometern rund um die Bohrung nicht nur bedenkliche Mengen von Methan, sondern auch Chemikalienreste ausgetreten seien. Der Staat New York wird Bohrungen in Trinkwasserbereichen deshalb verbieten. Ähnliches ist bereits in Frankreich und Teilen Australiens geschehen. Problematisch sei auch die Entsorgung der stark kontaminierten Lagerstätten- und Frackingwässer. Deren Einspeisung in konventionelle Klärwerke ist in Pennsylvania seit Mai 2011 verboten. Gelsenwasser-Chef Manfred Scholle, der sich in den USA ein Bild von der Lage machte, zeigte sich bestürzt. Jetzt hat er Bundeswirtschaftsminister Rösler aufgefordert, sich endlich den drängenden Fragen zur umstrittenen Exploration zu stellen.
Inzwischen gehen nicht nur die Bürgermeister relevanter Förderorte (Schwerpunkt: Kreis Warendorf), sondern auch verschiedene Wasserversorger, Umweltverbände, kirchliche Gruppen und Brauereien auf die Barrikaden. Darüber hinaus wachsen die Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. So sei in verschiedenen Studien festgestellt worden, dass die Förderquote beim Fracking schon nach kurzer Zeit immens abnehme – nach einem Jahr um 60 – 90 Prozent. Auch mehrfaches, folgendes Fracken könne den Förderstrom nur kurzzeitig steigern. Wirtschaftlich relevante Gasmengen – so folgern Experten – würden mehrere hundert Bohrungen pro Jahr erfordern. Dafür stehe in NRW weder der Platz noch die Ausrüstung zur Verfügung. Es verstärkt sich der Eindruck, dass der prinzipielle (CO2-)Vorteil von Gas gegenüber Kohle und Öl durch die negative Spezifik des Frackings zunichte gemacht wird. Neben den bereits bekannten Nachteilen ergeben sich weitere, durchaus schwerwiegende: Zusätzliche Luft- und Lärmemissionen (Schwerlast-Verkehr, Generator- und Bohrgeräusche ), mögliche radioaktive Belastungen der Luft (Radon), frackingbedingte Erdbeben (AKW Emsland) sowie ein hoher Verbrauch an Flächen und Wasser. All das dürfte mit verheerenden Folgen für den Tourismus einhergehen.
Inzwischen zeigt der von den Anti-Gasbohr-Initiativen ausgeübte Druck Wirkung. So hat das NRW-Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in Zusammenarbeit mit dem NRW-Wirtschaftsministerium im Juli 2011 eine wichtige Ausschreibung veröffentlicht. Gesucht werden europäische Unternehmen/Institutionen, die „ein Gutachten mit Risikostudie zur Exploration und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten in Nordrhein-Westfalen“ erstellen. Im ersten Teil dieses Gutachtens soll es konkret um Kriterien für den Ausschluss von Fördergebieten sowie um eine Übersicht zu möglichen Techniken für die Exploration gehen. Teil 2 soll sich mit den Risiken für den Wasserhaushalt und andere zu schützende Güter befassen. Dabei spielt die Beeinflussung von Deckgebirge und Grundwasser durch Schiefergasförderung und Wasserentnahme eine entscheidende Rolle. Der dritte Teil des Gutachtens soll Aufschluss über die Genehmigungsfähigkeit der Gasförderung in ihrer Gesamtheit geben. Hierbei stehen die Möglichkeiten einer Prozess-Modellierung und eines Prozess–Monitorings im Mittelpunkt. Mit der abschließenden Bearbeitung dieses dritten Teils – der auch Gegenstand eines Zwischenberichtes für die Landesregierung sein soll – wird bis März 2012 gerechnet. Die Landesregierung soll dann entscheiden, ob der vierte und letzte Teil der Ausschreibung notwendig ist. An dieser Stelle nämlich wird darüber befunden, ob es mit dem Fracking überhaupt weiter gehen soll. In diesem Falle würde im vierten Teil des Gutachtens ein Handbuch für die Genehmigungsbehörden erstellt.
Die komplette Prozedur soll von allen interessierten Parteien begleitet werden: von der Regierung, vom Geologischen Dienst, von den kommunalen Spitzenverbänden, den Wasserbehörden, den Naturschutzverbänden, der Wasserversorgungswirtschaft, aber auch von den Bürgerinitiativen und der Lobby-Organisation der Industrie.
Parallel zur Ausschreibung hat auch Bundesumweltminister Röttgen eine Studie in Auftrag gegeben. Sie soll ebenfalls Rückschlüsse auf die durch Fracking veränderte Trink- und Grundwasser-Situation ermöglichen. Außerdem veröffentlichte das Umwelt-Bundesamt den Entwurf „Einschätzung der Schiefergasförderung in Deutschland“, der fast alle Bedenken der Gasbohr-Gegner bestätigte.
Inzwischen warten nun auch die Bundesländer Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen-Anhalt auf Ergebnisse aus den in NRW angestoßenen Aktivitäten. In Niedersachsen ruht (freiwillig) die weitere Erkundung von Schiefer- und Kohleflözgas-Vorkommen. Auch in der Führungsebene der Länder spiegelt sich der Konflikt: Der grüne NRW-Umweltminister Johannes Remmel (der die Vorbehalte der Fracking-Gegner ernst nimmt) attackiert den niedersächsischen FDP-Wirtschaftsminister, Jörg Bode (der das Fracking weiter durchwinken möchte) – und umgekehrt.
Die Bürgerinitiativen gegen das Gasbohren, die bereits in Düsseldorf , Münster und Werne für Aufsehen sorgten, bemühen sich derweil um eine internationale Vernetzung. Erstes Ergebnis: ein internationale Treffen in Lézan/Frankreich, das im August stattfand.
Weitere Infos sind unter http://www.gegen-gasbohren.de/ zu finden.
Schlagwörter: Erdgas, Fracking, Nordrhein-Westfalen, Ulrich Scharfenorth, USA