von Renate Hoffmann
Warmer Wind und erleuchtete Ufer.
Gleitende Schiffe und Rufe und Klänge.
Im Wasser Bahnen von schimmerndem Rot.
Gedämpftes Licht aus alten Palästen,
flackerndes hinter schweigsamen Gittern,
wandelndes zwischen zierlichen Säulen,
violettes dringt aus den kleinen Cafés.
Rhythmisches Blinken in schmalen Kanälen.
Bögen, Brücken und dunkle Fassaden.
Muranische Leuchter in hohen Sälen,
des Regenbogens gebrochener Glanz.
Schwankende Gondeln – eins mit der Nacht,
Ruderschläge und blakendes Licht.
Hinter Ca’ d’Oros gotischen Loggien
ruht eine Schöne, die Tizian gekannt.
„So stand es denn im Buche des Schicksals auf meinem Blatte geschrieben, daß ich 1786 den achtundzwanzigsten September, abends, nach unserer Uhr um fünfe, Venedig zum ersten Mal … erblicken und bald darauf … betreten und besuchen sollte.“ (Goethe, Italienische Reise)
Ich betrat die an Wundern reiche Stadt an einem sommerlichen Tag, zweihundertfünfundzwanzig Jahre später. Wo beginnen mit den Wundern? Wasserfahrt zum Markusplatz, um dem Zentrum der gewesenen Republik Venetia Reverenz zu erweisen. Auf dem großen Schlängelkanal, dem Hauptverkehrsgewässer, durch Vergangenheit und Gegenwart der Lagunenstadt – vorbei an Reichtum, Glanz und Verfall. Palast an Palast. Mit kostbarem Fassadenschmuck geziert, oder das Mauerwerk vom Wasser benagt, welches bedrohlich-dunkle Flecken hinterlässt und Muschelwülste an den Stufen ablegt. Man ahnt hinter Mauern versteckte Gärten, die nur der hochhinauf blühende Oleander verrät. Wäsche weht über den Dächern.
Die Galerien ziehen vorüber. Nicht nur hier, allüberall in Kirchen und Palästen sind sie gegenwärtig, die großen Maler der Renaissance und des Barock. Tizian, Veronese und Tintoretto, Canaletto, Tiepolo und die anderen. Schon vermeint man, ihnen leibhaftig zu begegnen. Auf der Rialto-Brücke. Oder im Café Florian unter den Arkaden der Piazza San Marco. Casanova und Goldoni kehrten dort ein; Goethe (selbstredend!), Thomas Mann und Hemingway. Letzterer jedoch häufiger in Harry’s Bar in der Calle Vallaresso, wo Ernest sich ungezwungener bewegen durfte.
Da prangt er – der unvergleichliche Platz San Marco. Stände, Tauben und – als habe sich die Welt zu einem Treffen verabredet – ein buntes, neugieriges, staunendes, lärmendes Gewimmel. Umgeben von den Insignien der Macht vergangener Tag: den Prokuratien, der Ala Napoleonica (Bonaparte ließ eine dort befindliche Kirche abreißen, um einen repräsentativen Bau zu schaffen. Hochmut, doch architektonischer Gewinn); dem Glockenturm, dessen Baubeginn im 9. Jahrhundert liegt, und der am 14. Juli 1902, des Morgens – 9.47 Uhr krachte es – in sich zusammenfiel, doch steht er wieder, gottseidank; und dem Uhrturm, der an das Krochsche Hochhaus am Leipziger Augustusplatz erinnert.
Die Markuskirche. Kuppeln, Türme, Galerien, Säulenformationen, Bögen, Figurenschmuck. Und Mosaiken auf goldenem Grund. Berechtigterweise trägt sie auch den Namen „Goldene Basilika“. Man steht überwältigt vor ihr, ein Zustand, den die Bauherren wohl auch beabsichtigten. Am Hauptportal drängen die Besucher ins Innere … und treten nach dem Rundgang, als kämen sie aus anderen Gefilden, wieder ins Freie.
Hoch oben über dem gleißenden Fialen- und Kuppelgewirr thront San Marco, der Schutzheilige Venedigs, unbeeindruckt vom Treiben auf seinem Platz. Unter ihm der geflügelte Löwe. Und darunter eine antike Quadriga, aus stattlichen, temperamentvollen, schweren Warmblütern. Ein langer Ritt lag hinter ihnen, ehe sie ihre Platzierung an der Kirchenfassade fanden. Aus Griechenland oder Alexandrien sollen sie stammen. Vielleicht auch aus Rom. Sie posierten bereits auf einem Triumphbogen Neros. Dort sah sie Kaiser Konstantin und ließ sie zum Hippodrom nach Konstantinopel bringen. Den Rittern des IV. Kreuzzuges (13. Jahrhundert) gefielen sie nicht minder. Sie nahmen das Kunstwerk als Kriegsbeute mit nach Venedig. Zuerst am Arsenal aufgestellt, dann zur Markuskirche hinauf gehoben, schien die Quadriga endlich angekommen zu sein. Napoleon dachte anders. Als er Venedig eroberte, beorderte er die Pferde in den Louvre. Er war wohl ein Hippophile, der Franzose. Das Berliner Viergespann hatte er ja ebenfalls entwendet.
Die Materialbeschaffenheit der Venezianischen Quadriga blieb lange Zeit unklar. Nun weiß man, dass sie fast ausschließlich aus Kupfer besteht und einen Goldüberzug trug. Ihrem unschätzbaren Wert entsprechend, kam sie nach ihrer Restaurierung ins Museum. Nun traben Kopien an der Kirchenfassade.
Ein Schwenk – und ich stehe auf dem „Kleinen San Marco Platz“. Ihn rahmen Dogenpalast und Nationalbibliothek. Nach Süden weitet sich der Blick. Vom Meer trägt der Wind Möwenschreie herüber und das Stampfen der Schiffe. Ich bemühe Goethe: „Von Venedig ist schon viel erzählt und gedruckt, daß ich mit Beschreibung nicht umständlich sein will, ich sage nur, wie es mir entgegenkömmt.“
Im Dogenpalast, diesem architektonischen Meisterwerk aus Machtgehabe, Protz und Zartheit, kömmt mir ein politisches Organ der „Serenissima Republica San Marco“ entgegen. Die „Löwenmäuler“. Man muss sie auf den Etagen suchen, die schmalen Schlitze in der Wand, denen das kennzeichnende „Löwenmaul“ nun zumeist fehlt. Eine der markanten Masken finde ich noch. Sie öffnet das Maul und richtet ihre Augen strafend auf den Betrachter. Im 16. Jahrhundert durften hier Beschwerden und Anschuldigungen eingeworfen werden. Man prüfte sie. Selten, so heißt es, habe die Regierung Hinweise auf Missstände ernst genommen – eher dagegen anonyme Anschwärzungen …
Hin und her auf dem Großen Kanal, und zu beiden Seiten die stolzen Paläste mit den klangvollen Namen: Palazzo Contarini-Fasan, den man auch das „Haus der Desdemona“ nennt; die Palazzi Barbaro. Im gotischen Palast wohnte einst Isabella d’Este, die große Dame der Renaissance. Hochgebildet, musisch begabt, von diplomatischen Geschick – und schön. Eine Mäzenin, die auch Ariost unterstützte. Leonardo da Vinci und Tizian porträtierten sie.
Meine Aufmerksamkeit gilt der Ca’ d’Oro, dem „Goldenen Haus“. Sachlich eingeordnet als ein Bauwerk zwischen Spätgotik und Frührenaissance. In Augenschein genommen, scheint es aber ein Palast aus Tausend-und-einer-Nacht zu sein, den ein Zauberspruch an den Canal Grande versetzte. Feingliedrig und leicht und luftig mit seinen maßwerkbekrönten Loggien, lässt er sich von den Vorbeifahrenden bestaunen.
Giorgio Franchetti erwarb das desolate Haus Ende des 19. Jahrhunderts und verlieh ihm neuen Glanz. Er brachte seine wertvolle Kunstsammlung darin unter und schenkte den Schatz der Stadt Venedig. Durch einen kleinen wundersamen Garten gelangt man in die Sammlung Franchetti. Ehe ich mich in dem Schauwerk von Gemälden, Gobelins, Fresken, Möbeln verliere, verhalte ich den Schritt im Erdgeschoss. Eine von Säulen getragene Halle öffnet sich auf den lichtdurchfluteten Hof. Sie ist ausgelegt mit Mosaiken feinster Manier. Kaum wagt man es, sie zu betreten. Die Muster wechseln. Geometrisch streng die einen, wie ein Blumenbeet die anderen. Auch verschlungen oder spiralig gefügt, Zirkel und Rauten dazwischen. Als sei es ein Spiel ohne Ende, laufen die bunten Steine in Rhombenform an den Wänden empor. Kein Zweifel – hier liegt ein Teppich aus dem Morgenlande.
Ich schaue noch bei Carlo Goldoni vorbei, dem promovierten Advokaten, Komödiendichter (man denkt an den „Diener zweier Herren“) und Schauspieler. Das sagt sich so hin: Vorbeischauen. In dem Labyrinth von Gassen und Kanälen und Brücken empfinde ich wie Goethe: „ … es ist ein unglaubliches Gehecke ineinander.“ Goldonis Geburtshaus, im Stadtteil San Polo gelegen, beherbergt das Theaterwissenschaftliche Institut und einen Erinnerungsraum an den Meister des Lustspiels, der 1793 in Paris verstarb. Man findet Konterfeis von ihm, dem Mann mit den verschmitzten Augen; Manuskripte, Erstausgaben seiner Werke und Masken; Szenen vom Hof- und Theaterleben. Und ein Marionettentheater aus dem 18. Jahrhundert. Die Gesellschaft, in großer Toilette, trifft sich zum Ball. Im Vordergrund wandeln die Damen, vollbusig, mit Schönheitspflästerchen auf den Wangen und sehr verführerisch. Das wird ein Fest geben! Die Dienerschaft wartet bescheiden im Hintergrund. Doch eines macht sie alle gleich. Sie tragen Häkchen und Stäbchen auf dem Kopf.
Eigentlich wollte ich Antonio Vivaldis Kirche della Pièta aufsuchen und dort seine „Vier Jahreszeiten“ hören. Aber das Konzert war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Ich tröstete mich mit einer abendlichen Fahrt zur Insel San Giorgio.
Schlagwörter: Johann Wolfgang von Goethe, Renate Hoffmann, Venedig