von Sandra Beyer
Die Eröffnung der Hokusai-Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau stellte einen Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Unterzeichnung des Japanisch-Preußischen Freundschafts- und Handelsvertrages dar. Bundespräsident Christian Wulff sowie die geladenen japanischen Gäste, Botschafter Takahiro Shinyo, Vizepräsident der Japan-Foundation, Masaru Sakato, und der Kurator Seiji Nagata betonten die Wichtigkeit, dass ein Künstler wie Hokusai als Vermittler zwischen Japan und dem Westen fungiert. Besonders wurde hervorgehoben, dass Japan nach dem Großen Nordosterdbeben vom 11. März dieses Jahres und dem Sieg der Japanerinnen in der Fußball-WM am 17. Juli Unterstützung und sogar Liebe von deutscher Seite aus gespürt haben will. Eine Ausstellung, die nach Angaben des Kurators über 450 Werke umfasst und damit die erste zusammenhängende Werkschau des Künstlers in Europa ist, bietet sich natürlich an, auf eine schwierige Beziehung von anderthalb Jahrhunderten nostalgisch, wenn nicht sogar verklärend zu blicken.
Als die preußische Expedition unter Albrecht Graf zu Eulenberg 1860 in der Bucht von Edo anlegte, hatte die Shogunatsregierung bereits 1854 mit den USA, Großbritannien und Russland, 1855 mit den Niederlanden und 1858 mit Frankreich so genannte Freundschafts- und Handelsverträge abschließen müssen. Angesichts der ausländischen Kanonenschiffe hatte sie auch keine andere Möglichkeit gesehen, als Häfen zu öffnen, wollte sie das Land nicht einem Schicksal wie dem des durch die Opiumkriege geschwächten Chinas überantworten. Diese Verträge schrieben Ausfuhrbedingungen für Kunst- und Kulturgüter, konsularische Rechtszuständigkeit und Exterritorialität fest, was besonders die Samurai erzürnte. Die Ausländer schritten bewaffnet durch die Straßen des heutigen Yokohama oder Tokyo und waren dabei den japanischen Kriegern nicht selten im Weg. Auf dem Friedhof in Yamate, auf dem Hügel nordöstlich über der damaligen ausländischen Enklave in Yokohama, liegen neben Lehrern der Regierung, Händlern auch Seeleute und Soldaten, die in den ersten Jahren Anschlägen wütender niederer Samurai zum Opfer fielen.
Um das Bild eines zivilisierten Landes, mit dem auf Augenhöhe verhandelt werden musste, in der Welt darzustellen, begann Japan ab 1878, an den Weltausstellungen teilzunehmen. Bereits auf der in London 1862 waren so genannte ukiyo-e, Bilder der fließenden und vergänglichen Welt des Theaters, der Rotlichtviertel und der Teehäuser, aus der Sammlung des englischen Generalkonsuls in Japan, Sir Rutherford, ausgestellt worden. Danach jedoch wollte die Regierung in Tokyo die Interpretationsmacht über die eigene Kultur den westlichen Kunsthändlern und Künstlern aus der Hand nehmen. Bezeichnenderweise stellte der japanische Pavillon in Paris 1878 eben nicht die Vergnügungen des aufblühenden Bürgertums des 17. bis 19. Jahrhundert aus, sondern Kunst chinesisch beeinflusster Malschulen der Höfe der Samurai. Auch wenn Maler wie Hokusai vom Beginn des 19. Jahrhunderts zu den Lieblingen des Bürgertums gehörten, wollte sich das erstarkende Japan militärisch und aristokratisch geben und nicht die Bilder des Bürgertums zeigen.
In Europa waren nicht nur die ukiyo-e, sondern auch die Illustrationen von Mallehrbüchern und Romanen Hokusais beliebt. Die ersten kamen als Füllmaterial von Chinoiserien nach Paris und London und lösten einen regelrechten Boom nach allem Japanischen aus. Dabei wird in der Rezeption auch heute noch gern vergessen, dass so genannte Romane bis zum Kontakt zum Westen von geringem kulturellem Wert waren. Sie waren ein Vergnügen des politisch unbedeutenden, aber wirtschaftlich mächtigen Bürgertums in den Großstädten des Reiches gewesen. Da sie jedoch Fiktion waren, standen sie unterhalb der historischen Erzählungen und Chroniken, den so genannten monogatari, und der von China beeinflussten Dichtung, die besonders in den Samuraifamilien gepflegt wurde. Doch im 18. Jahrhundert verarmte die Kriegerklasse zusehends, da ihr Einkommen an die Reisproduktion gebunden war. Künstler wie Hokusai, der in das Bürgertum hineingeboren worden war, suchten sich deswegen auch die Händler als Mäzene. Sein Geburtsort Honjo, im heutigen Tokyoter Bezirk Sumida, war ein großer Reishandelshafen. Bis zu seinem Tod 1849 arbeitete Katsuhika Hokusai, der seinen Namen je nach Malschule und Stil änderte, für eben jene Klasse, deren Vergnügungen er porträtierte. Erst die Forderungen des Literaturkritikers und Shakespeareübersetzers Shoyo Tsubouchi nach einer psychologischen Durchdringung der Figuren und der Ablehnung des literarischen moralischen Strafens in „Das Wesens des Romans“ (1885/86) führten überhaupt zur Anerkennung und dann zum Siegeszug des Romans nach westlicher Prägung und damit zur Aufwertung aller fiktionalen Genres.
Nicht nur wegen seiner Hinwendung zu den Sujets des Bürgertums, sondern besonders wegen seiner Nutzung westlicher Kunstkonzepte wie der Zentralperspektive wird Hokusai als Maler der Moderne und als Brückenbauer zwischen Japan und dem Westen angesehen. Mit westlicher Malerei kam er über die Faktorei der Niederländischen Ostindien-Kompanie auf Dejima, einer künstlich angelegten Insel vor Nagasaki, in Kontakt. Nach der sukzessiven Landesabschließung durch das Shogunat von 1612 bis 1639 waren nur noch die protestantischen Niederländer unter strengen Auflagen im Land erlaubt. Das christliche Jahrhundert seit der Ankunft der Jesuiten 1549 endete mit der Ausweisung aller westlichen Katholiken. Der Arzt und Naturforscher Philipp Franz von Siebold brachte 1843 Bilder und Zeichnungen der japanischen Flora und Fauna nach Europa. Bereits 1716 hatte das Shogunat europäische Schriften wieder zugelassen, solange es nicht religiöse Bücher waren. So beförderte westliches Wissen über Anatomie, Kunst und Astronomie die so genannten Hollandstudien, durch Hokusai Kenntnisse über europäische Malerei erlangte. Hinzu kam, dass die Faktorei einmal im Jahr dem Shogun Bericht über die Welt jenseits des Meeres erstatten musste. Jedoch verschwiegen sie den eigenen Bedeutungsverlust in Asien Ende des 18. Jahrhunderts und den Aufstieg der jungen USA. So musste die Regierung ihre Übersetzer nach dem Eintreffen der „schwarzen Schiffe“ 1853 von Holländisch auf Englisch umschulen.
Auch die heutige Rezeption der europäischen Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist blind gegenüber den Machtverhältnissen zwischen Paris, London, Berlin und Tokyo. Die Ausstellung im Gropiusbau macht dies noch einmal deutlich. Besonders die Reden und der Katalog unterscheiden zwischen der künstlerischen, guten Aufnahme japanischer Kultur durch den Japanismus beziehungsweise Japanisme und dem unkritischen Plagiat der Japanmode. Künstler wie Edouard Manet, Edgar Degas, Claude Monet oder James McNeill Whistler und Oscar Wilde in der Literatur übernahmen jedoch nur die Teile, die ihnen für ihr Werk genehm erschienen. Ein Austausch auf Augenhöhe, der die gesellschaftlichen Mechanismen von Kultur beachtete, war in der akademischen Auseinandersetzung im 19. Jahrhundert nicht gewollt und möglich. Die schwache politische Stellung Japans, das gegen die ungleichen Verträge kämpfte und ausgerechnet Weihnachten 1899 in die westliche Wertegemeinschaft nach dem Sieg über China (1894/95) aufgenommen wurde, wird bei dem massiven Aufkauf japanischer Kunstgüter durch europäische Institutionen und Sammler nicht bedacht. Nicht nur Pierre Lotis Roman „Madame Chrysanthème“ (1887) zeigte ein schwaches, hübsches Japan in Form einer Geisha, die von einem starken Europäer erobert und verlassen werden wollte. Die Ideen des Romans gingen in der Oper „Madame Butterfly“ (1898) von Giacomo Puccini und dem Musical „Miss Saigon“ (1989) von Claude Michel Schönberg auf. Diese lange Tradition der imperialistischen Selbstbespiegelung in anderen Kulturen zeigt auch die Hokusai-Rezeption auf beeindruckende Weise.
Hokusai-Retrospektive, Martin-Gropius-Bau Berlin, noch bis zum 24. Oktober 2011, Mittwoch bis Montag 10.00 Uhr bis 20.00 Uhr, Katalog 22,00 Euro.
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