von Sarcasticus
„Gehälter sinken im Aufschwung“ titelte jüngst eine große Berliner Tageszeitung und vermeldete: Geringverdiener, so Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hatten im vergangenen Jahr zwischen 16 und 22 Prozent weniger in der Tasche als im Jahr 2000. Und während Wirtschaft und Politik die Gewinnmaximierung immer hemmungsloser zum Maßstab aller Dinge machen und zusammen mit den Folgen der Finanzkrise sowie der Kürzung der öffentlichen Ausgaben weiter auf die Realeinkommen und den Lebensstandard immer breiterer Bevölkerungsschichten drücken, werden die Reichen, deren Triebkraft bekanntlich die Gier ist – jene der sieben Todsünden, deren Befriedigung allein im Erwerb, nie im Besitz, liegt, weswegen des Raffens nie ein Ende ist – reicher und reicher.
Sozialneid? Linke Propaganda? Aber gewiss doch – allerdings auf fundierter Grundlage. Dafür gibt es schließlich den jährlichen Weltvermögensbericht der Beratungsfirma Cap Gemini und der Investmentbank Merrill Lynch, die bei den Vermögenden dieser Welt und hierzulande auch im bürgerlichen Lager wohl kaum den falschen Stallgeruch haben dürften. Dem jüngsten Bericht zufolge gibt es derzeit weltweit rund elf Millionen Menschen – davon 924.000 in Deutschland – mit einem Vermögen von jeweils mindestens einer Million Dollar. Mit für die Betreffenden höchst erfreulicher Tendenz: Das Gesamtvermögen dieser sogenannten High-Net-Worth Individual stieg im vergangenen Jahr um 9,7 Prozent auf umgerechnet 42,7 Billionen Dollar. Es gibt allerdings auch in jenen Kreisen noch Klassenunterschiede, fast wie zwischen Kaiser und Bettelmann, die den Betroffenen die Tränen in die Augen treiben: An der Spitze sonnen sich nämlich die Superreichen, zu denen man erst ab mindestens 30 Millionen angehäuften Dollars gehört. Hier werden weltweit derzeit 103.000 Individuen gezählt. Die machen zwar nur 0,9 Prozent aller Dollar-Millionäre aus, besitzen ihrerseits aber über 36 Prozent des globalen Oberschichtenvermögens. So klaffend kann Verteilungsungerechtigkeit sein! Da ist es vermutlich nicht einmal ein Trost, dass am anderen Ende der sozialen Fahnenstange, wie einschlägige Statistiken besagen, weltweit fast ein halbe Milliarde Menschen mit weniger als 0,89 Euro am Tag auskommen muss.
Deutschland übrigens belegt in der Statistik von Cap Gemini und Merrill Lynch seit Jahren einen olympisch beachtlichen dritten Platz. Nur in Japan und in den Vereinigten Staaten gibt es noch mehr Millionäre. Daraus könnten China, Russland oder Indien zwar bald einen undankbaren vierten machen, denn dort nutzen, um es in der distinguierten Sprache der FAZ zu sagen, „immer mehr Unternehmer den rasanten Wirtschaftsaufschwung und sammeln gewaltige Vermögen an“, aber noch ist es nicht soweit.
Wer kein Vermögen hat, für den sind Begriffe wie Wertverlust, Wechselkursschwankungen oder Börsencrash in etwa so exotisch wie für Kolumbus die erste Ananas, die er 1493 auf Guadeloupe entdeckte. Für Reiche hingegen gehören diese und andere finanzwirtschaftliche Homunkuli zum alltäglichen Horror ihres gestressten Lebens. Reichtum und genuiner Genuss, das nur am Rande, weil es oft übersehen wird, schließen einander daher aus. Statt dessen – ständiges Sodbrennen, um das Geraffte ja nur zu bewahren und zu mehren. Was Letzteres anbetrifft, sind Reiche im Übrigen auch nur Leute wie du und ich, also nicht besonders originell oder innovativ. Sie streuen ihren Reichtum, wie man’s in einschlägigen Ratgebern von der Stange lesen kann. Im vergangenen Jahr so: 33 Prozent in Aktien, 29 Prozent in Anleihen, 14 Prozent in bar und einen Teil in alternativen Investments, vor allem Rohstoffen. Auch das, was der Oberschicht besonders gern geneidet wird, weil es häufig auffallend gleißend ins Auge sticht, Luxusgüter, spielt eine Rolle: Etwa 22 Prozent ihrer Vermögen legen die Millionäre dieser Welt in edle Sammelobjekte wie Schmuck, Diamanten und hochkarätige Uhren an. Nicht zu vergessen Goldmünzen, Antiquitäten und hochwertige Weine. Auch Barrengold erfreut sich großer Beliebtheit. Dazu nochmals die FAZ: „Viele Reiche fürchten den aggressiven Zugriff der hoch verschuldeten Staaten und ihrer Steuerbehörden auf ihr Privatvermögen, so dass sie einen Teil ihres Vermögens in physisches Gold angelegt haben und diese Barren aus Sicherheit nicht nur in der Schweiz, sondern gar in Kanada oder Singapur lagern lassen.“ Aggressiver Zugriff des Staates? Fängt der für die Damen und Herren von der FAZ schon beim Soli-Zuschlag an, oder soll das ein Witz sein? In Deutschland haben doch diejenigen, bei denen mehr als Peanuts zu holen wäre, im Endeffekt nichts Ernsthaftes zu befürchten!
Angesichts dieser Sachverhalte hat eine Feststellung von Warren Buffett – seit Jahren in der Forbes-Liste der Reichsten dieser Erde konstant unter den ersten fünf – nichts an Aktualität verloren, obwohl sie bereits im Jahre 2005 getroffen wurde: „Es herrscht Klassenkampf, und meine Klasse gewinnt […].“ Und Buffett, was weit seltener zitiert wird, fügte hinzu: „[…], aber sie sollte es nicht.“
Dieser Meinung war bereits der Dichter des Vormärz, Georg Büchner, der deshalb 1834 im Hessischen Landboten zur Revolte aufrief – unter dem Motto „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Und ein paar Jahre später plädierten zwei deutsche Intellektuelle für die kommunistische Revolution – für sie „das radikalste Brechen mit den überlieferten Eigentumsverhältnissen“. Trotz zwischenzeitlicher historischer Experimente mit Hekatomben von Opfern lässt allerdings die Expropriation der Expropriateure noch immer auf sich warten. Jetzt, am Beginn des 21. Jahrhunderts, glauben hierzulande selbst die Linken mehrheitlich, dass eine Besserung der Verhältnisse nur auf demokratischem Wege zu erreichen sei. Der empirische Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme steht noch aus. Da aber auch der längste Weg bekanntlich mit dem ersten Schritt beginnt: Wie wäre es zunächst einmal mit einem Reichen-Kataster? 924.000 Millionäre gibt es in Deutschland. Die Ackermänner und andere Unsympathieträger sind bekannt, und der Rest sollte mittels Internet, Google, Facebook und einiger sozial denkender Hacker, die mal bei Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern – auch in Lichtenstein und in der Schweiz – nachschauen, in einem historisch eher kurzen Zeitraum zusammenzutragen sein. Damit das Volk, wenn es denn demokratisch entschieden haben wird, nunmehr die Schere zwischen arm und reich zu schließen, weiß, wo es zuvorderst klingeln muss.
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