von Erhard Crome
Ist ein Brandtstifter ein Aufständischer? Was eigentlich ist ein Aufstand? Und was ist Widerstand gegen herrschende Verhältnisse, im Unterschied zu kriminellen Aktionen? Zur Vergewisserung im politischen Raum ist es nötig, sich damit wieder auseinanderzusetzen.
Das nächtliche Abfackeln von Autos in Berlin gilt offenbar Etlichen als spannende Freizeitbeschäftigung. Die von der Boulevard-Presse immer wieder lancierte Behauptung, dies habe etwas mit „linksextremer Szene“ zu tun, ist nicht belegt und hat wohl mehr mit Wahlkampf als mit Berliner Wirklichkeit zu tun. Bekennerschreiben liegen offenbar nicht vor. Anfangs schien es, besonders würden Nobelkarossen bevorzugt, daher sei es eine Art Sozialrache oder „Klassenkampf“, den Reichen das Auto abzubrennen. Nun werden ohne Skrupel auch Mittelklassewagen von Kleinsparern abgebrannt. Mit oben und unten hat das dann wohl doch nichts zu tun. Wahrscheinlich brennt ein Mercedes nur länger als ein kleiner Volkswagen. Eben wurde ein Brandstifter gefasst, der in verschiedenen Häusern Kinderwagen und Rollatoren angesteckt hatte. Das Gesicht war im Fernsehbericht unkenntlich gemacht, aber es war doch offensichtlich eine jämmerliche Gestalt. Von ernstzunehmenden Motiven wurde nichts bekannt. (Hier meine ich nicht solche des Psychiaters, wenn es um verminderte Schuldfähigkeit geht.) Ist zu erwarten, dass die Autoabfackler weniger jämmerlich aussehen?
Tote sind bei diesen Vorgängen in Berlin bisher nicht zu beklagen, wohl aber in Großbritannien. Einen erster Toter gab es in London, der von Randalierern erschossen wurde; drei Männer kamen in Birmingham ums Leben, nachdem Jugendliche mit einem Auto absichtlich in eine Gruppe von Menschen gerast waren, die Läden vor Plünderungen schützen wollten. Es wurden ganze Häuserzeilen niedergebrannt, sich Straßenschlachten mit der Polizei geliefert und Läden geplündert – in den Fernsehberichten waren immer wieder Bilder von Vermummten zu sehen, die Fernsehgeräte, Flachbildschirme oder Computer fortschleppten.
Die Auseinandersetzung um die Deutung der Vorgänge hält an und hat Konsequenzen. Die spanische Tageszeitung El Periódico de Catalunya schrieb gleich nach Ausbruch der Krawalle: „Die Unruhen lassen sich eher vor dem Hintergrund der von mehreren Aktivisten im Internet gestellten sozialpolitischen Forderungen verstehen, denn als Folge des traurigen Todes eines jungen Mannes im Stadtteil von Tottenham […] Die Kürzungen im Staatshaushalt haben schwerwiegende Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und das multikulturelle Zusammenleben funktioniert nur, solange die soziale Ungleichheit keine skandalösen Ausmaße erreicht.“ Der britische The Independent betonte in ähnlichem Sinne: „Diese Jugendlichen leben im Herzen wohlhabender britischer Städte, aber sie fühlen sich nicht als Teil der dortigen Gesellschaft […] Die Ministerien für Bildung, Wohlfahrt, Gesundheit und Wohnen haben im Umgang mit diesen Gruppen versagt. Viel zu wenig ist von aufeinanderfolgenden Politikergenerationen und Beamten getan worden, um diese Menschen in die Gesellschaft zu integrieren.“
Die konservative Boulevardzeitung The Sun dagegen schrieb: „Wir zahlen den Preis für eine 13 Jahre währende Feigheit der Labour-Partei, die solche Strolche verhätschelt statt bestraft hat. Die Krankheit beginnt in den Siedlungen, die abhängig von Sozialhilfe sind, und wo schwache Eltern ihre Kinder frei herumlaufen lassen… Die Rabauken haben niemals gelernt, das Gesetz zu respektieren, und sie lachen nur über die Polizei.“ In diesem Sinne setzte Premierminister Cameron denn auch auf Sondervollmachten für die Polizei, den Einsatz von Gummigeschossen und Wasserwerfern. Mit Hochdruck wird an der Verurteilung der über 1.600 Festgenommenen gearbeitet. Die Urteile sollen hart sein und abschreckend wirken. Zwei junge Männer, die über das Netzwerk Facebook zu Randale und Plünderungen aufgerufen hatten – was durch die Polizei dann allerdings weitgehend verhindert werden konnte – wurden allein für das Aufrufen zu vier Jahren Haft verurteilt.
Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den Ereignissen in Tunesien, Ägypten, Spanien, Griechenland, Israel und Großbritannien: Die durch den Neoliberalismus geschaffenen Verhältnisse werden zunehmend unerträglich, und die Hauptakteure sind junge Menschen, die unter den obwaltenden Umstände arbeitslos sind und keine Perspektive haben. Die einen jedoch sind Aufstände oder politische Aktionen, die dem Protest einen sinnvollen und zielstrebigen, politischen Ausdruck geben. Und die anderen sind kriminelle Aktivitäten, die keine Richtung und keinen gesellschaftlich gemeinten Sinn haben. Das heißt es gibt eine grundsätzliche Differenz zwischen den Aktivitäten und Akteuren, die sich als politische oder soziale Gegenkräfte zum Neoliberalismus formieren und als solche agieren, und den gewissermaßen „Fäulnisprodukten“ dieser Spätphase des Kapitalismus, die reine Destruktion sind. Für die organisierte Linke macht die Wahrnehmung und Berücksichtigung dieser Differenz jedoch einen Unterschied, der bedeutsam ist.
Schlagwörter: Aufstand, Berlin, Erhard Crome, Krawalle, London, Neoliberalismus, soziale Ungleichheit