von Kai Agthe
„Komm! Ins Offene, Freund!“, so ruft das lyrische Ich am Anfang von Friedrich Hölderlins Gedicht „Gang aufs Land“. Es sollte aber noch Jahrzehnte dauern, bis die bildenden Künstler in Deutschland im Allgemeinen und die in Weimar im Speziellen dieser Einladung folgten. An der 1860 gegründeten Weimarer Kunstschule wandte man sich unter ihrem ersten Direktor Stanislaus Graf von Kalkreuth von der traditionellen Historien- und Genremalerei ab und der Landschaftsmalerei zu. Mit der Berufung von Theodor Hagen 1871 etablierte sich die neue Kunstrichtung endgültig an der Weimarer Kunstanstalt. Das Vorbild für diesen Schritt ins Freie war die „Schule von Barbizon“, eine lose Gruppe französischer Maler, die ab 1830 die Freilichtmalerei begründete und damit auch dem Impressionismus den Weg bereitete. Mit ihr wurden Motive von Wald und Wiese, Feld und Landarbeit darstellungs-, also kunstwürdig.
Das Kunsthaus Apolda Avantgarde zeigt bis zum 21. August eine Ausstellung mit jenen Werken der Weimarer Malerschule, deren Motive vor allem im Weimarer Land zu finden sind. Während eine ähnliche Schau im letzten Jahr in Weimar in großen Zügen die Einflüsse der französischen und niederländischen Kunst auf die Weimarer Malerschule nachzeichnete, zeigt man in Apolda eine große Auswahl von Arbeiten einer kleinen Gruppe von Lehrern wie Theodor Hagen, Leopold Graf von Kalkreuth und Albert Heinrich Brendel sowie zahlreichen, meist unbekannt gebliebenen Schülern der Kunsteinrichtung wie etwa Hans Bauer, Paul Baum, Karl Buchholz und Max Merker. In Wort und Bild wolle man, so die Kuratorin Nadine Steinacker, vor allem das „interne Beziehungsgeflecht“ der Weimarer Malerschule aufzeigen.
Theodor Hagen ist einer der wenigen Akteure der Weimarer Malerschule, der bei seinen Gemälden – so etwa „Waldlichtung bei Blankenhain“ (um 1890) oder „An der Ilm bei Bad Berka“ (um 1895) – große Abmessungen liebte. Allein schon wegen ihrer Ausmaße stehen sie auch gestalterisch im Zentrum der Ausstellung. Eine der markantesten Arbeiten Theodor Hagens ist an der Stirnseite gegenüber dem Eingang zu finden: Das um 1905 entstandene Ölgemälde „An der Ilm in Bad Berka“, das den Flusslauf im Bereich des Städtchens zeigt.
Als einer der wichtigsten Vertreter der Weimarer Malerschule gilt in der Kunstgeschichte Christian Rohlfs (1849-1938). Ein Künstler, der sich – vor allem wegen seines pastosen, also kühnen Farbauftrags – in seinen Bildern am deutlichsten dem Impressionismus französischer Prägung annäherte. Exemplarisch zu studieren auf den Gemälden „Mühle an der Ilm“ (1888), „Bauernhof mit Freitreppe“ und „Gedeckte Brücke in Buchfart bei Weimar“ (beide 1889).
Die Exponate wurden vom Lindenau-Museum Altenburg, vom Museum der bildenden Künste Leipzig und auch von privaten Besitzern zur Verfügung gestellt. Der weitaus größte Teil der Leihgaben jedoch stammt aus den Beständen der Klassik-Stiftung Weimar. Mit „Der blaue Berg“ (1905) ist auch ein im pointilistischen Duktus gehaltenes Gemälde von Carl Lambrecht zu sehen, das sonst im Dienstzimmer von Hellmut Seemann, dem Präsidenten der Klassik-Stiftung, seinen Platz hat. Ebenso vom Hauch des französischen Pointilismus berührt ist das nicht minder ansprechende Ölgemälde „Windmühle bei Bechstedtstraß“ von Otto Braune.
Besonderes Augenmerk gilt Paul Wilhelm Tübbecke. Von dem 1848 Berlin geborenen und 1924 in Weimar gestorbenen Künstler, der zwischen 1874 und 1878 Schüler Theodor Hagens in Weimar war, werden zahlreiche Studien und Skizzen ausgestellt, die zeigen, wie er sich mühsam und geduldig seine ländlichen Motive erarbeitete, die er dann in Gemälden ausführte.
Bei aller Naturverbundenheit erinnert das Gemälde „Sägewerk Rothe in Kranichfeld“ (1910) von Max Martini, über den man im biographischen Anhang des Katalogs leider nichts erfährt, daran, dass die Zeit um 1900 eine Phase der Industrialisierung war: Denn hier raucht ein Schlot und kündet damit von dem, was die Weimarer aussparten: den technischen Fortschritt.
Den Bogen zur Weimarer Malerschule schlägt die Kabinettausstellung mit Landschaften des 1963 in Nancy geborenen und heute in Berlin lebenden Künstlers Nicolas Poignon. Dessen Kohlezeichnungen sind bemerkenswert, weil sie weniger Landschaften als Ahnungen von Landschaften fixieren. Eine Interpretin erkannte hier gar „verschattete Seelenlandschaften“.
Die nächste große Ausstellung ist in Apolda bereits in Vorbereitung: Vom 11. September bis 18. Dezember 2011 wird im Kunsthaus unter dem Titel „Reiselust und Sinnesfreude“ eine Schau mit Werken von Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt zu erleben sein.
„Die Weimarer Malerschule und das Weimarer Land“, bis 21. August 2011 im Kunsthaus Apolda, Bahnhofstraße 42, Dienstag – Sonntag: 10 – 18 Uhr; Infos unter: 03644-515364 und www.kunsthausapolda.de
Der Katalog kostet 15 Euro, ein Kalender für 2012, der im Kunsthausshop erhältlich ist, 12,90 Euro.
Schlagwörter: Ausstellung, Kai Agthe, Kunsthaus Apolda Avantgarde, Weimarer Malerschule