von Jörn Schütrumpf
Als ihm für seine Erinnerungen (Drinnen und Draußen. Ein Historiker in der DDR, erschienen 2000) der Gestalter des S. Fischer Verlages ein Foto der Mauer als Titelblatt vorschlug, war er entsetzt. Fritz Klein hatte sich – anders als einige seiner Kollegen – nach dem Untergang der DDR keine neue Biografie zugelegt.
Trotz seiner Jugend (Jg. 1924) gehörte Klein nach 1945 zu jenen, die das intellektuelle Leben in Gang brachten, schon als Student schrieb der Kriegsteilnehmer für die Weltbühne und baute mit am Kulturbund. 1952 promovierte er über die frühen deutsch-sowjetischen Beziehungen, ein Jahr später wurde er zum Gründungschefredakteur der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft.
Doch ab 1957 gehörte er „nicht mehr richtig dazu“, war drinnen und draußen. Denn nach dem kurzen Tauwetter, das nach dem 20. Parteitag der KPdSU die SED-Führung zunächst nicht hatte verhindern können, war mit den selbstbewussten sozialistischen Intellektuellen abgerechnet worden – mit Fritz Behrens, Ernst Bloch, Wolfgang Harich, Gunther Kohlmey, Herbert Sandberg, Gerhard Zwerenz und anderen. Ein Hieb hatte auch Klein getroffen.
Politisch kam Fritz Klein von der Gegenseite: Sein früh verstorbener Vater war als Chefredakteur der nationalkonservativen Deutschen Allgemeinen Zeitung alles andere als links und trotzdem von den Nazis davongejagt worden. Aufgewachsen ist Fritz Klein in der Familie des sozialdemokratischen Bildungsreformers Heinrich Deiters, dort erfuhr er wesentliche Prägungen.
Fritz Klein hätte seine wissenschaftliche Laufbahn so ziemlich überall in der Welt fortsetzen können, blieb aber in der DDR und fand mit dem Zivilisationsbruch der Jahre zwischen 1914 und 1918 sein großes Thema. Die von ihm herausgegebene dreibändige Arbeit „Deutschland im Ersten Weltkrieg“ (1968/69) gilt nicht nur bis heute als Standardwerk, sie wurde 2004 noch einmal aufgelegt, und so etwas widerfährt einem Historiker höchst selten.
Obwohl er ein gewähltes Hochdeutsch sprach, war unüberhörbar, wo seine Wiege gestanden hatte: in Berlin. Uns Jungen gegenüber war er stets offen und bewahrte uns vor mancher Unüberlegtheit – in der DDR alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
International war Klein ein gefragter Partner, zu Hause wurde er schief beäugt. Doch als an der Akademie der Wissenschaften der Zweig „Allgemeine Geschichte“ aufgebaut werden sollte, gab es zu ihm keine Alternative. Der Forscher und Wissenschaftsorganisator war schnell erfolgreich: 1986 wurde dieser Forschungsrichtung ein eigenes Institut zuteil – und Klein nicht ihr Direktor. Erst 1990 durften die Mitarbeiter ihre Chefs frei wählen, sie entschieden sich für den 65-Jährigen.
Nicht wenige ehemalige Weltbühnen-Autoren reagierten ablehnend, als wir sie zur Mitarbeit am Blättchen einluden. Anders Fritz Klein, er war von Anfang an dabei, bot Themen an, hatte immer Ideen, legte seinen Texten immer kleine, sorgfältig verfasste Briefchen, manchmal auch lange Briefe bei (die ich aufbewahrt habe) – alles an diesem Mann atmete Kultur.
Das letzte Mal saßen wir 2005 auf einer Bühne zusammen – anlässlich des 100. Jahrestags des ersten Heftes der Schaubühne – es war ein großer Moment, den 81-Jährigen noch einmal brillieren sehen zu dürfen.
Mit Fritz Klein, der am 26. Mai 2011 den Folgen eines Unfalls erlag, ist nicht unbedingt ein weiteres Stück DDR-Geschichte gestorben, eher ein Stück deutsche Geschichte – und zwar eines ihrer besten.
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