von Erhard Crome
Die Brookings Institution ist eine in Washington beheimatete Denkfabrik, die bereits im Jahre 1916 gegründet wurde. Heute spielen solche Einrichtungen eine größere Rolle denn je. In den USA wurde es Usus, dass sich Medien seltener an universitäre Akademiker oder Regierungsvertreter wenden, wenn sie Materialien für Untersuchungen oder Kommentare suchen, sondern an Sachverständige der Thinktanks. Deren rührige Öffentlichkeitsarbeiter erleichtern dies, indem sie Texte von Mitarbeitern gleich als fertige Kommentare oder Positionspapiere an Medienvertreter, Abgeordnete und Ministerialbeamte verschicken, Workshops, Arbeitsessen oder sogenannte Briefings veranstalten und die Spezialisten des Hauses ermuntern, Kommentare für Zeitungen zu schreiben oder für das Fernsehen zur Verfügung zu stellen. Der öffentliche Raum wurde in einen Markt verwandelt, auf dem das Meinungsklima beeinflusst werden soll.
Die Brookings Institution beschreibt sich selbst als „unabhängige Organisation für Forschung, Bildung und Publikation mit Fokus auf öffentliche Politik in den Bereichen Wirtschaft, Außenpolitik und Staatsführung“. Die Professoren John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt rechnen in ihrem Buch: „Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird“ (2007) Brookings allerdings zu den zentralen Vordenker-Einrichtungen der pro-israelischen Lobby in den USA. Themen zur Nahost-Problematik werden dort seit 2002 im „Saban Center for Middle East Policy“ bearbeitet. Dieses Brookings angeschlossene Zentrum geht auf eine Spende in Höhe von 13 Millionen Dollar des Milliardärs und Medien-Moguls Haim Saban zurück, der die israelische und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Mearsheimer und Walt bezeichnen ihn als „leidenschaftlichen Zionisten“ und zitieren die New York Times, die ihn als den „Hollywood-Magnaten mit den vielleicht stärksten politischen Verbindungen“ beschrieb, „der in Washington und vermehrt auch auf der ganzen Welt sein Geld und seine Macht spielen lässt und danach trachtet, alles zu beeinflussen, was mit Israel zu tun hat“. Er gilt als mit dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton befreundet, und es heißt, Saban sei einer der größten Einzelspender für die Demokratische Partei, die mit Barack Obama bekanntlich den derzeitigen Präsidenten der USA stellt.
Zur Brookings Institution gehört seit 1978 auch Amitai Etzioni. Im Jahre 1929 in Deutschland geboren, flohen seine Eltern 1936 mit ihm nach Palästina. Dort kämpfte er nach 1946 gegen die britische Mandatsherrschaft und für den Staat Israel, studierte dann in den USA Soziologie und wurde schließlich Professor an der George Washington Universität. Er galt gemeinhin als eher Linker (im Spektrum der USA), schon weil er entschiedener Gegner des Vietnamkrieges war. Wissenschaftlich ist er einer der Theoretiker des „Kommunitarismus“, der die Gesellschaft als Ergebnis der Selbstorganisation von unten denkt, liberale Vorstellungen von Gesellschaftsvertrag und individueller Vernunft ablehnt und betont, dass nur der in eine sprachlich, ethnisch, kulturell oder religiös bestimmte Gemeinschaft mit gemeinsam geteilten Wert- und Moralvorstellungen eingebettete Mensch in der Lage ist, Gerechtigkeit zu üben.
Von Amitai Etzioni erschien jüngst ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4. Juli 2011). Nicht zum Kommunitarismus oder einer anderen Frage soziologischer oder politischer Theorie, sondern zum Nahen und Mittleren Osten. Die Pointe ist ein Plädoyer für einen Angriffskrieg gegen den Iran, als „Antwort“ auf die Umbrüche in der arabischen Welt. Es beginnt mit einem Paukenschlag: „Die Hinweise mehren sich, dass Iran in naher Zukunft über Atomwaffen verfügen wird.“ Nun weiß man ja nicht, welche Geheimdienstinformationen der Brookings Institution oder dem Saban Center vorliegen; in den der normalen außenpolitischen beziehungsweise politikwissenschaftlichen Analyse zugänglichen Quellen gibt es keine neuen Befunde in Bezug auf das iranische Atomprogramm, nur die seit der Zeit el Baradeis als Direktor der Internationalen Atomenergieorganisation gegensätzliche Interpretation der selben Fakten, dass der Iran entweder nur an einem friedlichen Programm der Kernenergienutzung arbeitet oder aber zugleich an der Atombombe basteln würde. Die Setzung, der Iran werde bald über Atomwaffen verfügen, ist jedoch die Voraussetzung des ganzen Textes von Etzoni.
Dann folgt eine Argumentation in mehreren Schritten. Zuerst zieht Etzioni die verbreitete Annahme in Zweifel, Staaten, die über atomare Waffen verfügen, würden notwendig rational handeln. Das macht er nicht, indem er den Befunden der Historiker über den kalten Krieg oder denen der Analytiker der heutigen Nuklearpolitiken neue Fakten oder Analysen entgegenstellt, sondern durch eine formal-logische Operation: es gäbe nicht nur „rationale“ oder „irrationale“ Entscheidungen, sondern auch „nichtrationale“. Solche würden zum Beispiel getroffen, wenn ein Entscheider unter der Voraussetzung handele, dass Gott von ihm verlange, in einer bestimmten Weise zu handeln. Von hier ist es nicht weit zum zweiten Schritt: „ein fanatischer religiöser Führer Irans“ könne überzeugt sein, den göttlichen Auftrag zu haben, Tel Aviv auszulöschen. Die Rationalität sei dann nur noch, ob er dazu Raketen benutzt und zu welcher Jahreszeit dies geschehen solle.
In einem dritten Schritt bezieht sich Etzioni auf den Atomwaffensperrvertrag. Dieser verkörpere ein Tabu, das durch Nordkorea und Iran gebrochen werde. Wenn denen das ungestraft durchgehe, würden es immer mehr Länder tun – auch dies eine völlig beweisfreie Argumentation. Im vierten Schritt behauptet er, wenn Iran an der Entwicklung von Atomwaffen gehindert würde, müsste auch Nordkorea einlenken und das Regime der Weiterverbreitung sei zu retten. Abgesehen davon, dass niemand weiß, ob sich die Führung in Pjöngjang überhaupt dafür interessiert, was der Iran tut, ignoriert Etzioni hier völlig die Hauptkritik an der bisherigen Praxis des Atomwaffensperrvertrages, dass nämlich die Atommächte, allen voran die USA, keinen ernsthaften Schritt zu einem substanziellen Abbau ihrer nuklearen Potenziale getan haben, und deshalb andere Staaten zweifeln, ob sie nicht auch über solche Waffen verfügen sollten. Der fünfte Schritt ist: Wenn durch Iran im Nahen und Mittleren Osten das Tabu verletzt werde, würde es auch anderenorts geschehen; genannt werden Japan, Südkorea, Brasilien und Argentinien. Der sechste ist dann die Behauptung, wenn der Iran über Kernwaffen verfüge, werde das Prinzip der Abschreckung nicht mehr greifen und die Wahrscheinlichkeit, dass es zu atomaren Konflikten kommt, werde weltweit zunehmen. Siebentens schließlich – wieder ein völlig beweisfreies Argument – könnten der Iran oder einzelne seiner Institutionen, etwa die Revolutionsgarde, oder andere „Schurkenstaaten“ (das skandalöse Bush-Wort steht tatsächlich da) Terroristen Atomwaffen überlassen.
Und was wird nun vorgeschlagen? Das Terror-Bomben (nach dem Muster Jugoslawien oder Libyen): Die USA sollten das Land bombardieren, nicht nur die Nuklearanlagen, wie immer diskutiert werde, sondern alle erreichbaren militärischen Anlagen, dann Brücken und Eisenbahnanlagen, schließlich alle zivilen Einrichtungen, bis der Iran aufgebe. Wenn die USA Angst vor einer iranischen „Vergeltung“ verspürten, hätten sie „den Anspruch aufgegeben …, eine Supermacht zu sein“ und sollten „sich auch nicht mehr als internationale Ordnungsmacht begreifen“. Ist das nun eine Drohung an Obama oder die Mitteilung an die deutschen Leser, dass es so kommen werde?
Am Ende kommt ein Bezug auf die Aufstände in den arabischen Ländern. Der ist besonders aufschlussreich: Es werde „Jahre dauern, bis klar ist, ob die Unruhen in vielen arabischen Staaten zu fortgesetzten Aufständen, zu einem islamischen Fundamentalismus, zu einer Demokratisierung oder zu anderen Ergebnissen führen werden.“ Logisch ist bereits hier bemerkenswert, dass die Demokratie – die der Westen angeblich sehnlichst auch für die arabischen Länder herbeiwünscht – nur als eine von vier Möglichkeiten erscheint, alles andere sind Bedrohungsszenarien. Und ob nicht eigentlich eine arabische Demokratie, die auf einen Ausbruch aus der jahrhundertelangen Vorherrschaft des Westens zielt, als die eigentliche, hier aber nicht explizit genannte Gefahr gesehen wird, ist hier nicht diskutiert. Es zeichneten sich jedoch, so weiter im Text, schon jetzt zwei Entwicklungen ab: „Erstens werden die neuen Regime den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten höchstwahrscheinlich weniger freundlich gesinnt sein als die alten Autokraten.“ Mit anderen Worten: Auch Israel werde größere Probleme in der Region haben. Mit den alten Despoten war es eben doch besser für den Westen. „Und zweitens werden die neuen Regime einer Einmischung Irans stärker zugänglich sein.“ Wiederum kein Beleg, nur eine Behauptung. Die Pointe aber ist klar. Der Iran solle mittels Krieg als Machtfaktor in der Region zerstört werden. Dann werde „der Regimewechsel im Nahen und Mittleren Osten potenziell weniger gefährlich für den Westen sein“. Mit anderen Worten: Aus westlicher Sicht wird der Umbruch in den arabischen Ländern entgegen allen gegenteiligen Beteuerungen eben doch als Bedrohung wahrgenommen, und damit die beherrschbar bleibt, soll der Iran vernichtet werden; fortbestehender Iran und arabische Umwälzung sind zu viel für die Machtpositionen des Westens.
Kenner des Schrifttums wunderten sich, weshalb der Soziologe und Kommunitarist Amitai Etzioni diesen Artikel geschrieben hat. Aber vielleicht wurde der ja in dem Saban Center verfertigt, und die PR-Abteilung von Brookings hat ihn nur weitergereicht. Ein unbekannter Name, oder der eines der üblichen Verdächtigen des US-amerikanischen publizistischen Bellizismus wäre vielleicht nicht nachhaltig gewesen, wenn man den deutschen Leser erreichen will. Dann eben Etzioni, seit 33 Jahren bei Brookings auf der Liste. Und Haim Saban, der 2003 die Kirch-Medien gekauft und 2006 mit 1,7 Milliarden Euro Gewinn verkauft hatte, ließ nun auch in Deutschland „sein Geld und seine Macht spielen“ und bei der FAZ diesen Text deponieren.
Der Krieg gegen Iran ist in Washington wieder auf die Agenda gesetzt. Und die Deutschen sollen nicht wieder aus der Reihe tanzen, wie im Falle Libyen. Da muss man schon mal vorab „die Hirne waschen“.
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