von Wolfgang Brauer
Auf der Göpelskuppe bei Eisenach, gegenüber der Wartburg, steht das Burschenschaftsdenkmal. Traditionell findet an diesem Orte – wegen des Wartburgfestes 1817 – der alljährlich zelebrierte Burschentag der Deutschen Burschenschaft einen seiner makabren Höhepunkte: ein Totengedenken. Seit 2011 ist dieses wieder an der „Zentralen Gedenkstätte der Deutschen Burschenschaft“ für die „deutschen (sic!) Opfer des Ersten und Zweiten Weltkrieges“ möglich. Genauer gesagt handelt es sich um einen restaurierten Langemarck-Gedenkstein aus dem Jahre 1933. Einige Burschen hätten den weihevollen Akt seiner Wiedereinweihung sicher gern am 20. April vorgenommen, die Schnittmengen der Deutschen Burschenschaft mit der NPD und anderen rechtsextremen Gruppen sind ein offenes Geheimnis – aber „Führers Geburtstag“ fiel heuer auf einen Mittwoch, so wich man auf den 16. April aus. Die Festrede hielt ein ehemaliger CSU-Ministerialdirigent des Deutschen Bundestages namens Hans Merkel (Mitglied der Münchener Burschenschaft Arminia-Rhenania). Merkel lobte den „Kampfesmut“ der deutschen Soldaten für das Vaterland im letzten Weltkrieg: „Denn auch in diesem Krieg haben unsere Soldaten nicht für Exzesse des nationalsozialistischen Regimes, nicht für das KZ-System und nicht für den Mord an Juden gekämpft! Sondern für Deutschland, ihre Heimat, ihr Vaterland, das sie liebten und das sie nach dem Bild, das sie sich machen konnten, für beneidet und für bedroht durch Feinde hielten, die sich anschickten, es zu vernichten.“ Überhaupt die Vernichtung. Merkel konstatierte, dass die perfiden „Vernichtungspläne“ der „großen Drei“ (also Churchill, Stalin und Roosevelt) gegenüber dem deutschen Volke nach dem Kriege nicht aufgingen, aber das deutsche Volk – obzwar in Freiheit – noch immer geteilt sei: Er träumt, wie viele andere Burschenschaftler, großdeutsche Träume. Und man träumt von deutschem Blute in deutschem Stamme. Manche Teutonen verwechseln aber gelegentlich den geschlossenen Kommers mit der nichtsatisfaktionsfähigen Öffentlichkeit. Das verleitet die Deutsche Burschenschaft (DB), den stark rechtsorientierten Dachverband von zirka 123 Mitgliedsbünden, mitnichten zu Kurskorrekturen. Man ist lediglich bemüht, das eigene Bild nicht gar zu sehr ramponieren zu lassen.
So fiel der Verein kürzlich dadurch auf, dass eine seiner Mitgliedsverbindungen, die „Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks“ (eine 1817 gegründete „schlagende“ Verbindung – das sind die, die sich gegenseitig mit dem Säbel die tiefen Schrammen ins Gesicht schlitzen), in einem Antrag an den diesjährigen Burschentag den Ausschluss der Mannheimer Burschenschaft Hansea aus der DB forderte. Die ist nicht ganz so alt, 1909 gegründet, aber sie ist auch „schlagend“. Ausschlussgrund für die „Raczeks“ ist die Mitgliedschaft eines gewissen Kai Ming Au bei den Mannheimer Kommilitonen. Das ist auch ein rechter Bursche, aber er sieht ziemlich undeutsch aus, nämlich eher wie ein Chinese. Ming Aus Eltern sind Chinesen. Eine „nichteuropäische Gesichts- und Körpermorphologie“ weise aber, so der Antrag, auf die Zugehörigkeit zu einer „außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung“ hin. Für – im doppelten Sinne – rechte Deutsche ist dies natürlich nicht tolerierbar.
Dass dies keine aus starkbierumnebelten Hirnen herausgedünstete Einzelmeinung ist, zeigt ein am 12. Februar 2011 im Nachrichtenblatt der DB veröffentlichtes Gutachten des Rechtsausschusses der Vereinigung über die Kriterien einer Burschenschaftsmitgliedschaft. „Maßgeblich“ sei die Abstammung. Wer außereuropäische Vorfahren habe, der könne kein Angehöriger des deutschen Volkes sein, weil sich dieses eben auch als „Abstammungsgemeinschaft“ definiere. Mitautor dieses rassistischen Machwerkes ist der schon genannte Hans Merkel. Um künftig Zweifel an der Volkszughörigkeit auszuräumen, schlugen die Autoren die Aufnahme verpflichtender Überprüfungen durch ebendiesen Rechtsausschuss in die Satzung („Verfassung“) der DB vor. Das sickerte in die Öffentlichkeit und rief einen Sturm des Entsetzens hervor. Selbst konservative Burschenschaftler, so Spiegel-online, sprachen von der „Einführung eines Ariernachweises“.
Der DB-Vorstand bemühte sich nun im Vorfeld des Eisenacher Treffens um Schadensbegrenzung: Die „Raczeks“ aus Bonn wurden zurückgepfiffen. Auch die Rechtsausschussempfehlung wurde abgemildert: „Diese Definition sei jetzt korrigiert worden … Es gelte nun das Bekenntnis zur deutschen Kultur, die Staatsangehörigkeit und die Abstammung.“ So berichtete jedenfalls das Hamburger Abendblatt. An der ideologischen Verortung der Herren – die Mitgliedsvereine der DB sind rabiat frauenfeindliche Männerbünde; es gibt nur einige wenige „gemischte“ Burschenschaften – ändert das nichts. Das „Abstammungskriterium“ bleibt, nur netter verpackt.
Nun könnte man das Ganze als tumben Spuk ewig-gestriger Trunkenbolde abtun. Das ist es nicht: „Unsere Mitglieder (Alte Herren) nehmen im Leben hervorragende Positionen in den unterschiedlichsten Berufen ein. Von Archäologen, Ärzten, Betriebswirten, Consultants, Direktoren, Elektrotechnikern, Journalisten über Patentanwälte, Physiker, Politiker, Prokuristen, Rechtsanwälten, Richtern bis hin zu Unternehmern, Volkswirten, Wissenschaftlern und Zahnmedizinern – in unserer Burschenschaft sind die Persönlichkeiten, die Dir in Studium, Praktikum und Beruf weiterhelfen können … In unserem Dachverband, der Deutschen Burschenschaft, sind zudem mehr als 15.000 Mitglieder organisiert – 21,5% der akademischen Führungskräfte in Deutschland sind Mitglieder einer Studentenverbindung!“ So wirbt die Berliner Burschenschaft Gothia (1877 gegründet, DB-Mitglied, natürlich auch „schlagend“) um neue Mitglieder. 15.000 ist etwas übertrieben. Die gute Vernetzung der „Alten Herren“ nicht – selbst die SPD wagt es nicht, eine offene Frontstellung zu den rechten Burschen zu beziehen. Im November 2005 votierte deren Bundesparteitag für die Unvereinbarkeit von Burschenschafts- und SPD-Mitgliedschaft. Im Januar 2006 kassierte der Bundesvorstand unter Matthias Platzeck diesen Beschluss: Neben Platzeck stimmten unter anderem Kurt Beck, Sigmar Gabriel und Hubertus Heil gegen die Parteitagsmehrheit. Der erwähnte CSU-Burschenschaftler Merkel war übrigens Büroleiter eines Bundestagspräsidenten und wurde nach der „Wende“ erster Direktor des sächsischen Landtags. Nicht nur sächsische NPD-Spitzenfunktionäre verfügen über gute Verbindungen zur DB, sind aktive Mitglieder diverser Verbindungen.
Am 6. Mai 2011 polemisierte Jörg Schönbohm in den Burschenschaftlichen Blättern, der Mitgliederzeitung der DB, „wider die Reflexionselite“ mit den markigen Worten „Burschenschaftler, lasst Euch nicht stigmatisieren!“ Der Aufforderung kam man nach. Am Abschlussabend des Eisenacher Treffens sang man unter Fackeln und Fahnen auf der Göpelskuppe das Deutschlandlied. Alle Strophen.
Da wurzelt ein breit ausgefächertes Mycel im Humusboden der deutschen – und, nicht zu vergessen, auch in der österreichischen! – Gesellschaft. Das ist durchaus in der Lage, jederzeit seine giftigen Früchte austreiben. Fußballvereine können vom DFB übrigens für rechtslastige Fanklubs haftbar gemacht werden. Für deutsche Universitäten scheint dies nicht zu gelten. Magnifizenz waren schließlich selbst einmal, oder?
Schlagwörter: Deutsche Burschenschaften, Rassismus, Rechtsextremismus, Wolfgang Brauer