14. Jahrgang | Nummer 12 | 13. Juni 2011

Mein Zimmer gehört mir

von Henryk Goldberg

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der seinen schweren Weg unbeirrt zu Ende ging. Dieser Weg beginnt an einem geöffneten Fenster unterm Dach. Dort pflege ich gelegentlich zu rauchen, und, versonnen in den Himmel träumend, dies & das zu bedenken, das Leben und alles so Sachen. Sonst geschieht nichts in diesem Zimmer, sonst sind da nur Bücher.
Dann summte es. Es handelte sich nicht um das Summen meiner poetischer Gedanken, die durch das Fenster in den Himmel flogen, es handelte sich um Wespen. Vier, fünf, sechs. Die flogen durch das Fenster, was ich nicht sonderlich schätzte. Also habe ich ihnen, unter Verwendung großflächiger Zeitungsseiten, signalisiert, sie seien hier nicht willkommen. Sie begriffen es nicht. Nach einigen Tagen konzentrierter Beobachtung entstand vielmehr der irritierende Eindruck, sie kämen immer wieder und sie kämen nicht von draußen. Nicht von draußen? Dann müssten ja hier, hier, in diesem Zimmer, noch ein paar mehr sein.
Es waren ein paar Hundert. Sie bewohnten das Bücherregal, die Ecke an der Wand, es war das Regal mit den alten Kinderbüchern. Sie hausten da nicht einfach so, das sind schließlich, wie man so sagt, keine Hottentotten, sie besiedelten den Don Quijote sowie einige alte Mosaiks, sie hatten darauf ihr Nest errichtet. Kant lag da nicht, doch während ich aus dem Fenster blickte und dem gestirnten Himmel über mir den Respekt erwies, hörte ich mich hinein, ob das moralische Gesetz in mir die Bekämpfung eines Wespennestes in meiner Wohnung erlaubte. Ja, hörte ich, es erlaubt. Und schritt zur tapferen Tat sowie zur schützenden Einkleidung. Denn ein Mann ist nicht nur entschlossen und kaltblütig, er ist auch klug und vorsichtig.
Die Winterausrüstung des Radsportlers: 1 lange Hose, 1 Paar Winterhandschuhe, 1 Paar Winterschuhe, 1 Winterjacke, 1 Gesichtsvollmaske, 1 Helm mit Unterziehkappe sowie 1 Schwimmbrille, die sonst nur am Toten Meer zum Einsatz gelangt. Schwerfällig stapfte ich zum Giftschrank, die Qualität der Offensivausrüstung bewegte sich nicht ganz auf diesem Qualitätsniveau. Ein allgemeines Insektenspray, aus ökologischen Gründen ohne Treibgas. Öko ist schon wichtig, aber manchmal ist Öko einfach blöd. Wenn ein Mann gegen eine Übermacht antritt, dann schießt er Dauerfeuer, aber diese blöde Ökopumpe von diesem Weicheierspray gibt das nicht her.
Waffen hin oder her, ein Kampf ist ein Kampf und irgendjemand muss es schließlich tun. Es ist nicht der Angstschweiß, es ist die Winterkleidung die mir, wieder oben, die Haut feuchtet. Vorsichtig öffne ich dir Tür und betrete den Kampfplatz. Vier, fünf, sechs Wespen. Ich beschleiche das Versteck des Gegners, die Ecke vom Bücherregal, konzentriere mich und eröffne das Einzelfeuer, pumpe Stoß um Stoß auf das feindliche Lager. Es summt heftig, es fliegt auf, es schlägt zurück. Vier-, fünf-, sechshundert Wespen. In meiner Jugend, als Fairness noch ein deutsches Wort war, da galten schon drei auf einen als feige. Jetzt gilt es, alles oder nichts. Ich nehme den Don Quijote, die Mosaiks, das Nest obendrauf, um die feindliche Burg aus meinem Schloss zu werfen. Leider fällt die Burg vom Ritter und nur die Digedags fliegen aufs Pflaster. Und das Zimmer summt. Anschwellende Verletzungen, Rückzug. Und die Ultima ratio: Ein schweres Buch, Kulturgeschichte des XIX. Jahrhunderts, Band vier, und voll auf das Nest, die gegnerische Infrastruktur zerstören. Folgenden Tages ward unser der Sieg. Besen, Staubsauger, aus.
Haben Sie, lieber Leser, auch eine lustige Tiergeschichte erlebt? Erzählungen Thüringer Jäger über tapfer erlegte Katzen können wir nicht berücksichtigen. Das ist schließlich nichts Besonderes.