14. Jahrgang | Nummer 12 | 13. Juni 2011

De Maizières Bundeswehrreform: Sparvorgabe oder Buchungstrick?

von Jürgen Wagner

Am 18. Mai 2011 präsentierte Verteidigungsminister Thomas de Maizière seine „Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr“, deren – offizielles – Ziel es ist, die Sparvorgaben in Höhe von 8,3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2015 umzusetzen. Tatsächlich soll die Bundeswehr mit der Reform aber vor allem effizienter – sprich: kriegsfähiger – werden. Aus diesem Grund verwundert es auch nicht, dass über Buchungstricks nun scheinbar versucht werden soll, reale Kürzungen zu vermeiden. Im schlimmsten Fall könnte am Ende sogar eine erhebliche Erhöhung des Rüstungsetats stehen.
Die Bundesregierung verkündete im Juni 2010, bis 2014 insgesamt 81,6 Milliarden Euro einsparen zu wollen. Der Verteidigungsetat soll dazu 8,3 Milliarden Euro beitragen, wobei schnell eine „Fristverlängerung“ bis 2015 genehmigt wurde. Vereinfacht gesagt müsste der Rüstungshaushalt demzufolge beginnend ab 2012 im Jahresdurchschnitt um etwa 2,1 Milliarden Euro gesenkt werden. So begrüßenswert jegliche Verringerung in diesem Bereich auch ist, ambitioniert oder drastisch waren diese Vorgaben in keiner Weise. Ihre Umsetzung hätte nicht einmal die mehr als üppigen Erhöhungen der vergangenen Jahre rückgängig gemacht: Noch 2006 betrug der – offizielle – Rüstungsetat 27,8 Milliarden Euro, für 2011 sind 31,548 Milliarden eingestellt. Der Hauptteil der Einsparungen sollte ursprünglich über einen Personalabbau erzielt werden, wofür eine Planungsgruppe unter Leitung des Bundeswehr-Generalinspekteurs Volker Wieker Vorschläge erarbeiten sollte. Der am 31. August 2010 veröffentlichte „Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010“ schlug hierfür verschiedene Modelle vor, die eine Reduzierung des Gesamtumfangs von derzeit 252.000 Soldaten auf eine Zahl zwischen 205.000 und 150.000 vorsahen. Die im Bericht präferierte Zielgröße waren 163.500 Soldaten, von politischer Seite, insbesondere aus den Reihen der CDU, wurde aber darauf hin schnell Druck für einen Umfang von mindestens 185.000 gemacht.
Nachdem de Maizière im März 2011 die Geschäfte im Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) übernahm, schien er Berichten zufolge zwischenzeitlich sogar eine Personalreduzierung auf 145.000 Soldaten erwogen zu haben. Ein solcher Truppenumfang würde aber mit dem zweiten – offensichtlich prioritären – Ziel der Bundeswehrreform kollidieren, das von einer zweiten Arbeitsgruppe, der sogenannten Strukturkommission, im Oktober 2010 folgendermaßen formuliert wurde: „Es muss möglich sein, die Zahl der 7.000 Soldatinnen und Soldaten, die sich derzeit im Einsatz befinden, durchhaltefähig wenigstens zu verdoppeln.“ Vor diesem Hintergrund tauchte ein „Geheim“-Papier des Verteidigungsministeriums auf, das für erheblichen Wind sorgte, da es dieses Ziel in Frage stellte. Am 20. April 2011 veröffentlichte BILD unter dem Titel „Bundeswehr wird kaputt gespart!“ Auszüge aus diesem „geheimen“ Bericht des Verteidigungsministeriums, der sich mit den Auswirkungen der Sparvorgaben beschäftigte und der de Maizières weitere Überlegungen maßgeblich beeinflusst haben dürfte. Ungeachtet aller politischen Forderungen, die Gesamtgröße der Bundeswehr dürfe 185.000 nicht unterschreiten, kommt das Papier, das wohl keineswegs zufällig das Licht der Öffentlichkeit erblickte, zu dem Ergebnis, unter der Sparvorgabe sei maximal Geld für 158.000 Soldaten vorhanden. Nach diesem Befund wird auf die Folgen verwiesen. Hiermit gehe die „Bündnis- und Einsatzfähigkeit absehbar verloren.“ Die Kürzungen würden die Bundeswehr fundamental gefährden, so das BMVg-Papier: „Bei den vorgesehenen Eingriffen ins Fähigkeitsprofil … wird die Unterstützung nur noch in einem Einsatzgebiet durchhaltefähig möglich sein.“ Daraufhin wurde allenthalben Kritik geäußert, die Bundeswehr werde „kaputtgespart“, es drohe eine „Sicherheitspolitik nach Kassenlage“. Somit wurde die Politik, und ganz speziell de Maizière, vor eine klare Wahl gestellt: Sparen oder Krieg führen!
Nachdem in den von Thomas de Maizière ebenfalls am 18. Mai 2011 erlassenen neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) unmissverständlich festgehalten wurde, dass die Bundeswehr künftig eher häufiger als seltener in Kriegseinsätze geschickt werden soll, ist es nicht verwunderlich, dass hier die Entscheidung eindeutig ausfiel. Vom Sparen ist in den VPR plötzlich keine Rede mehr. Stattdessen heißt es dort: „Die Bundeswehr muss die notwendigen finanziellen Mittel erhalten, um einsatzbereite und bündnisfähige Streitkräfte zu erhalten, die dem Stellenwert Deutschlands entsprechen.“ Auch künftig sollen jährlich 5,1 Milliarden Euro für neue Rüstungsgüter ausgegeben werden, zur Freude von EADS und Co. werden hier also keine Einsparungen vorgenommen. Der Löwenanteil müsste also über eine Truppenreduzierung erzielt werden. Allerdings bewegt sich der Verteidigungsminister auch hier inzwischen am oberen Rand der bislang diskutierten Möglichkeiten. Laut den „Eckpunkten für die Neuausrichtung der Bundeswehr“ vom 18. Mai 2011 wird „der zukünftige Bundeswehrumfang aus bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten und 55.000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen.“ Tatsächlich bewegt sich die Zahl zwischen 175.000 und 185.000: 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie – je nach Erfolg der Rekrutierungsmaßnahmen – zwischen 5.000 und bis zu 15.000 freiwillig Wehrdienstleistende. Lediglich was die Zahl der gleichzeitig im Ausland künftig einsetzbaren Soldaten anbelangt, ist man etwas zurückgerudert: „Es werden rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten zeitgleich durchhaltefähig für Einsätze verfügbar sein.“ Allerdings handelt es sich hierbei dennoch um eine Ausweitung der bisherigen Kapazitäten um nahezu 50 Prozent, wobei es sich hier um die bei weitem kostenintensivsten Truppenteile handelt.
Bedenkt man nun, dass allein schon durch die Aussetzung der Wehrpflicht, die de Maizière wie erwartet beibehalten will, 30.000 Soldaten wegfallen, sind die Reduzierungspläne alles andere als ambitioniert. Mehr noch: sie sind absolut unvereinbar mit den Sparvorgaben von 8,3 Milliarden Euro, da das oben zitierte interne BMVg-Papier angibt, dass hierfür der Truppenumfang auf 158.000 Soldaten reduziert werden müsste. Dies ist selbstverständlich auch allen Verantwortlichen wohl bewusst, augenscheinlich haben sich Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble bereits auf einen Buchungstrick verständigt, mit dem die Sparvorgabe eingehalten werden könnte, ohne den Rüstungshaushalt effektiv senken zu müssen: „Zum Sparen nur so viel: … Alles weitere werde bei den Haushaltsberatungen im Juli zu erfahren sein, er (de Maizière; Anmerkung des Verfassers) habe sich mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereits verständigt. Eine denkbare Vereinbarung der beiden könnte – so wird im politischen Berlin spekuliert – die Auslagerung der Pensionskosten aus dem Wehretat sein. De Maizière ließ sich dazu nicht ein, bemerkte nur, diese Vermutung gehe ‚schon eher in die richtige Richtung‘.“ So berichtete Spiegel Online am 18. Mai 2011. Diese schwammigen Aussagen lassen allerdings einige entscheidende Fragen offen. Ist hier „nur“ die Auslagerung der Pensionsausgaben für im Zuge der Personalreduzierung aus dem Amt scheidende Soldaten gedacht? Allein dies könnte einer Modellrechnung zufolge grob überschlagene bis zu 1,5 Milliarden jährlich ausmachen – das Einsparziel von etwa 2,1 Milliarden wäre damit schon annähernd in Sichtweite! Denkbar wäre sogar, dass sämtliche Versorgungsansprüche dem Bundeshaushalt aufgebürdet werden könnten. Damit wäre der Rüstungsetat um einen riesigen Posten entlastet. Im derzeitigen Haushaltsansatz 2011 sind hierfür 14,7 Prozent beziehungsweise 4,63 Milliarden Euro eingestellt. So könnte im Ergebnis ein solcher Buchungstrick im schlimmsten Fall zu einer Erhöhung der Rüstungsausgaben um zirka 2,5 Milliarden Euro jährlich führen. Sparen auf Militärisch!