von Peter Petras
Die SWP ist seit geraumer Zeit in Berlin beheimatet. Es ist die „Stiftung Wissenschaft und Politik“, die als „Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit“ auch die Bundesregierung berät. Politik denkt man dort als Regierungspolitik, von Deutschland aus betrachtet.
Bereits im März dachte man dort auch über Libyen nach. Das Aktuell-Papier Nr. 12 ist bereits vor Kriegsbeginn erschienen. Der Autor heißt Wolfram Lacher und ist Mitarbeiter der für diese Region zuständigen Forschungsgruppe. Man sollte also annehmen, ein solcher Mitarbeiter einer staatsnahen Analyseeinrichtung kennt sich aus. Da ist es schon interessant zu lesen, was dort vor zwei Monaten gedacht wurde, zielt dies doch in aller Regel auf Beratung der Politik: Die Einrichtung und ihre Forscher hoffen, dass die Politik dem folgt, was das Expertenwissen so nahelegen möchte.
Zunächst schreibt Lacher: „Das Regime Muammar al-Qaddafis steht vor dem Zusammenbruch, die Herrscherfamilie kontrolliert nur noch einen Rumpfstaat.“ Wir wissen nicht einmal nach zwei Monaten Krieg, was Gaddafi noch oder wieder kontrolliert und was die „Aufständischen“ von Bengasi. Aber die SWP schrieb bereits im März über „Libyen nach Qaddafi“ und nahm das offenbar Gewünschte als das bereits Bestehende. Aufschlussreich dann die Aussagen zu den Ursachen des Konfliktes: „Die Revolution des 17. Februar – wie die Ereignisse von den Aufständischen bezeichnet werden – begann als Versuch überwiegend junger Libyer, die Umstürze in Ägypten und Tunesien zu imitieren.“ Selbst wenn es stimmen sollte, dass einige dort bereits im Februar vollmundig das Wort „Revolution“ in den Mund genommen haben, obwohl doch noch niemand gestürzt war, ob es hier passt, ist Sache des deutschen Autors. Man könnte den Satz aber auch anders lesen: weil es die Revolutionen in Tunesien und Ägypten gab, bot es sich an, sie in Libyen zu imitieren, um Gaddafi zu stürzen, und es fanden sich Leute, die dies machten.
Ursprünglich gab es keine wirkliche Opposition, wie Lacher einräumt: „Vor dem Ausbruch der jüngsten Unruhen bestand die Opposition zum Qaddafi-Regime vor allem aus exilierten Parteien mit äußerst beschränkter Reichweite und aus bewaffneten Islamisten, deren Aufstand im Nordosten Ende der neunziger Jahre blutig niedergeschlagen wurde. Unter den oppositionellen Gruppen verfügen allein die Muslimbrüder über eine beständige Organisation und eine nennenswerte Basis, vor allem in den Städten des Nordostens.“ Es gab also ursprünglich nur die Islamisten und die Muslimbrüder, die bisher nicht durch besondere Nähe zum Westen aufgefallen waren, und Exilanten ohne politische Relevanz.
Indirekt bestätigt jene bereits zwei Monate alte Studie die Frage, die spätestens seit Ausbruch des Krieges bewegt: Es gibt keine belastbaren Angaben darüber, wer in Libyen eigentlich womit angefangen hatte. Was waren das für Demonstrationen, die von Libyens Militär beschossen wurden? Wie groß waren diese Demonstrationen, und was waren zu Beginn die Forderungen der Opposition? Darüber gibt es nach wie vor keine konkreten Informationen. Auch darüber nicht, wer die Rebellen eigentlich sind. Welche Bevölkerungsgruppen vertreten sie, mit welchen Zielen? Warum haben keine großen Demonstrationen von Volksmassen stattgefunden wie in Ägypten und Tunesien? Weshalb begann sofort eine militärische Auseinandersetzung? Wer verfügte, als es losging, über welche Waffen? Lacher schreibt nur von „Aufständischen der ersten Stunde“ und „ehemaligen Mitgliedern der Regierungs- und Militärelite“, die rechtzeitig, wie sie meinten, die Seite gewechselt haben. Das klingt vielsagend und sagt nichts.
Interessanter ist es an der Stelle des Papiers, wo es um den ersten Funken geht. Hier heißt es: „Der entscheidende Impuls für den Aufstand ging jedoch von weitgehend unorganisierten Kräften aus: In der Mehrzahl waren es arbeitslose oder unterbeschäftigte junge Männer, die in den Städten des Nordostens und den Nafusa-Bergen im Nordwesten Polizeistationen und Amtsstuben in Brand steckten und damit für die Eskalation der Unruhen sorgten.“ Gaddafi setzte Sicherheitskräfte und Militär ein. Sollte er nichts tun? Als in Watts, einem überwiegend von Afroamerikanern bewohnten Vorort von Los Angeles, im Sommer 1965 Jugendliche Vergleichbares taten, wurde die Nationalgarde eingesetzt, und zwar bewaffnet. In Bezug auf die innere Lage Libyens Anfang März, die zum Vorwand für den Krieg westlicher Mächte genommen wurde, gibt es nach wie vor mehr Fragen als Antworten.
Sehr eindeutig ist das SWP-Papier allerdings in der Schlussfolgerung: das „Hauptziel Deutschlands und der Europäischen Union“ müsse darin bestehen, „Qaddafis Abtritt zu beschleunigen“. Daher gelte es „zu verhindern, dass der Aufstand ins Stocken gerät“. Das heißt praktisch: Der Westen von außen müsse alles tun, um das voranzutreiben, was hier Aufstand gegen Gaddafi heißt – und nicht etwa warten, bis es von innen heraus vielleicht so weit ist. Und Fazit ist ein dringendes Plädoyer für Flugverbotszone und Krieg: „Ein militärisches Eingreifen, das den schnellen Fall des Regimes zum Ziel hat, wäre gleichwohl aus mehreren Gründen gerechtfertigt.“ Genannt werden die üblichen Punkte: zu befürchtende Gefahren für die Zivilbevölkerung durch das Regime, Bürgerkrieg und Flüchtlingsströme nach Europa. Dann ist sich Lacher der eigenen Forschheit nicht sicher und setzt Konjunktive: „Eine militärische Intervention dürfte nicht die ungeteilte Unterstützung der libyschen Bevölkerung erfahren, wohl aber die einer großen Mehrheit.“ Hat er die ausgezählt?
Für die deutschen Debatten bleibt als bemerkenswert festzuhalten, dass auch in Berlin Bellizisten saßen oder sitzen. Weshalb die außenpolitische Entscheidung anders ausfiel, ist jedenfalls nicht das Verdienst der SWP.
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