von Franz Schandl, Wien
Allenthalben ist von Werten zu reden. Von Werten, die wir haben, oder welchen, die wir brauchen, von Wertewandel und Werteverfall und vor allem und unablässig von der Wertegemeinschaft. Denn die benötigen wir, unbedingt. Auch allen Ausländern würde sie artig bekommen. Dass die Leute vor solchen Debatten nicht einfach davon laufen oder lauthals auflachen, lässt schließen, dass das implizite Bekenntnis zu den bürgerlichen Leitwerten trotz Verdruss ungebrochen gegeben ist. Das Aroma der bürgerlichen Grabkammer verkauft sich noch immer als das edelste Parfüm dieser Welt. Auf ewig soll es so riechen.
Der Wertekonsens mag zwar keine richtige Überzeugung sein, aber solange er als synthetische Voraussetzung in Verwendung steht, hält er die Reflexion fest im Griff. Der Wert, der steht hoch im Kurs. Kein Konkurs vermag ihn erschüttern. Dass wir etwas wert sein sollen und dazu Werte brauchen, kann das anders sein? Nein, es ist das Selbstverständlichste auf der Welt, den abstrakten Prinzipien des Bürgertums zu huldigen: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, das wärmt die Seele, das sind doch Werte für ewig! Nicht? Das Zentrum der Werte bildet – das Wort verrät es durch seinen Singular – die ökonomische Kategorie selbst, der Wert. Der Glaube an ihn ist die gemeine Basis diverser Ausdünstungen unserer Befangenheit. Alle Bereiche sollen durch Werte dem Wert angepasst sein. Man denke nur an all die befallenen Begriffe wie Wertschätzung, Wertschöpfung, Bewertung oder wertvoll. Auch das Selbstwertgefühl ist in seiner Konstitution nie etwas anderes gewesen als die von außen geprägte Werteinschätzung des Selbst, wobei das Selbst die Rückbezüglichkeit schon in sich trägt. Es ist ein abstraktes Sich, kein konkretes Ich, ein Subjekt, dessen Selbstwert immer an Verwertung orientiert sein muss. Die Achtung der Menschen erfolgt nicht direkt, sondern über die jeweiligen Wertigkeiten der Rollen und ihrer Masken am Markt. Akzeptiert wird, wer sich verwertet. Jeder Wer ein Was! Und wer kein Was, ein Nichts! Dieses Selbstwertgefühl sinkt rapide, wird der Einzelne vom Kapital nicht anerkannt. Nicht nur Arbeitslose spüren das, die aber ganz besonders. Die Frage, welche Werte wir brauchen, ist einfach zu beantworten: Keine! Nicht Werte brauchen wir, sondern Freude und Freundschaft, Bewusstsein und Reflexion, Kooperation und Verantwortung, Lust und Liebe. Gesellschaftskritik, die sich unter diesem Level positioniert, ist keine. Sie ist höchstens Weltverbesserung, wo diverse Verschönerungsvereine via Demokratie uns einen „guten Kapitalismus“ (Robert Misik) bescheren möchten: Dort eine Steuer und da ein Verbot und hier eine Förderung und noch ein Recht und ein Radweg dazu, was sonst soll man wollen? Und ist Rot-Grün kein Fortschritt? Oder gar eine Strukturreform? – Welch gnadenlose Vergeudung des Daseins!
Die Frage, die sich stellt, ist ja an Banalität kaum zu unterbieten: Wollen wir gut sein oder wollen wir etwas wert sein? Und wer meint, das sei dasselbe, hat Selbiges nicht reflektiert, sondern nur einen automatisierten Reflex der objektivierten Gegebenheiten in Gang gesetzt. Wir jedenfalls wollen uns gewinnen und die Welt noch dazu. Gegen das Kapital – für das gute Leben! Es gäbe schon viel her, dieses Leben, ließe es sich in vollen Zügen genießen, wenn da nicht… Der Markt ist uns nicht geheuer, sondern ein Ungeheuer. Völker sowieso. Und arbeiten gehen wollen wir auch nicht. Wenn die Streifzüge Sinn machen, dann nur als Substanzialisierung des Werteverfalls. Wir sind also nicht ein obligater und abgeklärter Ruck in die Mitte. Unser Programm ist geradewegs die Entwertung der Werte.
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