14. Jahrgang | Nummer 8 | 18. April 2011

Ein Festival für Louis Lewandowski

von Gabriele Muthesius

Im öffentlichen Bewusstsein sowie im kulturellen Gedächtnis und Selbstverständnis Berlins und schon gar Deutschlands ist Louis Lewandowski (1821-1894) – von einem sehr überschaubaren Kreis von Kennern und Liebhabern synagogaler Musik des 19. Jahrhunderts abgesehen – seit Jahrzehnten ein Unbekannter, und seine Musik teilt dieses Schicksal. Noch um 1930, also vor 80 Jahren, war das anders. Damals gab es allein in Berlin mit seinen etwa 180.000 jüdischen Mitbürgern, was seinerzeit rund ein Drittel aller Juden in Deutschland war, zwölf große Synagogen mit jeweils über eintausend Sitzplätzen, und nahezu jede von ihnen beherbergte eine Orgel, die einen festen Platz in der Liturgie einnahm. Das war in entscheidendem Maße dem Wirken Louis Lewandowskis zu verdanken. Doch die Naziherrschaft mit ihrer antijüdischen Vernichtungspolitik hat auch in dieser Hinsicht Zerstörungen angerichtet, die sich bis heute als irreversibel erwiesen haben.
Louis (Lazarus) Lewandowski, geboren am 3. April 1821 in Wreschen, Provinz Posen (heute Poznan, Polen), entstammte ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater konnte als Synagogendiener und Hilfskantor die Familie mit fünf Kindern kaum ernähren. So wurde der junge Louis bereits mit zwölf Jahren nach Berlin geschickt, um dort seinen Unterhalt selbst zu verdienen – ein damals keineswegs ungewöhnlicher Vorgang.
In der preußischen Residenz wurde man in der dortigen jüdischen Gemeinde rasch auf die hohe Musikalität und die schöne Stimme des Jünglings aufmerksam. Kantor Ascher Lion (1776-1863) engagierte ihn als musikalischen Gehilfen, und im Gegenzug sorgte die Gemeinde nicht nur für Louis’ Lebensunterhalt, sondern ermöglichte ihm auch den Besuch des Gymnasiums.
Berlin war für den Jungen aus der Provinz ein Kulturschock, der seine nachfolgende Entwicklung entscheidend beeinflusste. Hier lebten die Juden nicht im Ghetto wie in Wreschen, sie sprachen hochdeutsch statt jiddisch und sie prägten maßgeblich die intellektuelle Elite der Stadt mit. Salomon Plessner, einer der Lehrer Lewandowskis, führte seinen Schüler in das Haus von Alexander Mendelssohn ein, der ein Enkel von Moses Mendelssohn und ein Cousin von Felix Mendelssohn Bartholdy war. Dort trafen die wichtigsten Künstler Berlins zusammen, man musizierte und pflegte eine Kultur des gehobenen Diskurses. All dies trug in hohem Maße zur Horizonterweiterung Lewandowskis bei.
Alexander Mendelssohn war es schließlich auch, der Lewandowski einen gründlichen Violin- und Klavierunterricht ermöglichte, und dessen späterer Fürsprache es in entscheidendem Maße zu verdanken war, dass Lewandowski schließlich als erster Jude an der Berliner Akademie der Künste immatrikuliert wurde. Auf seinem weiteren künstlerischen und beruflicher Werdegang wurde er zu einem erfolgreichen Komponisten weltlicher und kirchlicher Musik, war Chordirigent der jüdischen Gemeinde, wurde 1865 zum Königlichen Musikdirektor ernannt und ein Jahr später zum Dirigenten der 1866 eingeweihten Neuen Synagoge in der Berliner Oranienburger Straße berufen. Diese Synagoge war von Anbeginn auch mit einer Orgel ausgestattet. Dies kam Lewandowskis reformerischen Bemühungen im Hinblick auf die jüdische Liturgie entgegen, die er damals bereits seit etlichen Jahren verfolgte.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein war die traditionelle jüdische Liturgie ausschließlich vom allein agierenden Kantor geprägt; Musikinstrumente waren grundsätzlich nicht zugelassen. Dagegen begann sich Widerstand im städtischen Judentum zu regen, das in hohem Maße gesellschaftlich integriert war, sich als dem deutschen Volk zugehörig empfand und diesem Selbstverständnis auch Ausdruck verleihen wollte. In diesem Umfeld entwickelte Lewandowski die liturgische und künstlerische Reformidee, dem Kantor einen Chor und auch eine Orgel zur Seite zu stellen, und traf damit den städtischen jüdischen Zeitgeist. Nach Jahren zähen Ringens mit den Verfechtern der bisherigen Tradition setzte sich die Liturgie nach Lewandowski schließlich in Berlin und danach rasch auch in vielen anderen Städten Deutschlands durch.
Als Lewandowski am 3. Februar 1894 starb, war er als der Genius des synagogalen Gesangs längst anerkannt. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee.
Die wesentlich von Lewandowski angestoßene Entwicklung hatte letzten Endes dahin geführt, dass vor der Shoah in allen großen Synagogen Berlins der Gottesdienst nach der neuen Liturgie gefeiert wurde. Doch mit der Shoah verschwand diese Praxis wieder nahezu vollständig aus dem jüdischen Gemeindeleben nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland. Seit 1945 gibt es hierzulande nur noch eine einzige Synagoge, die die Tradition von Lewandowski aufrecht erhält – in der Pestalozzistraße in Berlin-Charlottenburg. Sie ist zugleich das Stammhaus des Synagogal Ensembles Berlin unter der Leitung von Regina Yantian, das mit dem dortigen Kantor Isaak Sheffer zusammen wirkt.
Und dieses Synagogal Ensemble mit seinem Förderverein und dessen rührigem Vorstand Nils Busch-Petersen haben es sich zum Ziel gesetzt, Louis Lewandowski und seine Musik wieder zurück ins kulturelle Bewusstsein Berlins zu holen. In diesem Jahr – vom 16. – 18. Dezember – werden die ersten Louis-Lewandowski-Tage stattfinden, mit öffentlichen Konzerten und unter Beteiligung von Chören aus vier Kontinenten. Sponsoren aus der Wirtschaft haben das Projekt auf eine solide finanzielle Basis gestellt, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Lala Süßkind, die Schirmherrschaft übernommen.