von Klaus-Dieter Felsmann
Ausschließlich mit den Augen eines Betriebswirtschaftlers gesehen, ist keine Art der Energiegewinnung so günstig, wie die Verstromung der Kohle. Hier kostet die Erzeugung einer Kilowattstunde etwa 5 Cent. Wenn man dagegen beispielsweise auf die Sonnenkraft zurückgreift, so muss man momentan für die gleiche Menge nutzbarer Energie etwa 40 Cent aufwenden. Allerdings – und das wird natürlich bei der Preiskalkulation nicht berücksichtigt – ist gerade die kohlebasierte Stromgewinnung auch der größte Klimakiller unserer Zeit. Allein die deutschen Kohlekraftwerke emittieren jährlich 375 Millionen Tonnen des umweltzerstörenden Kohlendioxids. Dies trägt wesentlich zur globalen Erwärmung der Atmosphäre mit allen negativen Folgen für die menschliche Spezis bei.
Vernünftigerweise müsste man angesichts dessen die Kohle dort ruhen lassen, wo sie sich über Millionen von Jahren abgelagert hat. Das würde aber nicht nur jene ärgern, die an der Kohleförderung verdienen, sondern auch Fragen nach dem Sinn eines ökonomischen Systems stellen, das sich weitgehend am Imperativ des stetigen Wachstums orientiert. Damit wären wahrlich heikle Dinge angesprochen, und so stellen sich Wirtschaft und Politik dann doch lieber die Frage, wie man sich waschen könnte, ohne dass dabei der Pelz nass wird. Im Falle der Kohleverstromung soll dies gelingen, indem man das Kohlendioxid nicht mehr in die Luft pustet, sondern quasi unter den Teppich kehrt, das heißt, es soll unterirdisch verklappt werden.
An der entsprechenden Umsetzung arbeitet die Energiewirtschaft momentan mit Hochdruck. „Carbon Capture and Storage“, kurz CCS, so heißt das Verfahren, mit dem das Treibhausgas CO2 aus den Ausdünstungen der Kraftwerke herausgefiltert und in geeignet erscheinende Gesteinsschichten gepresst werden soll. Neben der Essener RWE-AG ist besonders der schwedische Staatskonzern Vattenfall, der in der Lausitz über beträchtliche Braunkohlelagerstätten verfügt, an der Umsetzung der CCS-Technologie interessiert. Seit 2009 betreibt der Konzern bereits eine kleine Pilotanlage in Spremberg, und demnächst möchte er in Jänschwalde ein komplettes Demonstrationskraftwerk bauen. 80 Prozent des potenziellen Klimakillers würden in einer solchen Anlage nicht mehr in die Atmosphäre entweichen. Die Methode erscheint für sich genommen erfolgversprechend. Doch ist sie auch vernünftig?
Zunächst einmal muss man für das Abscheiden des Kohlendioxids mindestens 33 Prozent mehr Energie einsetzen, als für den eigentlichen Verstromungsprozess notwendig wäre. Das heißt 33 Prozent mehr Kohle wird abgebaggert, um die verhängnisvollen Folgen dieser Art der Stromgewinnung zu kaschieren. Aber warum sollte man sich diesbezüglich verunsichern lassen? Kohle ist ausreichend vorhanden, die Kosten werden zumindest in der Erprobungsphase großzügig durch Fördermittel aus Brüssel abgefedert und ansonsten gibt es genügend Erfahrungen damit, diese auf die Kunden umzulegen. Das alles ist zwar nicht vernünftig, doch betriebswirtschaftlich irgendwie darzustellen.
Komplizierter wird es bei den potenziellen Deponien. Wie Greenpeace jüngst veröffentlichte, hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 408 mögliche Standorte ausgewiesen, wo das Kohlendioxid in tiefliegende, Salzwasser führende Gesteinsschichten gepresst werden könnte. Entsprechende geographische Gegebenheiten finden sich vor allem in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern und Brandenburg. Um dort aber tätig werden zu können, braucht es, wie durch eine EU-Richtlinie gefordert, ein bundesweites CCS-Gesetz. Bislang konnte ein solches aber noch nicht verabschiedet werden, weil sich die Landesregierungen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen erfolgreich dagegen gewehrt haben. Die Bürger dieser Länder sehen gar nicht ein, warum sie eines Tages auf einer Mülldeponie leben sollen. Mit der Ungewissheit einer solchen Zeitbombe wollen auch die Menschen in den betroffenen Regionen Brandenburgs – im Oderbruch bei Neutrebbin und in der Region um Beeskow – nicht leben. Sehr deutlich erheben sie aus ihren relativ dünn besiedelten Regionen heraus ihre Stimme. Doch da sind auch andere Brandenburger. Solche, die in der Lausitz wohnen und die von und mit der Kohleförderung und Energiegewinnung durch Vattenfall leben. Denen ist zunächst einmal die Jacke näher als die Hose, und so gehen sie auf die Straße, um für jene Technik zu demonstrieren, die ihnen vermeintlich die Arbeitsplätze sichert. Nun wäre es Aufgabe der Politik, in diesem Konflikt zu vermitteln. Das kann aber nicht unter dem Gesichtspunkt geschehen, wo bekomme ich in zwei Jahren die meisten Wählerstimmen her, sondern es muss am Gemeinwohl, auch dem künftiger Generationen, orientiert sein.
Für den sich gern zweckmäßig verhaltenden Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) stellt die CCS-Technologie aber einen der von ihm so geliebten Kompromisse dar, und Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Die Linke) bietet alle Weisheit des alten Rates des Bezirks Cottbus auf, um das Umfallen seiner Partei bei den Koalitionsverhandlungen schön zu reden. Die CDU hält sich konsequent an ihr destruktives Verhalten, das sie nun schon zwanzig Jahre lang in Brandenburg pflegt. Ob deren Energieexperte Steeven Bretz, der Bundestagsabgeordnete Jens Koep oder die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium Katharina Reiche – sie alle stilisieren sich als Technologieapostel der CO2--Abscheidung, allein mit der überdeutlich durchschaubaren Absicht, die Regierungskoalition in Potsdam in Schwierigkeiten zu bringen. Dabei desavouieren sie sogar eine der wenigen profilierten Persönlichkeiten der Brandenburger CDU, Hans-Georg von der Marwitz, der den Missbrauch Brandenburger Erde als Mülldeponie konsequent ablehnt.
Wenn das CCS-Gesetz des Bundes so verabschiedet wird, wie es momentan aussieht, dass nämlich die Länder selbstständig über eventuelle Kohlendioxiddeponien entscheiden können und müssen, dann schlägt die Stunde der Wahrheit für die Damen und Herren in Potsdam. Wollen sie auf der Basis alter Ideologien und orientiert auf eine kleinteilige Politikausrichtung aus dem ganzen Land einen „Energiebezirk Cottbus“ machen oder stellen sie sich dem immer deutlicher werdenden gesellschaftlichen Trend hin zu qualitativen Fortschrittskriterien? Wollen sie die wunderbare Natur der Mark gestalten, so dass sie nicht nur für eine immer älter werdende Bevölkerung attraktiv ist, sondern auch für junge und kreative Köpfe, oder wollen sie die Natur mit den Maßstäben des industriellen Zeitalters mit allen unkalkulierbaren Risiken zerstörerisch umgestalten?
Wohin es führt, wenn sich der Mensch über die Gegebenheiten der Natur erhebt, kann man bei einem Rundflug über der Lausitz sehr gut sehen. Wem das nicht reicht, der kann sich ja mal vergewissern, was Chruschtschow und seine Helfer mit ihrer Neulandgewinnung rings um den Karakumkanal im ehemaligen sowjetischen Zentralasien angerichtet haben. Die Anlage von riesigen, künstlich bewässerten Baumwollfeldern erschien dort kurzzeitig auch erfolgversprechend. Vernünftig war das indessen nicht. Inzwischen sind die Böden versalzen, und mit dem Aralsee, dem das für die Baumwolle benötigte Wasser entzogen wurde, ist der einst viertgrößte See der Erde nahezu verschwunden. Das sollte all jenen zu denken geben, die in Geostrukturen eingreifen wollen, und es sollte Motivation genug sein, nach alternativen Lebens-und Arbeitsmodellen zu suchen.
Schlagwörter: Atmosphäre, Brandenburg, CCS, Klaus-Dieter Felsmann, Klima, Kohlendioxid, Vattenfall