von Heinz Jakubowski
Es ist schon merkwürdig: Am Stellenwert gemessen, den die Informationspolitik zu realsozialistischen Zeiten hatte, vor allem aber hinsichtlich des Unmutes, den sie seinerzeit anhaltend und flächendeckend auslöste, ist an publizistischer Aufarbeitung dieser höchst relevanten DDR-Facette bislang vergleichsweise wenig wahrnehmbar gewesen. Immerhin war es ja kein Zufall, dass im Oktober ´89 zugleich mit Honecker und Mittag auch der Medienchef Herrmann abserviert wurde. Vom noch alten SED-Zentralkomitee und noch vor einem Mielke!
Aber wie gesagt, Analytisches und/oder persönliche Bestandsaufnahmen und Rechenschaften sind bis heute vergleichsweise rar, von der Unterschiedlichkeit der darin manifestierten Einsichten und deren, mehrheitlich übersichtlicher, Tiefe ganz abgesehen. Ist die Nachwelt mit „Schreibtischtätern“ nachsichtiger, dass sie der Beschäftigung mit Journalisten so wenig Bedeutung beimisst? Oder ahnen nachgeborene Autoren und Redakteuren gar, dass man besser nicht mit Steinen hantiert, da man doch – wenn auch durchaus andersgestaltig als damals – durchaus selbst auch in einem Glashaus sitzt? Oder aber obwaltet bei jenen, die Selbstzeugnis abzulegen bereit sind, noch immer vorrangig die Sorge, das eigene Lebenswerk über das hinaus zu beschädigen, was das Gros der Kollegen aus der lupenrein pressefreien Medienlandschaft der Bundesrepublik bereits meinungsbildend betrieben hat? Oder haben, was auch nicht wenige beträfe, Ex-DDR-Journalisten Angst um ihren Arbeitsplatz in der heutigen Medienlandschaft, so sie einen solchen gefunden hatten?
Wie auch immer, wer – als Akteur oder Konsument – mit dem DDR-Journalismus befasst war und nach wie vor daran interessiert ist, sich von dem ein Bild zu machen, was zigtausende Journalisten dieses Landes – 1989 waren es noch 8.500 – zum immerhin freiwilligen Ergreifen dieses so wenig wohlgelittenen Berufes und vor allem seiner Produkte bewegt hat, dem sei ein Buch empfohlen, das gerade erst erschienen ist: „Die Grenze im Kopf, Journalisten in der DDR.“
Mit wohltuender Sachlichkeit wird in 31 Interviews dem nachgegangen, was sich heute als Phänomen darzustellen scheint: Wie und warum wurde man in der DDR Journalist? Wie hat man den beruflichen Alltag wahrgenommen? Wie hat die eigene Bevormundung und Instrumentalisierung ausgehalten? Wie hat man – zumindest in den politischen Ressorts der Medien – mit Misstrauen und Ablehnung derjenigen leben können, für die man doch schrieb oder sendete?
Antworten geben in diesem Buch vor allem Gesprächspartner, die seinerzeit in sehr verantwortlichen Positionen der Medien beziehungsweise der dafür zuständigen Parteienhierarchien waren. Das soll Einblicke zulassen, die von tiefer Kenntnis der Struktur und Praxis der DDR-Medienpolitik zeugen. Wenig überraschend geht das nur bedingt auf, denn noch immer wird in beachtlichem Maße gemauert und heruntergespielt, wie man selbst dort lesen kann, wo Einkehrbedarf zumindest konzediert wird. Wo der berufliche Ethos unverhandelbar hätte lauten müssen, zuallererst der Wahrheit verpflichtet zu sein, obwalteten zumindest dort, wo es um gesellschaftlich Relevantes ging, Opportunismus oder Gläubigkeit oder Selbstverleugnung, schlimmstenfalls auch alles zusammen.
Vieles davon bestätigen die meisten Gesprächspartner in diesem Buch, die einen mehr, andere weniger. Wenn es aber darum geht, vor sich selbst, nicht vor einem Befrager, sein eigenes Versagen einzugestehen, passiert zumeist Menschliches, Allzumenschliches – man wählt Ausflüchte. Vor allem jene, keine Wahl gehabt zu haben. Und: Was man als Einzelner schon hätte tun können. Mein Gott – als jemand, der einst dazugehörte, weiß der Autor dieser Zeilen selbst dann, wenn er seinerseits Konsequenzen auch erst gezogen hat, als sich das Heft des Handelns nur noch scheinbar in der Hand „seiner Partei“ befand: Natürlich hatten wir eine Wahl. Niemand ist gezwungen worden, in der DDR Journalist zu werden. Ein jeder wusste, worauf er sich einlässt; es war ja nicht zu übersehen. Merkwürdigerweise hat es nicht mal in den die Medienpolitik besonders kompromittierenden letzten Jahren der DDR nicht an Bewerbern für das Journalistik-Studium in Leipzig gemangelt.
Ein weitere Standarderklärung: Veränderungen konnten in diesem zentralisierten System nur von oben kommen, aus dem Politbüro selbst. Darauf habe man immer gewartet und gehofft. Ja, das war so, aber es war schon damals ein Selbstbetrug, die Mehrheit der in diesem Buch Auskunftgebenden ist intelligent genug, um das zu wissen. Denn dass von „Oben“ eben nichts kommt, jedenfalls kein Fortschritt, hat jedes Jahr bewiesen, das der Herr, beziehungsweise Straußsche Kredite, der DDR in ihrer Endphase noch geschenkt haben. Mit dieser fast schon religiösen Heilserwartung konnte man sich indes prächtig selbst entschulden, keinen Mut aufbringen zu müssen. Denn – und dies nur zum Beispiel – Nein zusagen, wenn offenkundig Widersinniges und/oder Tatsachenverfälschendes von einem verlangt wurde. Substantiell kritisch zu sein, statt Ausgabe für Ausgabe meist wider besseren Wissens als gelungen zu loben, wenn man dran war mit einer Zeitungseinschätzung, es wäre gegangen. Nein zu sagen, wenn einem bei einer Parteiwahl – im Kleinen wie im großen – vorgegeben war, wer das jeweilige Parteigremium repräsentieren sollte. etc. pp. …
Oh doch, das alles wäre gegangen; es hätte nur jemand damit beginnen müssen. Für den, der den Mut dazu gehabt hätte, wäre dies freilich mit Ärger verbunden, gegebenenfalls mit großem Ärger und mit dem Ausbleiben eines beruflichen Aufstiegs auch. Das wärs dann aber auch schon gewesen, unerfreulich, aber es hätte einen vor weiterer Scham gegenüber sich selbst bewahren können; so man eine solche denn zu empfinden bereit und/oder fähig war. Nein, bei uns obwaltete etwas, das zu den strukturellen Webfehlern zumindest des praktizierten Kommunismus gehörte: Gläubigkeit, vor allem Autoritätsgläubigkeit statt emanzipierter Selbstbehauptung, Selbstzerstörung statt freie Selbstbehauptung, Aufgabe der eigenen Persönlichkeit für eine „Sache“, die längst lediglich die der Sachwalter geworden war. Um Feigheit vor dem Freund ist es gegangen; was aber war das für eine „Freundschaft“! Welch Ruhmesblatt für eine Gesellschaft, die die menschliche Emanzipation auf ihre Fahnen geschrieben hatte …
Dass in diesem Buch Zuwortkommende sich in nur wenigen Fällen zu solchen oder ähnlichen Konsequenzen durchringen können, macht das Opus nicht weniger interessant und aufschlussreich. Zumal – und auch das gehört freilich angemerkt – hier an Details zusammengetragen ist, was journalistisches Dasein in der DDR auch ausgemacht hat: viel Reizvolles (und damit zwangsläufig auch Korrumpierendes wie mögliche Reisen), viel angenehme Kollegialität, in deren Rahmen in der Tat, wie im Buch mehrfach erinnert wird, auch sehr viel mehr und tiefer gehend diskutiert wurde, als das den journalistischen Produkten dann anzusehen war. Nur eben, dass wir uns an letzteren haben messen lassen müssen und nicht an den vielen kleinen Revolutionsstürmen im Wasserglas.
Die sachliche und kluge Zusammenfassung der Interviews in Gestalt einer „Kollektivbiografie“ (Keine Sorge: hier handelt es sich eben nicht um kollektive Verdammung!) endet mit einem sympathischen, schon weil ungewohnten Verständnis für die Vielschichtigkeit einer Urteilsfindung: „Wasserträger des Regimes, Weiterleiter, willfährige Propagandisten: Diese Begriffe sind nicht ganz falsch, werten aber das ab, was für DDR-Journalisten Geschäftsgrundlage war, blenden alles andere aus und wirken so wie eine Attacke.“ Und: „Umso mehr ist zu bedauern, dass das Meinungsklima der letzten DDR-Journalistengeneration nicht erlaubt, öffentlich zu ihrer Vergangenheit zu stehen.“ Abgesehen davon, dass dies eigentlich für alle Vertreter dieses Berufsstandes realsozialistischer Zeiten gelten sollte, wirft die damit angemerkte Tatsache wiederum ein bezeichnendes Licht auf heutige Verhältnisse. Dies indes ist nicht Thema dieses Buches und man darf ihm das nicht als Mangel vorwerfen. Ein Buch darüber, wofür sich heute viele, viele Journalisten hergeben und welchen Anteil sie haben an Verlogenheiten oder zumindest Wahrheitsbeugungen, und für welchen Preis sie dazu bereit sind, wäre wohl noch schreiben.
Michael Meyen/Anke Fiedler, Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR, Panama-Verlag, Berlin 2011, 400 S., 24,90 Euro
Lesenswert zum Thema auch: Hans-Dieter Schütt, Glücklich beschädigt. Republikflucht nach dem Ende der DDR, wjs-Verlag, Berlin 2009, 221 S., 19,95 Euro
Schlagwörter: DDR-Journalisten, DDR-Medienpolitik, Erich Honecker, Erich Mielke, Günter Mittag, Heinz Jakubowski, Joachim Herrmann