von Eckhard Mieder
Ich bin krank und bitte um Quarantäne. Bringt mich an einen Ort jenseits der Gesellschaft und untersagt jeglichen Kontakt mit mir. Schützt euch und mich vor mir. Ich zittere, neige zu Aus- und Anfällen. Ich bin unberechenbar geworden. Jedes Mal, wenn ich die Wörter „Demokratie“ oder „Freiheit“ höre, würge ich, kann einen Auswurf nur mühsam verhindern und fange an zu schwitzen. Am schlimmsten ist es, wenn ich sie als Eines hören muss: „Freiheitunddemokratie“.
Es ist zu viel. Es zerreißt mich innerlich. Ich werde zum Rumpelstilzchen, das allabendlich ums Fernsehgerät tanzt und singt: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Armer Bürger heiß!“ Und die Erde wird sich auftun unter meinen Füßen. Und verschlingen wird mich der Boden. Und gebraten werde ich in den unterirdischen Feuern. Dann, eines nahen Tages, wenn jemand kommt und mir meinen Namen ins Gesicht schleudert: „Armer, armer Bürger!“, Bammwuff, werde ich explodieren! Grad wieder schlägt’s auf mich ein. Glockenschwer und klöppelhart. Grad wieder, weil da unten in Arabien regt sich was. Schnell sprechen die Medien von „Revolution“. Auch so ein Wort, noch so ein Wort, das so rasch verwendet wird; als gäbe es nicht hin und wieder Definitionen, Vergleiche, Fakten. Kotzwürg! Jasmin-Revolution. Nelken-Revolution. Orangen-Revolution. Mein Magen revoltiert, die Kotz-Revolution steigt in mir auf … Schnell breitet sich Sorge aus wie eine Pfütze. Und fast so schnell, eine gewisse Verzögerung eingeräumt, die Nachdenken und Kompetenz vortäuscht, melden sie sich. Die Hohen Damen und Herren der Politik und schlagen sich auf die Seite der „Freiheitunddemokratie“. Sie wissen nicht, was da vorgeht, da unten, aber sie schlagen sich schon mal auf die Seite derjenigen, von denen sie vermuten, dass sie eventuell, später vielleicht, vielleicht auch gleich, für jene „Freiheitunddemokratie“ eintreten, die der Westen meint. Welche das ist? Keine Ahnung. Ich bin krank. Ich stelle Vermutungen an. Es könnte die Freiheit sein, einander über den Tisch zu ziehen; und wenn es die Stahlwanne in der Pathologie ist. Es könnte die Demokratie sein, die es kleptokratischen Clans erlaubt, Regierungen zu Buchhaltern ihrer Firmen zu machen. Vielleicht ist es die Freiheit, jeden Tag etwas Neues probieren zu dürfen, weil das Alte nicht mehr nährt. Vielleicht ist es die Demokratie der Beliebigkeit und der Garantie eines noblen Lebensweges demjenigen, der sich an die Regeln der Bigotterie hält…
Wieder Aufruhr in meinem Gedärm. Sodbrennen in der Speiseröhre. Aufstößt die Bitterkeit meiner Existenz: auf einem Boden, der übersät ist mit den Resten zerplatzter Blasen der Politik. Ein Leben, knietief im Schlamm aus Wort-Hülsen, Medien-Schaum und Prominenten-Lack. Da soll ich durch? Wieso stecke ich darin? Ich halte es mir vom Leibe, lange schon, aber es flutet, es schwemmt, es gurgelt, strudelt, umspült mich … Krrrchzgruuuunz … Oh weist mir den Ausweg zum Ort der Quarantäne! Denn nichts anderes bin ich als ein infizierter, mindestens unter Seuchenverdacht stehender Mensch! Womit habe ich verdient, dass mir eingeschenkt wird, unablässig, die „Freiheitunddemokratie“? Und die „Stärkung der westlichen Wertegemeinschaft“. Und das „Fundament der christlichen Werte“.
Ruhig, Kamerad, ganz ruhig. Du bist nicht krank. Dein Herz schlage heiter, dein Magen schweige still. Du kennst diesen Verdruss doch. Er gehört zur Vorgeschichte deiner Krankheit. Du warst doch schon einmal im Brei daheim und hättest es beinahe nicht mehr ausgehalten. Du hast doch schon einmal gehört, bis du es nicht mehr glauben konntest, von der „Heimstatt der Freiheit, Demokratie und Menschrechte“. Dir wurde schon einmal vorgebetet von der „Stärkung des Sozialismus“, so lange, so oft und bis er zusammenfiel. Die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ wurde so gnadenlos getrommelt und gepfiffen, bis am Ende die Insolvenz deiner Heimat stand. Da wurde gestaltet und gestaltet an der „Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“, bis sich gar nichts mehr entwickelte, und aus dem Übergang zum Kommunismus wurde der Rückschritt in den Kapitalismus. Hülsenfrüchte, Schaumgebäck, Kopfsalat – bis zum Erbrechen. Bis keine Substanz mehr steckt in den Begriffen, die vorgekaut werden. Bis sie keinen Geschmack mehr haben, weil sie bei jeder unpassenden Gelegenheit aus dem Zylinder gezogen werden. Ein fauler Zauber, der nicht verhindert, dass die Bühne plötzlich brennt. Wenn auf der mal nicht grad „Freiheitunddemokratie“ gespielt wird – bis der Dirigent rücklings ins Publikum stürzt, der erste Geiger in seinem Instrument verschwindet und nur noch die Pauke zu hören ist. Bumbummbumm!
Schlagwörter: Debattiermaschine, Demokratie, Eckhard Mieder, Revolution