von Holger Politt, Warschau
Eine kleine Unachtsamkeit brachte ihm viele Jahre Gefängnis ein. Durch diese Unachtsamkeit rettete er aber zugleich sein Leben. Als der Kommunist Alfred Lampe im August 1933 in Warschau wegen Verrat einen konspirativen Treff fluchtartig verlassen musste, entschied er, umgehend den nächsten Schnellzug nach Danzig zu nehmen und seine paar Habseligkeiten in der Stadt zurückzulassen. Der Polizeistreife, die den Zug vor Abfahrt noch einmal inspizierte, fiel ein Reisender auf, der ins Ausland fuhr, ohne ein größeres Gepäckstück bei sich zu haben. Auf dem Revier war die Überraschung der Polizisten dann umso größer, denn mit Alfred Lampe, der ganz oben auf den Fahndungslisten der politischen Polizei stand, fassten sie einen der wichtigsten Köpfe der verbotenen kommunistischen Partei. Er war vor Jahren nach einer verbüßten Gefängnisstrafe außer Landes gegangen, weil die Partei ihn dort nötiger brauchte.
Deutschland, die Freie Stadt Danzig und die Sowjetunion waren in der Fremde die bevorzugten Aufenthaltsorte der in die Illegalität getriebenen Mitglieder der Kommunistischen Partei Polens. Das Führungsmitglied Lampe bekam im Sommer 1933 den Auftrag, aus Moskau kommend in die Heimat zurückzukehren, um gerissene Fäden der Parteiarbeit neu zu knüpfen. In der polnischen Hauptstadt lieferte inzwischen ein Spitzel der politischen Polizei, der im Apparat der Partei an wichtiger und sensibler Stelle saß, die Genossen reihenweise ihren Verfolgern aus. Von den wichtigen Leuten der Partei, die sich in diesem Sommer in Warschau aufhielten, gelang es nur Lampe, der aufgestellten Falle zu entkommen. Doch Danzig erreichte er nicht mehr.
Wäre er durchgekommen, hätte auf ihn in Moskau der Henker gewartet. Das ist gewiss. Von den im Jahre 1932 auf einem Parteitag gewählten 19 Mitgliedern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Polens erlebten nur fünf das Jahr 1939. Sie saßen allesamt in polnischen Gefängnissen, einer von ihnen war Alfred Lampe. Die anderen, die nicht im polnischen Gefängnis saßen, wurden von Stalins Schergen gefoltert, gepeinigt, erschossen oder auf andere Weise umgebracht. Alle. Nein, einem gelang es dann doch, seinen Mördern zu entwischen – er nahm sich in einer Vernehmungspause durch einen Fenstersprung das Leben. Niemand dieser Exilanten oder der nach Moskau geeilten Zentralkomiteemitglieder überlebte die Verfolgungswelle, die im Vaterland der Werktätigen, als das sich die Sowjetunion zu jener Zeit gerne bezeichnete, über Polens Kommunisten hereinbrach. Umgebracht wurden auch die, die auf Geheiß der Komintern in den Jahren zuvor aus den Führungsgremien der polnischen Partei entfernt worden waren. Umgebracht wurden die einstigen Kampfgefährten Rosa Luxemburgs, die noch lebten und in der Sowjetunion in die Hände der Verbrecher gerieten, die sie immer noch für ihre Genossen hielten. Von den knapp 4.000 Kommunisten aus Polen, die sich in den Schreckensjahren in der Sowjetunion aufhielten, überlebten weniger als hundert.
Von den Opfern verstanden nur ganz wenige, was ihnen und ihrer Partei dort in Moskau geschah. Auch deshalb kamen viele der Kommunisten sogar bereitwillig in die Hauptstadt des Weltkommunismus, um Klarheit zu schaffen, um mitzuhelfen, einer vertrackten Sache, wie sie dachten, auf die Spur zu kommen. Die Henkersknechte und Folterer belehrten sie schnell eines Besseren.
Und die miesen Gefängnisse ihrer Heimat, in denen sie alle zusammengerechnet über tausend Jahre verbrachten, erwiesen sich für Polens Kommunisten in der Schreckenszeit als ein sicherer Ort. Nicht, dass ihnen dort kein Haar gekrümmt worden wäre, das Gegenteil war häufig der Fall. Aber sie konnten nicht mehr nach Moskau gerufen werden.
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