14. Jahrgang | Nummer 1 | 10. Januar 2011

Nullsummenspiel

von Katharina Kaaden

Freitagabend ging ich mit meinem Freund Konrad zu einer Lesung unweit des Rosenthaler Platzes. Er musste vorher noch etwas Berufliches erledigen, also trennten wir uns, um später wieder zusammenzufinden. Ich lief in die nahe gelegene Postfiliale, um noch Geld zu zapfen. Ein Automat, vor mir ein hibbliger Herr, der ewig rummehrte, hinter mir ein Typ mit Köter, der an mir herumzuschnüffeln begann. Ich hasse das!
Dann – endlich – ist der Typ vor mir fertig und haut ab. Ich ran. Da wenig Geld auf dem Konto ist (genauer gesagt, keines), zapfe ich nur 100 Euro. Es rattert kurz, ich greife zum Geldschlitz – und sehe eine fette Matte Scheine darin. Herrschaft, der Mann vor mir hat sein Geld vergessen!
Ich raffe alles heraus, stehe kurz mit dem Bündel da, und in meinem Kopf läuft in Sekundenbruchteilen ein ganzes Szenario ab. Was wäre wenn …? Schließlich (der Köter zerrt währenddessen an der Leine und will zu mir, was mich noch nervöser macht) entscheide ich mich empathisch, denke, wenn mir sowas passieren würde, nicht auszudenken. Und eile also mit dem Bündel Geld an der langen Schlange vorbei nach vorn an den Schalter. Hier! Wichtig! Ich habe! Geld! Gefunden!
Die anderen Leute murren, lassen mich aber vor. Ich rede sturzbachartig auf die mürrische Vettel am Schalter ein, dass der Herr vor mir offenbar sein Geld im Automaten vergaß, und dass er sicher gleich wieder käme und dann …
Während ich all das hervorhasple, durchzuckt mich plötzlich ein Gedanke. Kann es sein, dass ich ohne Brille auf 1000 statt auf 100 gedrückt hatte? Die Dicke glotzt mich an, ich fasle meine jähe Vermutung hektisch auf sie ein, schiebe meine Karte hin und fordere schließlich: „Meinen Kontostand, bitte!“ „Wie jetzt? Sie behaupten, dit is ihr Jeld?“ „Ja, ich weiß nicht, kommt auf meinen Kontostand an“, raune ich, und die Komik meiner Rede wird mir erst hinterher bewusst. Da erscheint mein Kontostand: Minus tausend Euro. Täräää! (Mutti hatte ihre Blille nich auf und danz falschedippt.)
Ich schmeiße also das Bündel Geld auf den Tresen und rufe: „Alles auf dieses Konto“, die Geldkarte dazu hat die Dicke ja noch in den Klauen. „Watt denn nu?“ fragt sie verdattert, „is dit nu ihr Jeld oder von den Mann, der dit vajessen hat?“ Mich hat eine Art Galgenhumor gepackt und ich würde am liebsten antworten: Ach, ich hab’s mir überlegt und nehm es lieber selber, antworte aber stattdessen: „Ja, wie sie sehen können, sind bei mir gerade tausend Euro abgebucht worden, genau das Geld, das ich hier in Händen halte, also gleich wieder drauf damit. Es war alles mein Irrtum.“
Die Dicke glotzt, macht aber, was ich sage. Ich bin das Geld wieder los, habe in der Aufregung aber vergessen, für mich etwas zurückzubehalten. Immerhin fällt mir wieder ein, dass ich ja eigentlich Geld brauchte. Dennoch beende ich mein Nullsummenspiel, da es in der Schlange hinter mir erneut und vernehmlich zu murren beginnt und ich den ersten tätlichen Angriff befürchte (klar doch, die halten meine ganze Aktion für einen perfiden Trick, mich vordrängeln zu können), also wage ich es nicht, die Verwirrung durch neuerliche Auszahlung zu mehren. Ich verlasse mit meinem Einzahlbeleg die Post und habe auf dem Weg zur Lesung hinreichend Gelegenheit, mir vorzustellen, wie die Geschichte weitergegangen wäre, hätte ich mein Geld dort am Schalter deponiert für einen Mann, der nie gekommen wäre. Ich habe die Dicke ja in einem gaaanz fiesen Verdacht …
Am nächsten Tag ging ich hier, bei uns auf dem Dorf, zur Post. Ich brauchte schließlich Geld.