von Martin Nicklaus
Jeder Ehrgeizgetriebene, der in der öffentlichen Diskussion heutzutage eine gewichtige Rolle spielen will, muss unter anderem sein Bekenntnis zur DDR als Unrechtsstaat ablegen. Wissenschaftlich bleibt dieser Begriff nichtssagend und lediglich reine in Wort gepresste dunkle Emotionalität.
Im Wesentlichen steckt dahinter eine Geschichtsauffassung, die neben Legitimation und Glorifizierung des Status Quo keinen Erkenntnisgewinn sucht. Gemäß dieser Auffassung heißt die Bundesrepublik Rechtsstaat. Kurz, Staaten, die eine historische Entwicklung verschluckte, sind Verlierer und demnach immer im Unrecht, wohingegen die Bleibenden Gewinner sind und ewigliches Recht für sich beanspruchen dürfen.
Ungeachtet des Rechtsstaats-Axioms – der sehr saloppe Übergang in der Jurisprudenz vom Nazireich zum westdeutschen Staat soll an dieser Stelle mal keine Rolle spielen – lautet eine alte bundesrepublikanische Weisheit: „Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand.“ Das bringt eine gewisses Offenheit hinsichtlich des Ausgangs von Gerichtsverfahren zum Ausdruck, was eine Beobachtung verstärkt, wonach unterschiedliche Instanzen zu gänzlich anderen Rechtsauffassungen kommen können, die dann, in der dazugehörigen Fachliteratur, noch einmal einen völlig neuen Impuls erhalten. So kann man zu dem Urteil gelangen, die Bundesrepublik sei zwar ein Rechtsstaat, das Rechtssystem an sich birgt jedoch für den Einzelnen mitunter große Überraschungen, woraus ein hohes Maß an Unsicherheit erwächst und im Einzelfall sehr schnell der Eindruck, Opfer großen Unrechts geworden zu sein. Wobei dieser Eindruck durchaus kein rein subjektiver sein muss, wie etliche Justizskandale zeigen.
Wie anders dagegen die Verfahren in der DDR. Hier ging es, nebenbei bemerkt, vor Gericht fast immer um den Clinch mit dem Staat, da die gänzlich anders organisierte Wirtschaft Verfahren von Privatleuten gegeneinander beinahe ausschloss oder, wenn notwendig, vor Schiedskommissionen abhandelte.
Beim Einzelnen (Normalbürger, ohne Ambitionen hinsichtlich SED, FDJ, DSF, GST oder Stasi) sanken, mindestens sobald der Fall eine politische Note bekam, was in einem Staat, der jede Regung für politisch hielt, recht schnell der Fall war, die Gewinnchancen auf Null. „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht.“ So gesehen bestand darin eine gewisse Form der Rechtssicherheit.
Ob das allerdings den Ausschlag für eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 2000 gab, wonach selbst DDR-Richter, die unbestritten politische Urteile fällten, Anwälte und Notare in der Bundesrepublik sein dürfen, bleibt offen. Wenn nun aber die Exekutivorgane des Unrechtsstaates derart Rechtsstaatstauglichkeit attestiert bekamen, was bleibt dann noch übrig, von der Unrechtsstaats-Theorie?
Schlagwörter: DDR, Martin Nicklaus, Partei, SED, Unrechtsstaat