von Holger Politt, Warschau
In Polen kennt ihn jeder, den einstigen Schnapsproduzenten Janusz Palikot. Neben Regierungschef Donald Tusk ist er bislang das bekannteste Gesicht der Regierungspartei PO (Bürgerplattform). Der studierte Philosoph steht auf dem liberalen Flügel, spielt virtuos auf dem Medienklavier – ein Enfant terrible, das nie mit einem Regierungsamt rechnen kann. Also ein Provokateur vor dem Herrn, so wie Leute einen mögen. Zielscheibe seines Spottes, seiner kunterbunten Attacken sind die Erzkonservativen, die er vor allem beim Konkurrenten PiS (Recht und Gerechtigkeit) ausmacht. Zuletzt noch sah man ihn mit Gitarre und poppiger Brille gegen Jarosław Kaczyński streiten, als der Präsident werden wollte.
Nun warf er den entsprechenden Handschuh nicht dem politischen Gegner, sondern seinem eigenen Parteichef vor die Füße. Für den 6. Dezember kündigte er an, Partei und Fraktion zu verlassen. Er tat es in Warschau vor 5.000 Menschen, die seiner Einladung gefolgt waren, die Wiege einer neuen politischen Bewegung zu bilden. Darunter befand sich viel Prominenz, Kazimierz Kutz zum Beispiel, Filmregisseur und PO-Senator, oder Magda Środa, Ethik-Professorin und bekannte Stimme der Feministinnen.
Die Ignorierung der Verfassung wolle er nicht mehr länger mittragen, was sich vor allem auf das Verhältnis von Staat und Kirche bezieht. Hier habe Premier Tusk versagt, sei eingeknickt und zu Kreuze gekrochen. Was sich seit dem 10. April, dem Tag des Flugzeugabsturzes, im Lande abspiele, gleiche der Diktatur einer Kirche. Palikot meinte die römisch-katholische. Und so forderte er in seinem dem staunenden Publikum vorgelegten Programm die strikte Trennung von Staat und Kirche, so wie in der Verfassung angelegt. Konkret etwa den Auszug des Religionsunterrichts aus den öffentlichen Schulen, der gehöre zurück in die Kirchgemeinden. Ein Tabu im öffentlichen Meinungsbild, denn kaum jemand wagt, die tatsächlichen Verhältnisse offen beim Namen zu nennen. Theoretisch gibt es die Wahl zwischen Religion und Ethik. Als Straßburg das Land im Sommer höchstrichterlich ermahnte, es mit dem Ethikunterricht ernster zu nehmen, beschloss der Liberale Tusk, dieses Problem bigott auszusitzen.
Und die Gleichstellungsbeauftragte der Regierung, eine Frau Minister, blamierte die liberale Innung. Als eine katholische Schule einer Lehrerin die Einstellung mit dem Argument verweigerte, sie sei lesbisch, gab die Ministerin der Schule mit einem Verweis auf Brüsseler Richtlinien recht. Denn dort gebe es Öffnungsklauseln, die in sensiblen Fällen wie diesem die Richtung weisen würden. In einer Fernsehdebatte auf diese offenkundige Fehlinterpretation angesprochen, erklärte die Gleichstellungsbeauftragte kurzerhand, sie werde mit ihrem Gesprächspartner nicht weiter reden, denn der sei in dieser Frage voreingenommen, weil schwul. Alle Forderungen nach Abberufung der Frau Minister wischte Tusk vom Tisch.
Daher kommt der hohe Zulauf für Palikot nicht von ungefähr. Er hat ein Ventil geöffnet, durch das viel aufgestaute Wut entweicht. Und er zeigt, wie nötig dem Lande eine dem Inhalt nach wirklich liberale Stimme wäre, die ohne Angst vor dem übermächtigen Episkopat die öffentlichen Dinge als öffentlich begriffe und als solche bezeichnete. An dieser Aufgabe scheiterten bisher viele, knickt auch die „Gazeta Wyborcza“ gern ein.
Vor diesem Hintergrund geschah bei der Wahl des neuen Staatspräsidenten etwas, worauf Palikot seit Wochen aufmerksam macht. Vielleicht trifft der Ausdruck Mogelpackung es am besten. Denn Polens neuer Präsident Bronisław Komorowski schmuggelte sich als ein Liberaler durch, ohne es im Entferntesten zu sein. Ihm gelten die öffentlichen Dinge im Lande als gut geregelt und eingerichtet, kein Deut daran brauche geändert zu werden. Gegen Kaczyński spielte er den Verteidiger liberaler Werte, ohne im Ansatz zu begreifen, was das für die öffentlichen Angelegenheiten bedeuten müsste. Die Verantwortung dafür schiebt Palikot aber dem Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden zu. Palikots beschlossener Auszug aus der Tusk-Partei verdeutlicht, wie viel in den kommenden Monaten noch in Bewegung kommen könnte. Es ist mehr als ein Sturm im Wasserglas.
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