13. Jahrgang | Nummer 21 | 25. Oktober 2010

Guten Appetit!

von Frank Ufen

Warum sollte man nach wie vor zur herkömmlichen Schlagsahne greifen? Denn mittlerweile gibt es etwas weitaus Besseres und Gesünderes. Das behauptet zumindest der Unilever-Konzern von einer seiner neuesten Kreationen – der „Rama Cremefine zum Schlagen“. Dieses Sahne-Imitat kann angeblich damit aufwarten, elf Prozent weniger Fett zu enthalten und reich an ungesättigten Fettsäuren zu sein. Doch in Wahrheit sind bloß zehn Prozent der Fettsäuren, aus denen dieses Produkt besteht, ungesättigt. Außerdem steckt in ihm eine geballte Ladung von Zusatzstoffen, die ihm einen sahneartigen Geschmack und ein sahneartiges Aussehen verleihen sollen. Dazu gehören Stabilisatoren wie Carrageen, Guarkernmehl und Johannesbrotkernmehl, Mono- und Diglyceride als Emulgatoren und der Farbstoff Carotin. Hinzu kommt ein spezieller Cocktail von Substanzen zur Aromatisierung des Ganzen. Fazit: Der Gebrauchswert der durch und durch synthetischen Schlagsahne von Unilever ist dürftig, aber sie ist fast doppelt so teuer wie die herkömmliche.

Ähnlich verhält es sich mit dem Retorten-Joghurt „Actimel“, der vom Hersteller als Wunderwaffe gegen Grippe und Erkältung angepriesen wird, obwohl es sich bei ihm bloß um eine völlig überzuckerte Kalorienbombe handelt, die etwa drei Mal so teuer ist wie gewöhnlicher Joghurt.

Was die Lebensmittelkonzerne heutzutage auf den Markt bringen – behauptet Thilo Bode, der Chef und Gründer von Foodwatch – sind in immer geringerem Maße Lebensmittel, die diesen Namen auch verdienen, sondern es sind Scheinlebensmittel und minderwertige Produkte. Warum das so ist, ist laut Bode leicht zu erklären. Da die Lebensmittelindustrie ihre Umsätze und Profite ständig steigern will, die Bäuche der Verbraucher aber gut gefüllt sind, hat sie sich Strategien einfallen lassen, die auf die veränderten Verhältnisse zugeschnitten sind. Gegenwärtig – konstatiert Bode – gibt die Lebensmittelindustrie allein in Deutschland 3,8 Milliarden Euro jährlich für Werbung aus. Diese gewaltigen Investitionen seien in erster Linie dafür bestimmt, die Verbraucher systematisch hinters Licht zu führen. Nach Bodes Berechnungen besteht das Gedruckte auf jeder Verpackung durchschnittlich zu 85 Prozent aus falschen und irreführenden Informationen, und der Rest sei mit bloßem Auge kaum zu entziffern oder könne allenfalls von Lebensmittelchemikern verstanden werden.

In Bodes Augen sind Lebensmittelkonzerne wie Nestlé, Kraft Foods, Kellogg’s oder Unilever längst dazu übergegangen, immer mehr Lebensmittel systematisch zu fälschen und zu verfälschen. Das müsse unbedingt vertuscht werden, und deshalb werde mit allen Mitteln versucht, dem Konsumenten weiszumachen, dass das, was er sich tagtäglich einverleibt, keine Lebensmittelimitate sind, sondern hochwertige Produkte – also solche, die auf traditionelle Art und Weise von Kleinbetrieben in unmittelbarer Nähe hergestellt werden, die ökologisch absolut unbedenklich sowie in jeder Hinsicht gesund sind und die noch dazu wie Medikamente wirken, weil ihnen etliche medizinisch segensreiche Substanzen beigemischt werden. Wem das noch nicht reicht, der kann mit jedem Kasten Bier, den er kauft, gegebenfalls auch noch ein Stück des tropischen Regenwaldes retten.

Die deutsche Nahrungsmittelindustrie erwirtschaftet mittlerweile einen Umsatz von 150 Milliarden Euro jährlich. Das, erklärt Bode, macht sie mächtig, derart mächtig, dass die Behörden, die für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zuständig sind, vor ihr völlig kapituliert haben und alles absegnen, was sie tut und treibt. Was in aller Deutlichkeit in dem Umstand zum Ausdruck kommt, dass es immer noch keine einheitliche und transparente Kennzeichnung sämtlicher Lebensmittel gibt.

Man kann Thilo Bode eine Reihe von Fehlern und Ungenauigkeiten ankreiden – angefangen damit, dass es wenig mit staatlich lizenziertem Etikettschwindel zu tun hat, wenn in Schinkenbrot nicht ein einziges Miligramm Schinken zu finden ist. Aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch. Eine furiose Kampfschrift, die ideale Lektüre für alle, deren Geschmackssinn noch einigermaßen intakt ist.

Thilo Bode: Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, 223 S., 14,95 Euro