von Wolfgang Schwarz
Die diesjährige UNO-Vollversammlung in New York ist im September angelaufen, und eine entscheidende Abstimmung ist auf den 12. Oktober terminiert: Da werden turnusmäßig neue nicht-ständige Mitglieder des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen, des Sicherheitsrates, für die nächsten beiden Jahre gewählt. Deutschland hat seinen Hut in den Ring geworfen, und Außenminister Guido Westerwelle hat für die Bewerbung zu Beginn der Vollversammlung am East River höchstselbst nochmals um Zustimmung geworben. Allerdings nicht bei seinem Auftritt im Plenarsaal des UNO-Hauptquartiers, denn Deutschland konkurriert um einen Sitz im Sicherheitsrat mit Kanada und Portugal. Die haben ebenfalls großes Interesse signalisiert, aber da sie beide NATO-Partner sind, verbot sich ein allzu offensiver „Wahlkampf“. Dafür traf sich Westerwelle hinter den Kulissen mit zahlreichen Amtskollegen aus aller Welt. Eine Abstimmungsniederlage am 12. Oktober wäre, so meinen Kommentatoren, auch eine Blamage für den deutschen Außenminister.
In anderer Hinsicht stehen die Chancen Westerwelles, weltpolitisch zu reüssieren, ebenfalls nicht zum Besten. Das betrifft leider den Bereich der nuklearen Abrüstung, die sich der deutsche Außenminister auf die Fahnen geschrieben und nicht zuletzt in den aktuellen Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU mit hineinverhandelt hat.
Am Rande der UNO-Vollversammlung hat Guido Westerwelle erklärt, dass nukleare Abrüstung „mindestens so ein großes Menschheitsthema wie der Schutz des Klimas“ sei, und vor dem Plenum brachte er zum Ausdruck, dass die für 2012 geplante internationale Konferenz zur Schaffung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten eine große Chance für Frieden und Sicherheit in der Region sei. Westerwelle wörtlich: „Wir engagieren uns für einen atomwaffenfreien Nahen Osten.“ Doch diesem unzweideutigen verbalen Bekenntnis steht eine eigentümliche Abstinenz im Hinblick auf praktische Aktivitäten zur Realisierung der erklärten Absichten gegenüber. Selbst die bloße Erwähnung Israels im Nahost-Kontext hat der Außenminister vermieden wie der Teufel das Weihwasser, obwohl jedem auch nur oberflächlich Informierten klar ist, dass an Israels Weigerung, den Besitz von Atomwaffen offiziell einzugestehen und diese im Rahmen internationaler Vereinbarungen und Sicherheitsgarantien zur Disposition zu stellen, nicht nur alle bisherigen Ideen zur Denuklearisierung des Nahen Ostens gescheitert sind, sondern dass deswegen voraussichtlich auch die geplante Konferenz ins Leere laufen wird. Israel lehnt eine Teilnahme ab, und meines Wissens hat kein westliches Land dazu bisher ein kritisches Wort gefunden. Auch der Bundesaußenminister nicht. Das weckt Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit.
Die nährt er jedoch vor allem durch sein inkonsequentes Taktieren im Hinblick auf das, was Deutschland selbst tun könnte, um die Ernsthaftigkeit seiner nuklearen Abrüstungsrhetorik unter Beweis zu stellen – nämlich in Bezug auf den längst überfälligen Verzicht auf die so genannte Nukleare Teilhabe. Auf dem Fliegerhorst Büchel des Jagdbombergeschwaders 33 der Bundesluftwaffe in der Eifel lagern immer noch bis zu 20 amerikanische taktische Nukleargefechtsköpfe, die im Ernstfall mit bundesdeutschen Tornados zum Einsatz kommen sollen. Dass es dafür keine sicherheitspolitisch oder auch nur militärisch-operativ irgendwie sinnvollen Optionen mehr gibt, ist mittlerweile Allgemeingut und nicht zuletzt in dieser Zeitschrift wiederholt thematisiert worden. Nachdem Westerwelle bei der NATO-Ratstagung in Tallinn im vergangenen April mit seinem Versuch gescheitert war, den Abzug dieser Waffen zum Thema zu machen – die USA, sekundiert von osteuropäischen NATO-Staaten, blockierten –, wäre zu erwarten gewesen, dass der Außenminister sich bei der Bundeskanzlerin dafür stark machte, den Teilhabeverzicht gegebenenfalls auch einseitig zu erklären. Das haben die Griechen vor Jahren getan, und wenig später erfolgte der Abzug der letzten amerikanischen Sprengköpfe von dort. Dass es deswegen eine Krise im Nordatlantikpakt oder auch nur eine anhaltende Verstimmung gegeben hätte ist nicht bekannt. Und dass die USA den Abzug aus Deutschland laut US-Außenministerin Hillary Clinton nunmehr nur im Zuge einer entsprechenden Vereinbarung mit Russland realisieren wollen, hätte für Westerwelle kein Hinderungsgrund sein müssen. Immerhin haben die Vereinigten Staaten seit Ende des Kalten Krieges bereits über 95 Prozent ihrer taktischen Gefechtsköpfe aus Europa abgezogen. Ohne jedes Agreement mit Russland, meist sogar ohne Information oder gar Konsultation der NATO-Verbündeten.
Rückendeckung vom Deutschen Bundestag hätte Westerwelle jedenfalls gehabt, denn der hatte die Bundesregierung erst im März dieses Jahres mit breiter, parteienübergreifender Mehrheit aufgefordert, „sich mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen“.
Derweil verfährt die Bundeswehr, als gingen sie die Abrüstungserklärungen des deutschen Außenministers nichts an und als sei die Nukleare Teilhabe noch auf Jahre sakrosankt. So werden in einem „Priorisierung Materialinvestitionen – Handlungsempfehlungen“ betitelten Papier des Bundesverteidigungsministeriums vom Juni dieses Jahres „zur Sicherstellung der Dauereinsatzaufgabe Nukleare Teilhabe“ weiterhin 46 Kampfjets vom Typ Tornado IDS als „erforderlich“ bezeichnet. Um daran auch in Zeiten infolge Überalterung abnehmender Tornado-Bestände und knapper Kassen festhalten zu können, sollen, so vermeldete „Der Spiegel“, gegebenenfalls ein anderes Tornado-Geschwader aufgelöst und das Ausbildungszentrum in Holloman (USA) aufgegeben werden.
Das ergibt folgendes Erscheinungsbild: Der Außenminister votiert auf der internationalen Bühne verbal für nukleare Abrüstung, die Bundeswehr ventiliert zu Hause Handlungsempfehlungen, die von der Beibehaltung des nuklearen Status quo ausgehen oder diesen gar zementieren sollen. In dem Bundeswehrpapier heißt es nämlich auch: „Keine Einschränkungen für Dauereinsatzaufgaben (Nukleare Teilhabe …).“
Für Verschwörungstheoretiker dürfte diese Diskrepanz zwischen Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium den Tatbestand eines Spiels mit gezinkten Karten erfüllen, aber in einem hochkomplexen demokratischen Staatswesen wie dem unseren ist die Ursache hoffentlich trivialer. Da weiß die rechte Hand vermutlich nur mal wieder nicht, was die linke will oder tut – und umgekehrt.
„Wir sollten nicht dieses Jahrzehnt verlieren, wie wir das letzte Jahrzehnt verloren haben.“ Auch dieser appellierende Satz – gemünzt auf die nukleare Abrüstung und die diesbezügliche Stagnation während der Jahre von George Bush junior im Weißen Haus – stammt von Guido Westerwelle. Noch hat er die Möglichkeit, in diesem Kontext Teil der Lösung zu werden und nicht zu einem Teil des Problems zu mutieren – und das umso mehr, sollte am 12. Oktober in der UNO-Vollversammlung die Entscheidung pro Deutschland fallen. Doch selbst ein gegenteiliges Ergebnis sollte für einen überzeugten Abrüstungsbefürworter in gehobener Position allenfalls ein Ansporn sein, nun erst recht das Notwendige zu tun.
Schlagwörter: Abrüstung, Atomwaffen, Bundeswehr, Guido Westerwelle, Nukleare Teilhabe, Sicherheitsrat, UNO, Wolfgang Schwarz