von Klaus Hammer
Auf seinem Weg zu einer eigenständigen Bildsprache hat Nolde wesentliche Impulse nicht nur von den alten Meistern, allen voran Rembrandt, sondern auch von zeitgenössischen Künstlern wie van Gogh, Munch, Ensor oder den Malern der „Brücke“ erhalten. Oft waren es tradierte Themen und Motive, die er aufgriff, veränderte und sie der eigenen schöpferischen Phantasie unterwarf. Das zeigt sich vor allem in seinen Frauenbildern, die jetzt die Dependance Berlin der Nolde Stiftung Seebüll erstmals in einer eigenständigen thematischen Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert. Sie wird von Jörg Garbrecht kuratiert, der Noldes Frauenbilder mit historischen wie zeitgenösssischen Werken in Beziehung setzt, um so dem Betrachter die Möglichkeit zu geben, Vergleiche anzustellen, Anregungen, Verwandtschaften wie Umdeutungen und Entgegensetzungen zu konstatieren.
Noldes „Mädchenbildnis“ auf Goldgrund von 1913 nimmt scheinbar die Tradition der Ikonen wieder auf, entrückt es aber nicht der Wirklichkeit, sondern die Farbe fungiert hier als psychisches Ausdrucksmittel, offenbart das Seelenleben der jungen Frau. Auch die grünen Lippen und Haare oder das teils blaugraue, teils grünbeige Inkarnat der „Jungen Dänin“ (1913) verweigern jede Nachahmung der Wirklichkeit und werden zum reinen Stimmungsträger. In der mitunter abwandelnden Wiederholung und dem spielerisch freien Umgang mit Valeurs und Kontrasten der Farbe mag manches Frauenporträt Noldes heute tatsächlich wie eine Vorwegnahme von Warhols Porträts der Marilyn Monroe anmuten.
Immer wieder ging es Nolde darum, ein Drama höchster exemplarischer Emotionen zu schaffen. Während Arnold Böcklins „Triton, eine Nereide auf dem Rücken tragend“ (1857) uns in mediterrane klassische Welten führt, ist Noldes „Meerweib“ (1922) in der nordischen Sagen- und Seenwelt zu Hause und macht die Urgewalt des Meeres fühlbar. Der Strand wird bei Nolde oft zu einem Ort phantastischen Zusammentreffens, so in „Begegnung am Strand“ (1920), einer Weiterführung von Botticellis „Geburt der Venus“, worauf Jörg Garbrecht verweist. Während bei Botticelli der Westwind Zephyrus und der sanfte Lufthauch Aurora die schaumgeborene Liebesgöttin behutsam ans Land wehen, wütet bei Nolde ein Sturm über den Strand, der die See aufwühlt und die Wolken den Himmel entlang jagt.
Das in der Kunstgeschichte reiche Beziehungsspiel zwischen Mann und Frau hat Nolde um weitere Facetten erweitert. „Erste Menschen“ (1922) stellt zwei in animalischem Verlangen nach körperlicher Nähe sich im Kuß vereinigende Menschen dar, zwischen die sich die züngelnde Schlange als die Aussage unterstützendes Symbol gedrängt hat. Dagegen trennt in dem monumentalen „Verlorenen Paradies“ (1921) die Schlange am Baum der Erkenntnis das Menschenpaar Adam und Eva, „zerknirscht und ratlos in die Zukunft schauend, verstoßen und leidend“, so Nolde in seiner Autobiographie.
Der von Nolde bewunderte Edvard Munch sah die Frau weniger als soziales Wesen denn als Elementargewalt, entweder als Vampyr oder Urmutter und als unerbittliches Fruchtbarkeitssymbol. Ob die Frau den Mann in ihrem Schoß zärtlich liebkost oder ihm einen tödlichen Nackenbiss versetzt, das läßt sich an Munchs „Vampyr II“ (1895/1902) nicht ablesen. Auch Noldes erschütterndes Porträt „Thora“ (1921) mit dem so sprechenden, durchdringenden Blick ähnelt einer Sphinx, die die Zukunft des Betrachters vorauszusagen scheint.
Das Kräfteverhältnis zwischen Mann und Frau verbildlicht Nolde in direktem Gegenüber ohne szenischen Hintergrund in den beiden Varianten von „Weib und Mann“ (1919). Während in Fassung I der nackte Frauenkörper sozusagen als Vexierbild erscheint, um das Liebesspiel zwischen Mann und Frau erotisch aufzuladen, erträgt die nackte Frau in Fassung II selbstbewußt und gelassen die ersten Annäherungsversuche des machohaft grinsenden Mannes. Gleich wird sie ihn abrupt zurückweisen. Dagegen scheint sich in Noldes Aquarell „Tier und Weib“ (1931/35) der Mann beim Anblick der begehrenswerten nackten Frau in ein lüstern-triebhaftes Raubtier verwandelt zu haben. Gibt es hier eine Assoziation zu Picassos Minotaurus, dem Stier als Sinnbild der männlichen Lust und Potenz, wie in der Radierung „Bacchanal mit Minotaurus“? Aber bei Nolde hat der Panther nicht die Kontrolle über die Frau. Es ist ihr jederzeit möglich, ihn abzuwehren oder sich zu befreien. Auch hier wieder ist die Szene vielschichtig angelegt und offen für verschiedene Deutungen.
Ekstatisch wirbeln Noldes „Kerzentänzerinnen“ (1912) umeinander, scheinen über den Bildrand hinauszustreben – sie sind rasenden Mänaden vergleichbar, den mythologischen Begleiterinnen des Dionysos, des griechischen Gottes des Weines und der Fruchtbarkeit. Lebensgroß und um ein Vielfaches heißer finden sich die kleinen Flämmchen der Kerzen in den zuckenden Körpern der Tänzerinnen wieder. In der ausgelassenen, enthemmten Sinnenlust, dem Entfesselten, Rauschhaften läßt dieses berühmte Bild an Nietzsches „Zauber des Dionysischen“ denken.
Eine stille Harmonie und gereifte Lebenseinsicht verkörpert das Paar in „Lebensreife“ (1933), deren Köpfe sich silhouettenhaft vor dem leuchtend-blauen Hintergrund abzeichnen. Kaum ein Vergleich läßt sich mit dem Gemälde „The Philosopher’s Chair“ (1999) des Amerikaners Eric Fischl herstellen. Während Nolde die körperliche und geistige Nähe eines Paares verbildlicht, herrscht bei Fischl trostlose Distanz.
Inspiriert durch die Werke anderer Künstler und getrieben von seinem phantasiereichen Gestaltungswillen brachte Nolde eine Vielfalt unterschiedlicher wie vielfältig deutbarer Frauendarstellungen hervor, als Suche nach einem Frauenbild, das Klischees durchbrechen und den veränderten Lebens- und Verhaltensformen der Frauen entsprechen, aber zugleich den Reiz und das Geheimnis der Frau bewahren soll.
Bewundert, gefürchtet und begehrt – Emil Nolde malt die Frauen. Dependance Berlin der Nolde Stiftung, Jägerstr. 55 (am Gendarmenmarkt), bis 31. Oktober. Katalog (DuMont Buchverlag Köln) 29 Euro.
Schlagwörter: Emil Nolde, Klaus Hammer