13. Jahrgang | Nummer 18 | 13. September 2010

BEMERKUNGEN

Berechneter Schein

Eine gelangweilte Studentengruppe sitzt im großen Saal, rechnen ist angesagt, sie wollen eigentlich nur gestalten, aber sie müssen ja wissen, ob das was sie entwerfen auch stehen könnte.
Etwas Bekanntes ist in solchen Momenten angebracht, lockert die zähe Masse, die sich Lernstoff nennt. In dem Gebäude wurden früher Tierleichen feilgeboten. Ein Besitzer kam, viele Besitzer gingen und es wurden immer mehr bis der Wert vernichtet wurde und man selbst enteignet, Besitzer werden musste. Die Schlachter und ihre Kunden hatten nie nach oben geschaut, in den Dachstuhl. Er war dort, schützte, er hielt, er hält – selbstverständlich.
Der Prof zieht die Konstruktion hervor, ihm ist da was aufgefallen als er beim klassischen Konzert war. Das Fachhirn rechnete und konnte es kaum glauben, wollte raus hier, aber es steht ja schon so lange, warum sollte es mich treffen?
Zuhause beäugte er, erinnerte sich an seine Studenten, eine kleine Übung, einhundertdrei Studenten hatten herausgefunden, dass dieses Gebäude stehen könnte. Die restlichen zweihundertsechsundachtzig wussten: Da gehe ich nur hin, wenn wirklich etwas Spannendes kommt. Der Prof gab ihnen Recht. Seit dreiundsiebzig Jahren steht es dort – vielleicht ist es egal ob wir uns verrechnen, weil die Instrumente nicht stimmen – eine konstruierte Scheinwelt, in der es sich leben lässt.

Paul

Beschäftigt beim Denken und Beten

Die Thüringer begehen in diesen Tagen den 1. Jahrestag, daß sie endlich den Dieter, den Althaus los haben. Aber der Abschied aus der Politik ist dem todbringenden Fahrdrauf auch verdammt leicht gefallen, denn gute Freunde aus dem Haus Magna International fingen ihn auf. Die österreichische Zulieferfirma, mit Sitz in Wolfsburg, die sich für die Autoindustrie manch Schnickschnack einfallen läßt, stellte den Wirtschaftsweisen Dieter Althaus ein. Zwar hat dieser in Wirklichkeit nie gelernt mit Geld ordentlich umzugehen — als Lehrer, Pionierleiter und christlicher Politiker war das nicht von Nöten — aber irgendwie wird seine „Fachkompetenz“ trotzdem gebraucht. Man geht im Bratwurstland immer noch davon aus, daß die fiesen Beziehungen Nutzen bringen sollen. Außerdem hat Althaus diesen sehr gut bezahlten Job schon während der Gespräche als Ministerpräsident festgemacht, als Magna Opel übernehmen wollte. Vor gut einem Jahr hatte die Eichsfelder Wurst die Zusammenhänge sogar anklingen lassen: „Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Zumal ich Magna aus meiner Zeit als Ministerpräsident gut kenne.“ Nun reist er nach den USA, nach Kanada, China oder fegt mit seinem neuen Dienstwagen Audi Q7 (Dreilitermotor, Allradantrieb, 240 PS) viel zu schnell durch Deutschland, um irgendetwas Wichtiges zu erledigen. Wie Dieter Althaus zwischen all diesen Dienstfahrten schnell seinem Heimatblatt, der Thüringer Allgemeinen, steckte, will er „definitiv nicht zurück“ in die Politik. Warum auch? Man kann sich ja auch schön aus Wolfsburg, Kanada oder China bei bestimmten Dingen zu Wort melden. So stellte er während der Rentendiskussion fest: „Ein Angestellter oder Wissenschaftler kann eventuell bis 70 arbeiten.“ Hm, sind wir auch keinen Schritt weiter. Wie der Ex-Politiker ebenfalls der Thüringer Allgemeinen berichtete, ist diese ganze Sache mit dem Unfall in Österreich vorbei, er ist vielmehr zufrieden und rundum glücklich. Althaus direkt: „Da ist gesundheitlich nichts, was mich belastet oder verfolgt.“ Ab und an beschäftigt ihn das aber doch, nämlich beim Denken und Beten, wie die Thüringer Allgemeine zu berichten weiß: „Natürlich beschäftigt mich das, in meinen Gedanken und Gebeten.“ Da stellt sich doch die Frage: Ist Dieter Althaus eigentlich schon aus dem „Verein gegen das Vergessen“ ausgetreten? Oder hat er das vergessen? Die Verhandlungen über eine Entschädigung der Opferfamilie dauern immer noch an, 20 Monate nach dem Unfall. Althaus hat ja Zeit, er kann schnell vergessen und weiß eine Firma mit 26 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr hinter sich. Ab November können die Thüringer den Althaus endlich vergessen, dann beendet er die Arbeit in der Bundespartei CDU.

Thomas Behlert

Weg damit!

Die ihr errungnes Gut geschändet habt,
bezwungnes Böses nicht beendet habt,
der Freiheit Glück in Fluch gewendet habt;
Hinaufgelangte, die den Wanst gefüllt,
vor fremdem Hunger eigne Gier gestillt,
vom Futtertrog zu weichen nicht gewillt;
Pfründner des Fortschritts, die das Herz verließ,
da Weltwind in die schlaffen Segel blies,
vom Bürgergift berauschte Parvenüs,
die mit dem Todfeind, mit dem Lebensfeind
Profit der Freiheit brüderlich vereint,
die freier einst und reiner war gemeint –
mein Schritt ist nicht dies schleichende Zickzack,
mein Stich ist nicht dies zögernde Tricktrack:
er gilt politischem Paktiererpack!

Karl Kraus

O-Töne

Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.

Es war ihm unmöglich, die Wörter nicht in dem Besitz ihrer Bedeutungen zu stören.

Ein Grab ist doch immer die beste Befestigung wider die Stürme des Schicksals.

Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?

Es gibt Leute, die glauben, alles wäre vernünftig, was man mit einem ernsthaften Gesicht tut.

Ihr Unterrock war rot und blau sehr breit gestreift und sah aus, als wenn er aus einem Theater-Vorhang gemacht wäre. Ich hätte für den ersten Platz viel gegeben, aber es wurde nicht gespielt.

Georg Christoph Lichtenberg

Wirsing

In einer Kopfzeile der beliebten springerschen „Berliner Morgenpost” konnte man zum als „Stuttgart 21“ bekannten Bauskandal lesen: „Der Abriss des alten Kofbahnhofs beginnt.“ Lassen wir einmal die Frage des einfachen oder doppelten o beiseite – dof ist doof, da helfen keine Pillen! – so erinnert der Stuttgarter Kofbahnhof doch an den zu Tucholskys Zeiten populären Koofmich, jemanden, der keine Prinzipien kennt, wenn er nur verdienen kann. Nun fragt man sich, ist es gerade die deutsche Bahn (noch überwiegend in Bundeshand) oder sind es nur die baden-württembergischen Politiker, die eine ganze Republik (nämlich uns Steuerzahler) für dof verkaufen wollen? Insofern hat Springer mit dem Kofbahnhof ins Schwarze getroffen!

Fabian Ärmel