13. Jahrgang | Nummer 18 | 13. September 2010

Abflug

von Martin Nicklaus

„Eigentlich wollte der Verteidigungsminister deutsche Soldaten mit einem Besuch überraschen. Talibankämpfer kamen ihm zuvor“, beschrieb die Financial Times Deutschland die Situation im Kriegsgebiet. Schon auf dem Weg zu seinen Leuten, drehte der Minister ab. Ein schönes Beispiel für „Feigheit vor dem Feind. Beim zweiten Versuch klappte es besser. Ob daran die von Guttenberg an den Hindukusch beorderte Panzerhaubitze 2000, eine moderne „Dicke Berta“ ihren Anteil hat, bleibt offen.

Hinsichtlich dieser wäre es jetzt nur wünschenswert, die Taliban paßten sich der neuen Waffe an, stellten entsprechende Ziele bereit und wagten sich vor allem nicht zu nah an deutsche Stellungen heran. In diesem Fall dürfte die Unterstützung durch das aus weiter Ferne notorisch blind wirkende Geschütz eher zu Verunsicherungen der eigenen Soldaten führen. Überhaupt fehlt deren Reaktion auf den technischen Neuzugang. Was wir dagegen amtlich wissen, faßte bereits 2009 der Bericht des Bundeswehrbeauftragen zusammen. Es mangelt an: Ausbildung, ständig einsatzbereiten Panzerwagen, Drohnen, die unter den örtliche Gegebenheiten funktionieren und ebensolchen Hubschraubern (Sand und Sonne hatte niemand einkalkuliert) sowie ausreichend Munition.

Gehen den Soldaten bei Schießereien die Patronen aus, was tatsächlich passierte, können sie, bis Verstärkung kommt, nur mit Steinen und Schimpfworten um sich schmeißen. Wobei in Militärkreisen die Wirksamkeit letzterer Kampfmethode, schon aufgrund der Sprachbarriere, als eher gering eingeschätzt wird. Politiker an der Heimatfront kümmert das wenig. Sie bepöbeln den Gegner, unterstellen ihm Feigheit und Heimtücke. Hinsichtlich dieser blenden sie die Bombardierung zweier im Sand am Kundus festsitzender Tanklastzüge (wer erinnert sich?) gänzlich aus. Was jene angeht, sieht das Verhältnis zwischen Taliban und Alliierten ungefähr eins zu vier aus. Auf dem Schulhof hätten da die Alliierten als feige gegolten.

Was der, wie man langsam merkt, ziemlich kriegsuntauglichen Bundeswehr ebenfalls fehlt, ist eine Möglichkeit, eigene Leute rauszufliegen, im Sinne von „nach Hause“. In zehn Jahren Krieg konnten keine eigenen langstreckentauglichen Truppentransporter, trotz vorhandenem Geld, gekauft werden und nun fliegen Propellerflugzeuge aus den sechziger Jahren, denen es an Reichweite mangelt. So muß sich die deutsche Politik mit usbekischen Diktatoren oder dem aktuellen russischen Zaren gut stellen, um in deren Ländern zwischenlanden zu können oder für Non-Stop-Flüge ukrainische AN 124 ausleihen.

Darüber kleben nun trostpflasternd eine Dicke Berta 2000 und ein paar warme Worte von Guttenberg, den Fotos angeblich an vorderster Front zeigen, was der lässig in der Hand getragene Helm gleich widerlegt. Ein Umstand, der beim Stationierungsbefehl der Haubitze wahrscheinlich nur eine geringe Rolle spielte (hatte ihm wohl wieder jemand Informationen vorenthalten), war, daß großkalibrige Waffen gegen eine Guerilla ausgesprochen witzlos sind. Mit Kanonen auf Spatzen…

Aus diesem Grund setzte die Wehrmacht die Dicke Berta statt zur Partisanenbekämpfung bei der Belagerung von Sewastopol und gegen den Aufstand im Warschauer Ghetto ein. Soll das ein Fingerzeig auf die weitere Kriegstaktik sein? Aber was wollte man damit in Afghanistan pulverisieren, was die US-Air Force nicht längst weggebombt hatte?

Na gut, im Fall der Tankwagen wäre Aufsehen vermieden worden, weil die Amerikaner nicht hätten petzen können. Allerdings schrumpfen Lastzüge bei einer Entfernung von sechs Kilometern auf Nadelgröße, was zwar, wenn man sie per Salve bekämpft, die Zahl der Opfer bedeutend erhöht, die Fahrzeuge allerdings keinesfalls notwendigerweise beschädigt. Den Hinterbliebenen der Opfer möchte Guttenberg nun Entschädigungen zahlen. Wunderbare Idee. Sie addiert sich zu den finanziellen Anreizen für Aussteiger-Taliban, die Westerwelle bereitstellt.

Somit wird, auch unter Mitwirkung von Karzei, der nach der sich deutlich abzeichnenden Niederlage der Alliierten neue Verbündete braucht, an einer die Situation nicht gerade vereinfachenden Strategie gestrickt. Demnächst unterscheidet man gute und böse Taliban. Waren Taliban bisher kaum von Zivilbevölkerung unterscheidbar und verbündete afghanische Truppen nicht von feindlichen, bekommt das Verwirrspiel nun eine gänzlich neue Komponente. Dazu treten noch Paschtunen, Usbeken, Drogenbarone und Tadschiken, die sich alle nicht grün sind, auf. Da wird die Dicke Berta ganz schön differenzieren müssen, oder, was sie viel besser kann, gleichmachen.

Für die Warlords eröffnen sich damit ungeahnte Finanzierungsquellen. Sie können jetzt ganze Dörfer losschicken, sich per Antrag auf gemäßigten Taliban einen Obolus abzuholen und damit ihren Krieg finanzieren. 50 Millionen Euro gibt der diesen Krieg mehrheitlich ablehnende deutsche Steuerzahler. Natürlich klingt das gegenüber den, Krise hin, Sparzwang her, rund 92 Milliarden Euro, die das afghanische Abenteuer nach Schätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kosten kann, wie ein Klacks. Jedenfalls werden potentielle Gegner der schlecht ausgebildeten und schlecht ausgerüsteten Bundeswehrsoldaten stark gemacht. Anders: Geld, das am Equipment der eigenen Truppen gespart wurde, fließt dem potentiellen Feind zu.

Allerdings bedroht die Alliierten bisher noch kein hochentwickeltes Waffensystem, außer den von den Amerikanern an die Mudschaheddin, der Keimzelle der Taliban, gelieferten Flugabwehrraketen. Sicherheitshalber fliegen die US-Jäger, die es braucht, um Besuche deutscher Politiker aus der Luft zu sichern, eine Etage oberhalb der Steighöhe von Stinger-Raketen.

Zumindest eines widerlegt die schlechte Ausrüstung — wird doch der Bundeswehr, schon wegen einiger Kasernennamen, gerne unterstellt, sie stehe in der Tradition der Wehrmacht. In solch einem Fall hätte die oberste Heeresleitung doch aus Stalingrad gelernt und nie wieder Soldaten unzureichend ausstaffiert in die Schlacht geschickt. Oder besteht die Tradition in der Konstanz der Inkompetenz, Schlamperei und Mangelwirtschaft?

Wenn Tucholsky feststellte, „Soldaten sind Mörder“, greift das zu kurz, denn Soldaten halten nur die Knochen hin, sind, und das dürfte zu ergänzen ganz in seinem Sinne sein, Werkzeug in den Händen jener wahren Mörder, die plan- und absichtvoll von Schreibtischen aus die Abschlachtung des Gegners, traditionell ohne Rücksicht auf eigene Verluste, betreiben. Doch wenn Kanzlerin, Minister, Parlament und Generalstab Soldaten ohne ausreichendes Wissen, Feuerkraft, Schutz und sonstiger Ausstaffierung in die Schlacht ziehen lassen, wird die Sache noch perfider. Eine Mutter, deren Sohn der „Heldentod“ in seiner ganzen Erbärmlichkeit begegnete, erstattete inzwischen, mit Hinweis auf die Aussagen des Wehrbeauftragten, Anzeige.

Was schert es die Bonzen, sind ja nicht ihre Kinder, sondern eher Arbeitssuchende, insbesondere Ostdeutsche. „Why don’t presidents fight the war? Why do they always send the poor?” fragen sich „System of a Down“ und wir erleben ein trauriges Beispiel der Amerikanisierung. Bleibt nur zu hoffen, daß die eine Grenze kennt, denn inzwischen forderte der neue US-Oberkommandierende General Petraeus: „Rammt eure Zähne in das Fleisch der Aufständischen!“

Man muß fürchten, die Amis drehen jetzt total durch. Damit ist endgültig der Zeitpunkt für Deutschland erreicht, sich, besser heute als morgen, an die Ukraine zu wenden.