von Ulrich Scharfenorth
Monatelang fahren die kamerabestückten PKWs durch unsere Lande und keiner muckt auf. Jetzt erst, quasi im Nachhinein, zu einem Zeitpunkt, da Google Street View bereits zahllose Straßenansichten im Sack hat, wird geknurrt. Die Zeitungen, denen kein Fressen heiß genug ist, übertreffen sich plötzlich, einmal in Immobilien-Video-Shows, dann quasi übergangslos in eilfertigen Hinweisen auf das Widerspruchsrecht. Google filmt, was das Zeug hält, muss sich nun aber, da im Volk Widerstand aufwächst, eben diesen gefallen lassen. Zunächst bis Ende Oktober 2010 können diejenigen, die ihr Haus bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt bei Google vermerkt oder eben nicht vermerkt wissen wollen, diese Absicht auch online kundtun (http://maps.google.de/intl/de/help/maps/streetview). Eine gesetzliche Grundlage fürs Filmen, aber ebenso auch fürs Ausradieren gibt es in Deutschland bisher nicht. Dafür aber immer wiederkehrende Hinweise von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, daß man sich nicht so haben solle. Schließlich freue man sich ja auch, wenn man seinen Konsumfreuden diese und jene virtuelle Infotour voranschicken könne. Da sei es einfach unfair, wenn man ähnliche Einsichten bei sich vor der Haustür verweigere. Nun, es könnte sein, daß de Maizière über den Dingen steht, sich offen weltmännisch geben möchte – wie das nach Auskunft der Medien in den USA, in Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich längst der Fall sein soll (Rheinische Post, 18. August 2010). Dort soll es um einiges furchtloser zugehen. (Inzwischen will der Bundesinnenminister aber doch eine gesetzliche Regelung auf den Weg bringen).
Der Argwohn der Deutschen sei vermutlich darin begründet – so der Rechtshistoriker Uwe Wesel – daß Deutschland ein Drittes Reich durchlebte. Letzteres habe sich ziemlich einzigartig auf das bundesdeutsche Grundgesetz, im Besonderen auf das darin verankerte Persönlichkeitsrecht, ausgewirkt (WDR 3, 17. August 2010). Laut Wikipedia ist im so genannten Recht auf informationelle Selbstbestimmung das Recht des Einzelnen verankert, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen (Datenschutz-Grundrecht). Das mag starr und festgezurrt erscheinen. Warum auch nicht? Wer willkürlichen Übergriffen profitorientierter Akteure Grenzen setzt, muss noch lange kein ängstlicher Zauderer oder Wirtschaftsbremser sein. Immerhin sind die von Google künftig bereitzustellenden Daten für jeden abgreifbar – nicht nur für die immer wieder beschworenen Kriminellen, auch für Innenministerium und Verfassungsschutz. Wenn wir bei zunehmender Unaufmerksamkeit neben der elektronischen Fußfessel, dem implantierten RFID-Chip und Nacktscannern nun auch noch Ablichtungen unseres persönlichen Wohnumfeldes zulassen, ist es bis zur Totalüberwachung nicht mehr weit. Schließlich ist man auch, was unser Gehirn angeht, bereits dabei, nicht nur nach-, sondern abzubilden – zweifellos in der Absicht, unseren Gedanken auf die Schliche zu kommen.
Nein, liebe Mitbürger, wir dürfen dem Abscannen unserer Wohnungen und Häuser nicht tatenlos zuschauen. Diese Sphäre muss geschützt bleiben – ganz gleich, wie andere darüber denken. Und … jeder Widerspruch zählt. Erst wenn Google blanke Kraterlandschaften auswirft, ist das Ziel erreicht. Bis dahin muss es nicht weit sein.
Schlagwörter: Bundesinnenminister, Drittes Reich, Google Street View, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Thomas de Maizière, Ulrich Scharfenorth