von Martin Nicklaus
Sparen heißt seit einigen Jahren das Zauberwort allen haushaltspolitischen Wirkens im Staate schlechthin. Sonderbarerweise führte bisher alles Sparen zu ständig neuen Kreditaufnahmen und immer höheren Schulden. Selbst beim unbedarftesten Beobachter sollte sich da der Verdacht einstellen, hier wird vor allem mit ökonomischem Sachverstand gespart. So sparen die Regierenden seit Jahren zum einen mittels neuer Gesetze an Steuereinnahmen, andererseits an Finanzbeamten, um wenigstens die möglichen Abgaben einzuziehen, ohne im Geringsten auf die Idee zu kommen, darin könnte der Geldmangel gründen. Um dieser naheliegenden Gedankenverkettung unbeschadet ausweichen zu können, bedarf es einer Ideologie, die im allgemeinen Neoliberalismus heißt, allerdings wegen ihres Dogmatismus, der Unflexibilität, intellektuellen Dumpfheit, Selbstwidersprüchlichkeit und Menschenverachtung eher wie ein ökonomischer Faschismus, oder, bleiben wir auf dem Teppich, Wirtschaftstotalitarismus daherkommt.
Adepten dieser Ideologie behaupten, Steuersenkungen bei Reichen und Unternehmen erzeugen Mehreinnahmen im Staatshaushalt, da die ihr Geld in den Wirtschaftskreislauf investieren, um weiteren Profit zu erzielen. Wer allerdings investiert in die reale Ökonomie, die bestenfalls fünf Prozent Rendite abwirft, wenn Ackermanns virtuelles Kasino 25 Prozent verspricht? Inzwischen fertigte das Deutsche Instituts für Wirtschaftsforschung eine Studie zu dem, was die Spatzen von den Dächern pfeifen: Zwischen 2000 und 2009 mehrte sich jeweils der Reichtum der Reichen und der Reichtum an Armen im Staat. So sieht als das Ergebnis einer Politik zwischen Steuersenkungen und Sparen aus.
Was die Neototalitaristen einfach auszublenden in der Lage sind, ist die Investitionstätigkeit des Staates, der damit neben politisch-gestalterischen Impulsen auch ökonomische Anreize setzt. Ihnen dient der Staat lediglich zur Umlenkung von Volksvermögen in ihre Taschen, weshalb die Großzügigkeit, mit der er Banken (HRE 80, Commerzbank 18, IKB acht, Bankenrettungsschirm 480 Milliarden Euro) unterstützt bei den Sparapologeten keinerlei Protest hervorruft.
Konjunkturprogramme dagegen erfahren starke Anfeindungen, obwohl in diesem Fall das investierte Kapital zum größten Teil wieder beim Staat landet und so dem Wirtschaftskreislauf erhalten bleibt. Das beginnt mit der Mehrwertsteuer, die der prahlerisch verkündeten Gesamtsumme eines Hilfspaketes gleich wieder abzuziehen wäre, andererseits umgehend neuen Projekten zur Verfügung steht. Zusätzlich generiert solch ein Programm Eigenmittel von den Geförderten, die ebenfalls Mehrwertsteuereinkommen erzeugen.
Mit den Geldern werden gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Arbeiten verrichtet, wofür Löhne und Gehälter fließen, aus denen sich entsprechende Steuern und Sozialabgaben ableiten. Darüber hinaus haben die Steuerzahler Geld für den Konsum zur Verfügung. Wobei auch hier die Neototalitaristen eine ökonomisch lähmende Komponente integrierten, indem sie die „Private Vorsorge“ etablierten, die der Realökonomie zu Gunsten der Spekulation und der Gewinne von Versicherungskonzernen Kapital entzieht. Dennoch bleibt nach Erwerb des Notwendigen Geld übrig, für Firlefanz oder, um es im Konzert, Theater, Kino, Urlaub oder in der Kneipe in Lebensfreude zu investieren. Derart funktioniert der Wirtschaftskreislauf, der sich über steigende Nachfrage, Ausweitung der Kapazitäten zur Nachfragenbefriedigung, Ausweitung der Produktionskräfte, höhere Löhne, weitere Nachfragesteigerungen erzeugt und sich dergestalt selber aufschaukelt. Gleichzeitig steigen die Steuereinnahmen und der Staat kann am Ende tatsächlich sparen.
Beim Lob „Vernünftiger Lohnabschlüsse“ blenden die neototalitaristischen Kommentatoren diesen Prozeß beharrlich aus. Löhne sind Nachfrage! Henry Ford wußte das noch und erklärte, er zahle seinen Arbeitern deshalb so viel, damit sie seine Autos kaufen können. Vor der Erkenntnis solcher Zusammenhänge steht in Deutschland allerdings die Exportgläubigkeit, gleichzusetzen mit dem Glauben an ein Füllhorn, aus dem es die Götter unendlich fließen lassen. Hauptexportgüter sind, aber das nur nebenbei, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau, ohne daß dabei ein wirkliches Ergebnis auf der Habenseite zutage tritt. Beispielsweise könnte Griechenland seine durch den Handelsbilanzüberschuß Deutschlands entstanden Schulden nur abtragen, würde es seinerseits einen Handelsbilanzüberschuß gegenüber der Bundesrepublik erzielen. Dazu müßten die Löhne hier dramatisch steigen. Doch die stagnieren bestenfalls.
Deshalb nahm Griechenland reichlich Kredite auf, für die – neben anderen – Deutschland inzwischen als Bürge geradesteht. Aus dem Handelsbilanzüberschuß wird dann in der Realität eine Nullnummer, abzüglich der Zinsen für das kreditstellende Finanzmonster.
Ebenso unmittelbarer Bestandteil des Neototalitarismus ist die Halluzination vom Heil der Privatisierung. Hier kann die Öffentliche Hand nie gewinnen, tauscht lediglich Sachwert gegen Geld, geht man mal davon aus, sie macht wegen Übervorteilung kein Verlustgeschäft. Auf jeden Fall verliert sie ihre Gestaltungsfähigkeit an jene angeblich unsichtbare, die hinter dem Marktgeschehen angeblich agiert, jedoch nichts weiter als die Faust von finanzgewaltigen Unternehmern darstellt.
Zudem bedeutet Privatisierung in der Regel Massenentlassung von Menschen, die nun an die Gemeinschaft, den Staat, fallen. Statt deren Steuern und Sozialabgaben einzunehmen, muß er für ihre Unterstützung aufkommen. Somit sinkt die Kaufkraft. Sinkende Kaufkraft, sinkende Nachfrage, sinkende Verkaufserlöse, sinkender Produktionsbedarf, sinkende Löhne, sinkende Beschäftigungszahlen, weiter sinkende Kaufkraft. Löhne sind, wie gesagt, Kaufkraft.
In einem kurzen Essay aus den Siebzigern der vorigen Jahrhunderts hielt Sebastian Haffner Verhandlungen zwischen Arbeitgeberlager und Gewerkschaften um höhere Löhne noch für reinen Scheinkampf, da beide Seiten wußten, dies ist für alle der Weg zum Wohlstand. Neototalitaristen dagegen wissen nur, wie sie sich am besten, schnellsten und meisten selbst bereichern. Was interessieren sie Volkswirtschaften, Verteilungsgerechtigkeit oder Wohl und Wehe von Bevölkerungsmehrheiten.
Deshalb sollten diese Mehrheiten beginnen, eigene Sparvorstellungen umzusetzen und sich sagen: Sparen wir uns Parteien, die nur ihre Klientel bedienen und Politiker, die zum einen korrupt (man sagt natürlich: über viele Nebeneinkünfte verfügen) zum anderen dreist im Behandeln von Armen, Ausgegrenzten und Unterprivilegierten aber feige gegenüber den Kapitalstarken sind. Sparen wir uns Banken, deren Größe Volkswirtschaften gefährden, die demokratiezerstörenden Rating-Agenturen, Hedgefonds, Private-Equity-Finanzierung, Swaps, CDOs und alle Formen von Leerverkäufen, das ganze Heuschreckenwesen. Sparen wir uns die Deregulierung der Finanzmärkte und die steuerliche Zurückhaltung gegenüber Multimillionären. Sparen wir die ganze Lohndrückerei mit ihren Komponenten Leiharbeit, Ein-Euro- oder 400-Euro-Jobs, befristete Arbeitsverträge, Praktikantentum und Hartz IV. Einmal dabei, sparen wir gleich noch den Afghanistanfeldzug und die verschiedenen Militäreinsätze auf den Weltmeeren. Grundsätzlich: Sparen wir uns eine Wirtschaftspolitik, die wenige reich aber viele arm macht. Vor allem aber müssen wir uns die Neototalen, diese Raubritter der Neuzeit, sparen.
Schlagwörter: Haushalt, Martin Nicklaus, Privatisierung, Sparen, Steuern