13. Jahrgang | Nummer 17 | 30. August 2010

Seefahrernation mit Rügener Fischpaste

von Kai Agthe

Die Schiffahrt der DDR begann vor genau sechzig Jahren und bei Null. Im Bereich der Ostseeküste, die auf dem DDR-Territorium lag, gab es keinen großen Hafen und, als Folge des Zweiten Weltkriegs, weder eine nennenswerte Handels- noch eine Fischereiflotte. Das erste Frachtschiff der DDR war die „Vorwärts“. Es war 1903 gebaut worden und fristete sein Dasein nach 1945 als Wrack in der Wismarer Bucht. 1949 wieder aufgebaut, stellte man es 1950 in Dienst. Trotz dieser widrigen Anfänge schaffte es die DDR innerhalb nur weniger Jahre und Jahrzehnte eine der größten Universalreedereien Europas und – wer hätte es gedacht? – die weltweit größte Fischfangflotte aufzubauen. Darüber berichten Andreas Biskupek und Olaf Jacobs im Bildtextband „DDR ahoi! – Kleines Land auf großer Fahrt“, der parallel zu einer zweiteiligen Fernsehdokumentation für den MDR und den NDR entstand.
Ob Seemann in der DDR zu sein ein Traumberuf war, kann nur individuell beurteilt werden. Ab 1961 war es aber eine der wenigen Möglichkeiten, die weite Welt zu sehen. Natürlich fuhr auf praktisch jedem Schiff ein inoffizieller Mitarbeiter des MfS mit. Seefahrer galten in den Augen des Mielke-Personals als potentielle Flüchtlinge. Wie ließe sich sonst erklären, daß schon vermutete Eheprobleme genügten, um das Seebuch des Betroffenen einzukassieren?
Auf allen Weltmeeren waren Schiffe der DDR-Reederei „DSR“ anzutreffen. Auch die Fangflotte operierte in allen Gewässern der Erde. Deren große Zeit war aber mit Erweiterung der Hoheitszonen und der Überfischung der Meere ab Mitte der siebziger Jahre vorüber. Und Versuche, den DDR-Bürgern Tintenfisch schmackhaft zu machen, scheiterten. Der wurde zwar eifrig von den Fang- und Verarbeitungsschiffen der DDR eingeholt und konserviert. Das geschah aber ausschließlich für Japan. Überhaupt wurde der Fang meist vom Schiff weg für harte Valuta in die westliche Hemisphäre verkauft. Im eigenen Land kamen durchgedrehte Reste als dunkelgraue Fischstäbchen oder tomatenrot als „Rügener Fischpaste“ auf den Tisch.
Und eine so große Handelsflotte wie sie die DDR hatte, konnte sich nur rechnen, wenn man auch Fremdgut für Drittstaaten transportierte. Denn das Land exportierte per Schiff deutlich mehr als es importierte, so daß oft teure Leerfahrten über die Ozeane die Folge waren.
Bei der Fangflotte gab es keinen totalen Schiffsverlust, bei der Handelsflotte aber mehrere. Als letztes DDR-Schiff sank 1988 die „Rudolf Breitscheid“ in der Nähe von Klaipeda. Die Gründe werden im Buch nur umständlich angedeutet, deshalb muß das Internet weiterhelfen: Das schwer mit Stückgut beladene Schiff strandete bei schwerem Sturm und brach beim anschließenden Bergungsversuch auseinander.
Unangenehm fällt an manchen Stellen ein Ton auf, der ungezwungen sein will, tatsächlich aber schnoddrig, also unangemessen ist. So etwa im Kapitel über die „Arkona“, das dritte Urlauberschiff der DDR.
Apropos „Arkona“: Eine ganz eigene Geschichte ist die vom Kauf des aus der beliebten Fernsehserie „Traumschiff“ bekannten Kreuzfahrtschiffes „Astor“, das unter DDR-Flagge dann als „Arkona“ fuhr. Am 29. August 1985 wurde auf diesem im Hamburger Hafen die DDR-Flagge gehißt. Das schwimmende Hotel hatte bis dahin einer südafrikanischen Reederei gehört. Um aber mit dem Apartheidstaat keine Geschäfte machen zu müssen, wurde das Schiff an einem Vormittag kurzerhand an einen westdeutschen Reeder und am Nachmittag an Schalck-Golodkowskis „Kommerzielle Koordinierung“ verkauft. Das Geschäft hatte, so die Autoren, einen Schönheitsfehler: Die DDR zahlte 160 Millionen DM für das gebrauchte Schiff, das bei Indienststellung 1980 nur 120 Millionen DM gekostet hatte.
Das erste Urlauberschiff der DDR, die „Völkerfreundschaft“, war, als es für den FDGB gekauft wurde, ein Unfallfahrzeug. Als „Stockholm“ hatte sie 1956 die „Andrea Doria“ gerammt.
Das zweite Urlauberschiff, die „Fritz Heckert“, war als DDR-Eigenbau ein Prototyp, der 1961 in Wismar vom Stapel lief. Aufgrund technischer Schwierigkeiten, u. a. bei der Schiffsstabilität und beim Gasturbinen-Antrieb, wurde das 30 Millionen DDR-Mark teure Schiff bereits 1970 stillgelegt und diente bis 1991 als Wohnheim: zuletzt für die Erbauer des Atomkraftwerks Lubmin. Die Geschichte der beiden Vorläuferschiffe der „Arkona“ hätte noch etwas genauer recherchiert werden können, denn sie ist im Internet detaillierter dokumentiert als im vorliegenden Buch. Und während die „Fritz Heckert“ 1991 in den Nahen Osten verkauft und 1999 in Bombay verschrottet wurde, ist die einstige „Völkerfreundschaft“ weiter auf den Meeren unterwegs. Als Original aus FDGB-Zeiten nicht mehr erkennbar heißt der Kreuzfahrer heute „Athena“. Und die ehemalige „Arkona“ fährt, was im Buch nicht zu erfahren ist, als „Saga Pearl II“.
Die DDR-Schiffahrt endete vor 20 Jahren. Es bleibt die Erinnerung an ein kleines, sich und seine Menschen hermetisch abriegelndes, gleichzeitig weltoffen agierendes Land auf großer Fahrt. „DDR ahoi!“ kann der Anfang sein für eine umfassende Geschichte der DDR zur See.

Andreas Biskupek / Olaf Jacobs: DDR ahoi! Kleines Land auf großer Fahrt. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2010, 159 S., 19,90 Euro