13. Jahrgang | Nummer 15 | 2. August 2010

Repräsentant des geistigen Dresden. Zum Tode Werner Schmidts

von Hartmut Pätzke

Schon einige Zeit vor seinem 80. Geburtstag hat Werner Schmidt umsichtig Ordnung in seine eigenen Gemächer einziehen lassen. Dazu gehörten Kleinigkeiten, wie erotische Hinterlassenschaften aus dem Schreibtisch von Ludwig Justi (1876-1957), bei dem er als Kunsthistoriker seine eigentliche Lehrzeit hatte, die er nach Berlin gab. Adolph von Menzel hieß damals und noch lange sein Meister. Seit 1959 war Werner Schmidt in Dresden Direktor des Kupferstich-Kabinetts, einer der bedeutendsten graphischen Sammlungen Europas. Es gelang ihm, unterstützt von einer kleinen Schar Mitarbeiter, den Rang des Kupferstich-Kabinetts zu wahren, der unter anderem durch Max Lehrs, Hans Wolfgang Singer und Wolfgang Balzer geprägt war. Die Sonderdrucke der Berichte des Kupferstich-Kabinetts aus den Jahrbüchern der Staatlichen Kunstsammlungen, seit den sechziger Jahren, die er mir vor etwa zwei Jahren schickte, sind präzise Nachweise seines Direktorats. Wer die Hefte der „Erwerbungen“, meist mit einem ein- bis zweiseitigen Text Schmidts versehen, liest, wird sicher und kurzweilig informiert.

Das Dresdner Kupferstich-Kabinett wirkte in die Breite. Dazu zählen auch die Auktionen, die in dem Jugendclub des Kupferstich-Kabinetts 1964 begonnen hatten. Auf dem Gebiet der Auktionen, die ihm eine Herzensangelegenheit waren, leistete Schmidt Pionierarbeit. Solange er selbst in Dresden alljährlich den Auktionshammer schwang, war das eine Festivität, der beizuwohnen allein eine Freude war. Vor allzu hohen Preisen für manche importierte Graphik warnte er. Er war ein Mensch hoher Kultur, an der er sein Publikum teilnehmen ließ. Werke von Hermann Glöckner (1889-1987), dem er, gemeinsam mit seinem Sohn Sebastian, ein Buch widmete, an deren Korrekturen, die in der Druckerei nicht beachtet worden waren, er bis zuletzt saß, hatte er zunächst privat in seiner Wohnung ausgestellt, lange bevor der Künstler nach und nach in Dresden und darüber hinaus als „Patriarch der Moderne“ Anerkennung und Ruhm gewann. Gemälde, farbige Blätter, Zeichnungen und Graphik konnte er im November 1984 aus der Paul Klee-Stiftung im Kunstmuseum Bern im Albertinum ausstellen. Dem schloß sich im Dezember eine „Wissenschaftliche Konferenz“ zu Paul Klee an, die gemeinsam mit dem Verband Bildender Künstler veranstaltet wurde. Altenbourg, Claus und Tucholke stellte er aus- Johnny Friedlaender kam aus Paris. Hrdlicka bot mit „Wie ein Totentanz“ seine imposanten Radierungen. In sein Kabinett und in die Auktionen brachte er neueste amerikanische Druckgraphik, vor allem Plakate, Pop. Schmidt war unermüdlich im Präsentieren. In Köln war zu Beginn des Jahres 1989 „Die Kollwitz-Sammlung des Dresdner Kupferstich – Kabinettes“ zu sehen. Penck war er zugetan, als dieser noch in Dresden lebte, Hilfsdienste leistete, als Schmidt im Mai 1980 eine Auktion zugunsten des Leonhardi-Museums leitete. Im August 1992 richtete er dem Künstler im Albertinum die erste große Schau in seiner Geburtsstadt ein, die dessen Tochter musikalisch umrahmte. Nach Dresden waren zu den großen Ausstellungseröffnungen für Altenbourg, der Künstler selbst war krankheitshalber nicht gekommen, der großen Ausstellung zum 95. Geburtstag von Glöckner, der Ausstellung für Penck, Künstler und Kunstinteressierte aus Berlin, Leipzig und Karl-Marx-Stadt stets angereist.

Schmidt war ein Repräsentant des geistigen Dresden und stand in verehrungsvoller Verbindung zu Fritz Löffler (1899-1988), dem Bewahrer Dresdens als Kunststadt. Hans Theo Richter (1906-1969) widmete er Werkverzeichnisse mit großer Akribie. Der Ausstellungsmacher repräsentierte sowohl in den USA als auch in Japan, drang bis zur Villa Hügel in Essen vor. Im Dezember 1989 zunächst kommissarisch, wurde er 1990 der erste freigewählte Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen. „Ausgebürgert“ hieß 1990/91 in Dresden und in Hamburg die große Ausstellung, die den Künstlern galt, die zwischen 1949 und 1989 die Deutsche Demokratische Republik aus unterschiedlichen Gründen verlassen hatten. Zum Dr. h.c. kam der Professorentitel hinzu. Als Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste bekleidete er eine Weile auch das Präsidentenamt. Als Nachfolger für das Direktorat des Kupferstich-Kabinetts hat er Wolfgang Holler aus München geholt. 1997 trat Schmidt in den Ruhestand. Seine Nachfolgerin in der Funktion der Generaldirektorin ging vorfristig nach Italien.

Die dreißigjährige Ära Schmidt am Kupferstich-Kabinett, in dem er, verantwortet von seinem engen Mitarbeiter Hans-Ulrich Lehmann, auch der Photographie hohe Aufmerksamkeit gewährte, war eine Erfolgsgeschichte. Die Vereinigung von Gemäldegalerie und Kupferstich-Kabinett unter einem Direktorat, nachdem Harald Marx in den Ruhestand ging und Holler 2009 als Generaldirektor der Museen der Klassik Stiftung Weimar berufen wurde, hat ihn äußerst betroffen gemacht. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die dazu aufforderten, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Leider vergeblich.

Isolde und Werner Schmidt schenkten dem Stadtmuseum Pirna, der Stadt, in der er 1930 geboren wurde und die er nach dem Abitur 1949 zum Studium in Leipzig und Berlin verlies, Graphik. Der erste Teil der Schenkung, “Von Dürer bis Kokoschka”, wurde im Februar / März 2009, der zweite Teil, “Von Picasso bis Penck”, wurde von April bis Juni 2009 ausgestellt. Die von der „Bild“-Zeitung besonders propagierte Schau, mit dem Segen von Angela Merkel versehen, die in 60 Bildern eine Schau deutscher Kunst sein sollte, war nur bundesdeutschen Künstlern vorbehalten. Dazu löste Werner Schmidt eine heftige Protestwelle der Sächsischen Akademie der Künste aus.

Als Zeitzeuge trat Werner Schmidt am 2. Oktober 2009 im Zeughaus auf Einladung von Generaldirektor Ottomeyer zur Eröffnung der Ausstellung „Feindliche Brüder?“ auf, die zuvor in Los Angeles zu sehen war und einen Überblick der deutschen Kunst zwischen 1945 und 1990 bieten sollte. Noch am 4. Juli 2010 war er zu einer Zusammenkunft der Sächsischen Akademie der Künste gut gelaunt in Weimar.

Ein Schlaganfall führte innerhalb einer Woche, in der Obhut seiner Familie, zum Tod. An seinem 80. Geburtstag hatte er noch eine Mappe mit Graphiken und Texten der Sächsischen Akademie der Künste, zusammengestellt von Gabriele Muschter, entgegennehmen können, in der Künstler, Kollegen und Freunde ihm ihre Achtung und Sympathie bekundeten. Eine Sammlung seiner Schriften steht zum Druck bereit. Sein weiter Horizont und seine Stimme werden künftig in den aktuellen Auseinandersetzungen fehlen. Dresden .hat ihm viel zu verdanken. Sein plötzlicher Tod macht besonders alle betroffen, die ihn persönlich kannten. Seiner Familie gilt mein Mitgefühl.