von Heinz W. Konrad
Aus Verehrung, man weiß das, kann leicht Liebe werden; daß Metamorphosen dieser Art vielfach auch außerhalb zwischengeschlechtlicher Begehren ihren Lauf nehmen, ist ebenso augenscheinlich. Und noch etwas ist wohl Allgemeingut: Um echte Liebe handelt es sich nur, wenn die tiefe Zuneigung auch die Unvollkommenheiten des Geliebten einschließt – alles andere ist Schönwetterliebe und also solche nur höchst selten von Bestand.
Dies alles war vorauszuschicken, da es um Liebe nun gleich in doppelter Hinsicht geht. Um die des Verfassers dieser Zeilen zu Kurt Tucholsky und zugleich um das, was ein wunderbares Buch von Klaus Bellin über „Tuchos“ Vermögen wie Unvermögen, zu lieben, berichtet.
„Es war wie Glas zwischen uns“, ist sein Titel, und es erzählt die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky. Eine Liebe, die beider einzig wirkliche gewesen ist, die aber außer der wenigen Jahre ehelichen Zusammenseins doch nur ein „ungelebtes Leben“ war, wie Tucholsky in seinem Abschiedsbrief an Mary resigniert beklagt hat. Zusammengesetzt aus Glück und Enttäuschung, Entfremdung, Sehnsucht und Trennung und wieder Sehnsucht blieb aber für den politisch wie privat tief deprimierten Tucholsky unter dem Schlußstrich des eigenen Lebens letztgültig zu konstatieren: „Heute weiß. Wenn Liebe das ist, was einen ganz und gar umkehrt, was jede Faser verrückt, so kann man dies hier und da empfinden. Wenn aber zur echten Liebe dazukommen muß, daß sie währt, daß sie immer wiederkommt, immer und immer wieder -: dann hat nur ein Mal in seinem Leben geliebt. Ihn.“*
Tucholskys Beziehungen zu Frauen veranschaulicht geradezu exemplarisch die habituelle Zerrissenheit seiner Persönlichkeit. Er konnte nicht ohne solche Beziehungen sein und ließ es dabei auch darauf ankommen, mit nicht nur einer Frau gleichzeitig ein vertrautes Verhältnis zu haben. Aber es war ihm wiederum nie möglich, sein Leben mit einer Partnerin wirklich und grundlegend zu teilen. Tucholsky hat es zu Frauen ebenso hingezogen, wie ihn die Aussicht auf eine zu große und vor allem dauerhafte Nähe zugleich abstieß. Ob Else Weil, die Claire aus „Rheinsberg“ und erste Ehefrau Tucholskys, Lisa Mattias, Tucholskys „Lottchen“, Hedwig Müller, seine „Nuuna“, Gertrude Meyer, die Lebensgefährtin der letzten Monate im schwedischen Exil — dieses Dilemma haben alle erfahren müssen. Bellin beschreibt dies kenntnisreich, ausführlich und in einer höchst anziehenden Sprache.
Der Berliner Publizist und Germanist weist mit diesem Band einmal mehr nach, daß er ein ausgewiesener Kenner Tucholskys ist. Selbst Redakteur der „Weltbühne“, jener Zeitschrift, die als Folgeprojekt ihres legendären Vorgängers bis 1993 innerhalb des wenig anziehenden DDR-Journalismus´ eine intellektuelle Oase war, hat Klaus Bellin Mary Tucholsky auch persönlich kennenlernen können; eine Erfahrung, die in diesem Buch ihren produktiven Niederschlag findet.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß der eine oder andere Liebhaber Tucholskyscher Texte überrascht oder gar enttäuscht ist ob der ganz und gar unheldischen Seiten des großen Publizisten und Schriftstellers. Dem sei an die Hand gegeben, was Michael Hepp in seiner Tucholsky-Biografie für sich selbst so beschrieben hat: „Inzwischen hat sich mein Verhältnis zu Tucholsky geändert. Gerade dadurch, daß er Ecken und Kanten zeigte, daß er eben nicht ein stromlinienförmiger linker „Heiliger“ war, wurde er mir immer sympathischer. Denkmäler verstellen nur den Zugang zu Werk und Person. Sie sind zwar bequem, weil man sich die Auseinandersetzung ersparen kann. Gleichzeitig nimmt man die Person auf dem Sockel aber auch nicht ernst, verweigert ihr das Leben. Wenn wir Tucholsky endlich die Dimension des Menschlichen zurückgeben, die sein Werk auszeichnet, können wir uns vielleicht ein Stück weit in ihm wiederfinden mit unseren Ängsten, Sorgen, Problemen. Kurt Tucholsky, ein Mensch und grandioser Schriftsteller, der gerade durch seine Stärken und Fehler glaubhaft ist und der dadurch uns und der jüngeren Generation in diesen schwierigen Zeiten wieder etwas zu sagen hat.“
Dem Autor dieser Buchempfehlung geht es nicht anders.
*Der sprachliche Stil entspricht den Gepflogenheiten Tucholskys bei Briefen an Mary.
Klaus Bellin, Es war wie Glas zwischen uns. Die Geschichte von Mary und Kurt Tucholsky. Verlag für Berlin-Brandenburg, 168 Seiten, 19,90 Euro; Michael Hepp, Kurt Tucholsky, Biografische Annäherungen, Rowohlt 1993
Schlagwörter: Heinz W. Konrad, Klaus Bellin, Kurt Tucholsky, Liebe, Mary Gerold, Michael Hepp