13. Jahrgang | Nummer 12 | 21. Juni 2010

Das Paradies ist Berlin, das lyrische Ich makaber

von Kai Agthe

Berühmt geworden ist der 1922 in Wien geborene Georg Kreisler mit makaberen Chansons. Der bekannteste „Everblack“ aus seiner Feder ist das Stück „Gehn wir Taubenvergiften im Park“ von 1958. Kreisler mag es im buchstäblichen Sinn des Wortes nicht mehr hören. Viel lieber möchte er, der seit 2001 seine Lieder nicht mehr auf der Bühne darbietet, als Dichter wahrgenommen werden. Und das durchaus mit Erfolg. Denn jüngst ist ihm der renommierte Friedrich-Hölderlin-Preis 2010 der Stadt Bad Homburg „für sein Lebenswerk, insbesondere aber für seine Verdienste um die deutschsprachige Lyrik“ zugesprochen worden. Über das Lebenswerk informiert seine im Vorjahr erschienene Autobiografie „Letzte Lieder“. Wer ihn als Dichter erleben will, kann das mit dem neuen Gedichtband „Zufällig in San Francisco“.
Der plaudernd-leichte und humorvoll-ironische Ton macht die in Vers und Reim verfaßten Gedichte Georg Kreislers so reizvoll. Ob sie unbeabsichtigt entstehen, wie es der Untertitel suggeriert, mag man nicht glauben. Es mögen Gelegenheitsgedichte sein, die sind aber genau durchgearbeitet. Der erste Text heißt „Der Anfang“. Dort geht es aber um das Ende, dem Kreisler, wie er in Interviews betont, gelassen entgegensieht: „Ich bin jetzt alt / und sterbe bald.“ Auch „Das geheime Tor“ ist ein Selbstporträt: „Ich bin makaber, schauerlich, / doch andrerseits ganz nett / und mache auch, bedauerlich, / ein bißchen Kabarett.“ Das Paradies im gleichnamigen Gedicht ist zufällig nicht San Francisco oder Salzburg, wo Georg Kreisler lebt, sondern die spröde deutsche Hauptstadt: „Denn die Menschen offensichtlich / passen einfach nicht dorthin. / Religiös und auch geschichtlich / passen Menschen nach Berlin.“ Mit „An ein Kind“ findet sich auch eine Parodie auf Goethes Erlkönig: „Es gibt eine böse Elfe, / die reitet durch Nacht und Wind / und hält, so wahr mir Gott helfe, in den Armen ein ächzendes Kind.“
Kreisler ist – mit Nietzsche – überzeugt davon, daß der Mensch die Kunst braucht, „weil sie ein Teil seiner selbst ist“. Und natürlich auch die Lyrik. Deshalb fällt ihm zu Theodor W. Adornos Verdikt, daß es barbarisch sei, nach Auschwitz noch Gedichte schreiben, nur ein Satz ein: „So ein intelligenter Mensch und so ein Unsinn!“ Und so schreibt er fleißig Lyrik.
Im Vorwort des Buches – das übrigens auch noch ein Zwischen- und Nachwort enthält – notiert Georg Kreisler an einer Stelle: „Wer ein Gedicht schreibt, darf nicht sterben, denn er muß seine Gedichte immer weiter verbessern.“ In diesem Sinne ist dem 87-jährigen Künstler zu wünschen, daß er noch viele Jahre seine lyrischen Texte immer weiter verbessern kann.

Georg Kreisler: Zufällig in San Francisco. Unbeabsichtigte Gedichte. Verbrecher-Verlag, Berlin 2010, 119 Seiten, 19,00 Euro