13. Jahrgang | Nummer 10 | 24. Mai 2010

Übergangsgesellschaft

von Günter Hayn

Es lief alles glatt auf dem Rostocker Linksparteitag. Der Kungel-Vorschlag des von niemandem gewählten, in einer Winternacht tagenden Gebietskomitees mit dem Copyright Gregor G.’s ging durch. Nach heftigem Schlagabtausch führender Kader im Vorfeld schrieb offensichtlich Rosamunde Pilcher das Parteitagsdrehbuch. Selbst der in jeder Schmonzette unvermeidliche Bösewicht wurde nicht vergessen. Er heißt Heinz Josef Weich, kommt aus Schaumburg und fühlte sich urplötzlich und ungebeten zum Vorsitzenden berufen. Immerhin erhielt er aus dem Stand 76 Stimmen und versaute damit dem Genossen Ernst die mögliche Annäherung an die magische 500er Marke (für die Spitzenpositionen wurden jeweils 540 bis 558 Stimmen abgegeben). Aber der wird’s verschmerzen. Beim Umgang mit der Koch-oder-Kellner-Frage sagen Insider Klaus Ernst eine gewisse Erfahrung nach. Unter den raffiniert quotiert ausgewählten Bundesgeschäftsführern hat diese Frage schon auf dem Parteitag offensichtlich Werner Dreibus für sich entschieden. Notfalls wird es wie im Falle Bartsch eine Ansage des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion geben. Und da liegt das Problem.

Die Bundestagsfraktion hat 76 Mitglieder, mittlerweile gehören 16 von ihnen dem 43köpfigen Bundesvorstand der Linken an. Der Fraktionsvorsitzende Gysi hat sieben Stellvertreter respektive Stellvertreterinnen. Vier davon sitzen seit Rostock im Bundesvorstand. Einer ist Bundesgeschäftsführer (Werner Dreibus), der omnipräsente Ulrich Maurer ist Parteibildungsbeauftragter. Letztere Funktion, was auch immer das ist, teilt er mit der Berlinerin Halina Wawzyniak, die im Zusammenhang mit der Aufstellung der „gemischten Liste“ (das sind die Männer) einen unglücklichen Auftritt hatte. Die neuen Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst fungieren derzeit noch als Gysis Stellvertreter im Vorstand der Bundestagsfraktion. Der Meister selbst gehört dem Parteivorstand nicht an. Muß er auch nicht, mit Ausnahme des saarländischen (noch!) Nur-Landtagsabgeordneten Heinz Bierbaum sind im „geschäftsführendem Vorstand“ ausschließlich Bundstagsabgeordnete vertreten. Und der hat das Sagen. In der Partei ist damit die Koch-oder-Kellner-Frage geklärt. Das Karl-Liebknecht-Haus läuft Gefahr, zur Filiale des Reichstages herunterzukommen. Spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem die Linke die von manchem zutiefst ersehnte Regierungsbeteiligung auf Bundesebene erreichen wird, wird sie sich Gedanken über ihre Führungsspitze machen müssen.

Alle 43 Vorstandsmitglieder sind höchst ehrenwerte und respektable Persönlichkeiten. Aber parlamentarisches politisches Denken, erst recht in Regierungsverantwortung, gehorcht anderen Regeln als das für eine politische Partei überlebensnotwendige, noch dazu wenn die sich immer noch die Überwindung des realen Kapitalismus auf die Fahnen geschrieben hat. Wer dies ignoriert, hat sein Handwerk schlecht gelernt oder betreibt wissentlich politische Scharlatanerie. Die Linke wäre gut beraten, aus den Erfahrungen der SPD nach dem Abgange Paul Singers und August Bebels und einer spätestens nach den Wahlen vom Januar 1912 übermächtigen Reichstagsfraktion zu lernen. Nachlesen kann man das wahlweise bei Rosa Luxemburg, die immer wieder und zu Recht vor einer „seltsame Rollenverwechslung“ der SPD im Reichstage warnte* oder bei Kurt Tucholsky.

Einer dürfte, das sei nachgetragen, von der aktuellen Personalstruktur profitieren. Der Bundesschatzmeister spart, agiert er konsequent, eine Menge Fahrt- und Übernachtungskosten ein. Die Mehrzahl der Bundesvorstandsmitglieder hat mehr als einen Koffer in Berlin.

* Siehe auch XXL